Das via Twitter von Elon Musk verbreitete Bild zeigt die Rettungsarbeiten in der Höhle, in der die thailändische Jugendmannschaft und ihre Trainer eingeschlossen waren. Foto: Elon Musk via Twitter/AP

Die Psychologin Renate Schepker erklärt, wie gut Kinder und Jugendliche mit traumatischen Erlebnissen klarkommen können – und was die Fußballjungs aus Thailand nun am allermeisten brauchen, um ins Leben zurückzufinden.

Ravensburg - Die Jugendlichen haben die Rettung aus der Höhle gut überstanden – doch hinterlässt das Erlebte Spuren in der Psyche? Die Kinder-, und Jugendpsychiaterin Renate Schepker aus Ravensburg erklärt, welche Folgen traumatische Erlebnisse haben können und was die Jugendlichen brauchen, um ins Leben zurückzufinden.

Frau Schepker, kann ein solch einschneidendes Erlebnis, wie das tagelange Festsitzen in einer Höhle, traumatische Folgen haben?
Es ist möglich, aber es muss nicht sein. Dass etwas als folgenschwere traumatische Situation erlebt wird, hängt unter anderem von der Dosis-Wirkung-Beziehung ab: Je lebensbedrohlicher und hoffnungsloser ein Erlebnis empfunden wurde, und je länger dieses andauert und je größer die Hilflosigkeit, umso schwieriger wird es für die Psyche, damit gut klarzukommen. Für die Kinder waren die ersten Tage in der Höhle sicher die schwierigste Zeit: Diese Ungewissheit auszuhalten, ob sie je gefunden werden.
Was wäre eine mögliche psychische Folge?
Es könnte zu einer sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung kommen, auch PTBS genannt. Das bedeutet, dass sich im Kopf der Betroffenen auch Wochen, Monate, oder Jahre nach ihrer Rettung, immer wieder von Neuem die Geschehnisse abspielen. Hinzu kommen beispielsweise Albträume, Vermeidung von allem was dran erinnern könnte, eine erhöhte Wachsamkeit vor allen Gefahren und eine emotionale Unausgeglichenheit. Medizinisch gesehen, ist durch dieses Trauma der Stoffwechsel im Gehirn durcheinandergeraten. An sich normale Situationen werden plötzlich als Gefahr eingestuft. Grundsätzlich ist das Risiko für eine PTBS bei Menschen, die Gewalt durch anderen erlebt haben, besonders hoch – beispielsweise nach Vergewaltigungen oder Kriegserlebnissen. Naturkatastrophen, zu denen man auch das Erlebnis der Kinder in der Höhle zählen kann, werden von den Betroffenen meist besser überstanden. Im Fall der Jungen in Thailand kommt glücklicherweise hinzu, dass das Ganze bislang noch trotz der Umstände gut abgelaufen ist: Sie mussten keinen toten Kameraden betrauern.
Können Kinder und Jugendliche solche Erlebnisse besser wegstecken?
Das hat man früher geglaubt, aber so ist es nicht. Kinder können genauso an einer Traumafolgestörung erkranken wie Erwachsene.
Lässt sich so ein Trauma auch überwinden?
Ja, mit Hilfe von psychotherapeutische Verfahren. Die wichtigste Erste-Hilfe-Maßnahme ist es, Sicherheit herzustellen. Das haben die ersten Retter, die bei den Kindern angelangt sind, schon sehr gut gemacht: Sie haben den Kindern signalisiert, dass sie ihnen Licht und Nahrung bringen, sowie Decken. Und sie haben ihnen gesagt, dass sie alles dafür tun werden, die Gruppe aus der Höhle zu befreien. Das hat den Kindern sehr geholfen, die weiteren schweren Hürden, die die Rettung mit sich gebracht hat, zu überwinden.
Was ist jetzt wichtig?
Nach wie vor, muss nun den Kindern das Gefühl gegeben werden: Wir sind jetzt in Sicherheit. Dazu gehört, dass man sie nun erst einmal von der Öffentlichkeit abschirmt, ihnen zu essen und zu trinken gibt, ein warmes Bett, sie medizinisch versorgt und sie ihre Angehörigen wiedersehen. Schlaf ist ebenfalls wichtig, um das Gehirn sich erholen zu lassen. Dann sollte so schnell wie möglich wieder das normale Leben für die Jungs beginnen. Der alltägliche Ablauf ist wichtig, um mit dem Erlebten klarzukommen. Es wird sich dann zeigen, ob einige von ihnen psychologische Unterstützung brauchen. Im Übrigen hat die Presse jetzt eine hohe Verantwortung: Es sollte wirklich vermieden werden, dass die Kinder von Interviewanfragen und öffentlichen Auftritten überrannt werden. Auch die Einladung zum Finale der Fußball-WM halte ich zu verfrüht.
Dass die Kinder über das Erlebte reden, ist also nicht so gut?
Die Kinder können und sollen über das Erlebte reden – aber besser, wenn sie es von sich aus tun. Was die Kinder jetzt brauchen, ist in erster Linie Normalisierung. Das bedeutet aber nicht, schwierige Dinge zu verschweigen. Kommen Fragen auf, wie „Warum hat das mit der Rettung so lange gedauert?“ oder „Kann so etwas wieder passieren?“, sollte man diese auch ehrlich beantworten und nicht sagen: „So etwas passiert nie wieder.“ Es ist niemandem geholfen, wenn ein falsches Gefühl der Sicherheit vermittelt wird.

Zur Person

Renate Schepker Foto: ZFP Südwürttemberg
Renate Schepker, geboren 1954 in Oberhausen/Rheinland, ist Chefärztin der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie Weissenau, Ravensburg. Sie ist im Vorstand mehrere Fachgruppen, darunter der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP). Schepker ist Autorin mehrerer Fachbücher über verschiedene Therapieformen für Kinder und Jugendliche. (wa)