Jérôme Ellrich, André Edlich und Laura Jäger (von links) versorgen ein Paar aus Ungarn mit Suppe und Winterschuhen. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Rund fünf Stunden ist der Kältebus nachts bei Minustemperaturen im Einsatz, um Wohnsitzlose zu versorgen. Ehrenamtliche Helfer machen das Projekt möglich.

Seit zwei Wochen liegen die Temperaturen nachts unter null Grad. Und seit zwei Wochen ist der Kältebus in Stuttgart im Einsatz. „Sobald das Thermometer unter den Gefrierpunkt fällt, gibt das Sozialamt grünes Licht für unsere Touren“, sagt André Edlich. Unterstützt wird der 40-Jährige Fahrer des DRK-Fahrzeugs in dieser Nacht von Jérôme Ellrich (39) und Laura Jäger (23). Wie Ellrich engagieren auch sie sich ehrenamtlich beim Deutschen Roten Kreuz. Geladen haben sie Thermoskanne mit Tee und heißem Wasser für Instantsuppen. Außerdem: Schokoriegel, Schlafsäcke, warme Kleidung und Hundefutter. Alles wurde gespendet. Start der Tour ist um 21.30 Uhr, Ende gegen 2 Uhr.

Das Team kennt die Schlupfwinkel der Obdachlosen

Die Strecke steht fest: Das Team kennt die Schlafplätze der Wohnsitzlosen. In einem Park in Bad Cannstatt sind zwei Bänke zusammengeschoben, darauf liegen Decken. „Das Pärchen, das dort nächtigt, ist ausgeflogen“, stellt Edlich fest. Unter einer zugigen Brücke entdecken sie einen Schlafenden: Ellrich prüft, ob er atmet und legt ihm ein paar Schokoriegel hin, Schlafende werden nicht aufgeweckt. Wieder einzuschlafen ist bei Frost schwer.

Der Wohnsitzlose, der in einer selbst gebauten Wellblechhütte wohnt, ist nur schwer zu finden. Doch das DRK-Team hat einen Blick für die Aufenthaltsorte. Es gehe ihm gut, sagt der 52-Jährige, der die Hütte gebaut hat und seit vier Jahren dort lebt. Auf die Frage, ob er etwas brauche, schüttelt er den Kopf. „Ich habe alles“, sagt er. Er ist nicht zu überreden, irgendetwas anzunehmen.

Leggins statt Unterwäsche

Anders als Irina. Die 55-Jährige stammt aus der Slowakei. Die Helfer treffen sie im Rotlichtviertel. Sie strahlt, als Laura Jäger ihr einen Becher mit heißem Tee und Schokoriegel bringt. Ob sie sonst noch etwas brauche? „Unterwäsche.“ Die hat das Team nicht, dafür aber Leggins. Irina strahlt noch mehr. Die Zahl der Frauen, die auf der Straße leben, wächst nach Auskunft von Edlich. Eine Statistik darüber, wie viele Menschen in Stuttgart im Freien übernachten, gibt es nicht. Eine nicht belegte Schätzung liegt bei 50 bis 80. „Einige wollen nicht gefunden werden. Und die finden wir auch nicht“, stellt Edlich fest. Warum sie nicht in einer Notfallunterkunft Schutz vor der Kälte suchen, hat viele Gründe: Manche haben einen Hund. Die sind oft nicht erlaubt. Andere haben Angst, dass sie dort bestohlen werden: wie ein 60-Jähriger, der in der Königstraße nächtigt. Ihm habe man eine Decke und seine beiden Haarschneidescheren geklaut. Die Decke vom Team will er nicht. „Das muss ich alles schleppen, und mit Plastiktüten wird man sofort diskriminiert“, ist er überzeugt. Schließlich nimmt er die Decke und die Suppe doch. Auf der Straße lebt er seit sieben Jahren. Als einen Grund dafür nennt er die Trennung von seiner „gewalttätigen“ Lebenspartnerin. Ein paar Meter weiter hat sich Egon eingerichtet. Der nach eigenen Angaben 73-jährige sieht deutlich älter aus. Mediziner sei er gewesen – sagt er und räumt ein, dass er Probleme mit dem Alkohol habe. Letzte Station in dieser Nacht ist die Klett-Passage: Ausschließlich Südosteuropäer nächtigen in dieser Nacht dort. Ein Paar aus Ungarn hat seine gesamte Habe in zwei Kinderwagen und in Plastiktüten verstaut. Am dringendsten brauchen beide warme Winterschuhe. Die bekommen sie samt Suppe, Tee und Schokolade.

Junger Ukrainer wird zum Hotel chauffiert

Die letzte Aktion in dieser Nacht: Viktor (23) , weiß nicht mehr, wie er zurück zu seinem Hotel kommt. Der Handy-Akku ist leer, Bus und Bahn fahren nicht mehr. Der junge Mann wird bis zu seinem Hostel chauffiert.

Der Kältebus ist ein Projekt der Stadt und des Kreisverbands des Deutschen Roten Kreuzes und finanziert sich über Spenden. Hinweise über den Aufenthaltsort von Obdachlosen nimmt die Hotline entgegen: 0711/219 54 776.