Der Fall Bräunig: Lebenslänglich – 53 Jahre unschuldig im Knast? Klaus Bräunig bleibt dabei: "Ich bin kein Mörder!“ Foto: SWR“ (S2). SWR Presse/Bildkommunikation, Baden-Baden

Nach 53 Jahren im Gefängnis kommt ein verurteilter Doppelmörder frei. Klaus Bräunig war der am längsten inhaftierte Straftäter in Deutschland. Wie lange sind in der Regel die Haftstrafen für Schwerverbrecher hierzulande? Ein Überblick über die Regelungen im Strafgesetzbuch.

Nach rekordverdächtigen 53 Jahren im Gefängnis ist der wegen eines Doppelmordes verurteilte Mainzer Klaus Bräunig jetzt auf Bewährung aus der Haft entlassen worden. Das Landgericht Koblenz bestätigte am Mittwoch (20. September), dass eine entsprechende Entscheidung der Strafvollstreckungskammer rechtskräftig sei.

Verurteilt wegen Doppelmordes

Die Justizvollzugs- und Sicherungsverwahranstalt Diez ist mit 617 Haftplätzen die größte Haftanstalt in Rheinland-Pfalz. Foto: Imago/Olaf Döring
Zuhause hinter Mauern und Stacheldraht: Bräunig saß in der JVA Diez 53 Jahre lang ein. Foto: Imago/Olaf Döring
Luftbild der JVA Diez. Foto: Imago//Thomas Frey

Der mittlerweile 79-Jährige hatte seine lebenslange Haftstrafe zuletzt im offenen Vollzug in der JVA Diez abgesessen. Er bestreitet bis heute, der Mörder einer Mainzer Kinderärztin und ihrer 17-jährigen Tochter gewesen zu sein, die im April 1970 in ihrem Bungalow getötet worden waren.

Der Hilfsarbeiter war nach dem Doppelmord festgenommen worden, als er dabei erwischt wurde, wie er Frauen durch Fenster beim Ausziehen beobachtete. Bei anschließenden Verhören ohne Anwesenheit eines Anwalts gestand er dreimal, er habe die beiden Frauen getötet, widerrief die Geständnisse jedoch im Anschluss wieder.

Obwohl es keine weiteren Indizien für Bräunigs Täterschaft oder entsprechende Spuren am Tatort gab, wurde er im Jahr 1972 wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Anträge auf vorzeitige Haftentlassung immer wieder abgelehnt

Wohnraum im Erweiterungsbau der JVA Diez zur Unterbringung von Häftlingen, für die Sicherungsverwahrung angeordnet wurde - wie Klaus Bräunig. Foto: dpa/Thomas Frey
Leben hinter Gittern: Andere entscheiden, wann die Türen auf- und zugehen. Foto: dpa/Daniel Karmann
Blick in einen Gefangenengang der Justizvollzugsanstalt Nürnberg. Foto: dpa/Daniel Karmann
Blick aus einer Gefangenenzelle in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Nürnberg. Foto: dpa/Daniel Karmann

In der Vergangenheit waren verschiedene Anläufe auf vorzeitige Entlassung aus der Haft immer wieder von Gerichten abgelehnt worden – unter anderem, weil Bräunig weiter auf seine Unschuld pochte und somit nach Überzeugung der Richter keine Reue zeigte. Der Fall sorgte in den vergangenen Jahren zunehmend für mediales Interesse, weil in der Geschichte der Bundesrepublik kaum jemand eine derart lange Haftstrafe abgesessen hat.

Anfang 2023 hatte Bräunigs Anwältin Carolin Arnemann schließlich mit einer Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg. Die Ablehnung der Bewährungsanträge sei nicht verhältnismäßig gewesen. Arnemann sagte, sie kämpfe weiter für eine vollständige Rehabilitierung ihres Mandanten. „Diese Bemühungen gehen weiter.“ Die Entlassung auf Bewährung sei unabhängig von einem angestrebten Wiederaufnahmeverfahren erfolgt.

53 Jahre im Gefängnis: Wie ist das möglich?

Wie kann ein Strafgefangener in Deutschland 53 Jahre in einem Gefängnis inhaftiert sein? Um das zu verstehen, klären wie wichtige Fragen zum Strafrecht für besonders schwere Verbrechen in Deutschland:

Lebenslange Freiheitsstrafe nicht unter 10 Jahren

Diese Strafen gelten für folgende Straftaten:

Zweimal Lebenslänglich

  • Die lebenslange Freiheitsstrafe gemäß Paragraf 38 Absatz 1 StGB kann nach dem Paragraf 54 Absatz 2 StGB nicht als eine Gesamtstrafe aus diversen einzelnen Freiheitsstrafen angewendet werden.
  • Wenn ein gesetzlicher Milderungsgrund anzuführen ist, wird die lebenslange Freiheitsstrafe regelmäßig durch einen Freiheitsentzug nach Paragraf 49 Absatz 12 Nummer 1 StGB umgeändert.
  • Selbst ein mehrfacher Mord wird so nach deutschen Strafrecht immer mit maximal 15 Jahren Freiheitsentzug bestraft. Auch aus mehreren Strafen wird so nach dem Paragraf 54 Absatz 1 StGB nur eine singuläre Gesamtstrafe.
  • Urteile wie in anderen Ländern „Zweimal lebenslänglich wegen dreifachen Mordes“ sind in Deutschland mit dem 23. StrÄndG von 1986 (BGBI. S.93) nicht mehr möglich. Hier kommt der Urteilszusatz „besondere Schwere der Schuld“ zur Anwendung.

Keine lebenslange Freiheitsstrafe für Straftäter unter 18 Jahren

  • Ist der Straftäter noch keine 18 Jahre alt, kommt das Jugendstrafrecht zur Geltung. In diesem Fall kann keine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden. Die Höchststrafe im Jugendstrafrecht beträgt 10 Jahre.
  • Bei heranwachsenden Jugendlichen, die nach dem Erwachsenenstrafrecht abgeurteilt werden, ist eine Freiheitsstrafe von 10 bis 15 Jahren nach dem Paragraf 106 Absatz 1 JGG üblich. Auch eine lebenslange Freiheitsstrafe nach dem Erwachsenenstrafrecht ist möglich.

Lebenslängliche Freiheitsstrafe

  • Besonders schwere Verbrechen wie Mord werden mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe geahndet. Die lebenslange Freiheitsstrafe wird in Deutschland in Paragraf 38 StGB als Ausnahme von der „normalen“ zeitigen Freiheitsstrafe festgeschrieben.
  • Sie ist eine Haftstrafe, die auf unbestimmte Zeit angeordnet wird. Sie hat folglich keine zeitliche Begrenzung. Ein Verurteilter kann 15, 20, 50 Jahre und länger im Gefängnis sitzen.
  • Eine lebenslange Haft kann in Deutschland nur dann verhängt werden, wenn es das Strafgesetz ausdrücklich vorsieht. Sie kann nicht aufgrund einer Summierung von diversen Vergehen verhängt werden.

Wie lange ist Lebenslänglich?

  • Gemäß dem Paragraf 57 a StGB kann ein Gefangener im Strafvollzug nach 15 Jahren verbüßter Haft mit einer Bewährung auf fünf Jahre vorzeitig entlassen werden. Dabei müssen 15 Jahre verbüßt sein – inklusive der Zeit, die er in Untersuchungshaft verbüßt hat.
  • Eine lebenslange Freiheitsstrafe besitzt zudem keinen festgesetzten Zeitraum. Die Bewährungszeit beträgt in der Regel fünf Jahre. Dessen ungeachtet beträgt eine lebenslängliche Haftstrafe in Deutschland zwischen 15 und 30 Jahren.
  • Ein Gericht muss ein Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit bezüglich der Gefährlichkeit des Häftlings besteht. Das bedeutet: Sachverständige erstellen Gutachten und klären, der Häftling in Freiheit nicht erneut straffällig werden könnte.
  • Hier muss das Gebot der Verhältnismäßigkeit gelten. Die bloße Vermutung, der Strafgefangene könnte wegen geringfügigen Vergehen – wie etwa mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwarz fahren oder kleinere Ladendiebstähle begehen – keine Verlängerung der lebenslangen Haftstrafe rechtfertigen.

Besondere Schwere der Schuld

  • Eine besondere Schwere der Schuld gilt dann, wenn gegenüber anderen, ähnlichen Taten ein wesentlich größeres Maß an Schuld vorliegt – etwa bei vielfachem Mord und besonderer Brutalität. Die dahinter stehenden Motive können sein: besondere Verwerflichkeit, die Täterpersönlichkeit, perverse sexuelle und/oder gewalttätige Neigungen. Liegt eine besondere Schwere der Schuld vor, wird die Haft nach 15 Jahren nicht beendet.

Sicherungsverwahrung

  • Eine Sicherungsverwahrung, die über die lebenslange Haftstrafe hinaus angeordnet werden kann, ist keine Freiheitsstrafe im eigentlichen Sinne, sondern eine „Maßregel der Besserung und Sicherung“.