Erste Annäherungen: Die grüne Europa-Abgeordnete Franziska Keller, Ministerpräsident Alexis Tsipras, die grüne Parteichefin Simone Peter und Umweltminister Yanis Tsironis. Foto: Wallet

Alles soll anders werden in Griechenland, sagen der Regierungschef Alexis Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis. Der Umgangston ist es schon. Und überall wabern abstruse Verschwörungstheorien.

Athen - Der Mann kann sich in Rage reden. In heiligen Zorn geradezu. Es ist ein wahrhaft olympisches Donnergrollen. Und alle Blitze zielen auf Deutschland. Griechenland sei einer Erpressung durch die EU ausgesetzt, sagt er. „Und Deutschland ist der Anführer der Entwürdigung Griechenlands.“

Wenn Wolfgang Schäuble, der deutsche Finanzminister, sage, das griechische Volk tue ihm wegen seiner neuen Regierung leid, dann wolle er doch eigentlich zum Ausdruck bringen: „Wir scheren uns nicht um die Demokratie in Griechenland, bis wir sie ausgelöscht haben.“

Das ist nicht die Stimme der Straße, die sich da ungefiltert und undiplomatisch Bahn bricht. Der Mann arbeitet in allernächster Nähe des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis. Der Minister würde das wohl nicht sagen. Nicht so jedenfalls. Aber was heißt das eigentlich, wenn solches Gedankengut in seiner unmittelbaren Nähe glimmt und schwelt und manchmal vulkanisch ausbricht?

Wie tickt Regierungschef Alexis Tsipras?

Es war am Freitag vergangener Woche, soeben hat der Deutsche Bundestag die Verlängerung des Hilfsprogramms für Athen mit großer Mehrheit gebilligt. Simone Peter, Vorsitzende der Grünen, ist für ein Wochenende nach Griechenland gekommen, um mit der neuen Regierung zu sprechen. Und während vor der Tür zum Ministerbüro der Vulkan heiße Wortbrocken in Richtung der mitgereisten deutschen Journalisten speit, empfängt Varoufakis seine Gäste.

Mit Peter sind auch die grünen Europa-Abgeordneten Franziska Keller und Sven Giegold auf Erkundungstour nach Athen gekommen. Wie tickt Regierungschef Alexis Tsipras? Welcher Geist bestimmt die neue Truppe? Das wollen sie herausfinden. Auch im Gespräch mit Varoufakis. Aber ein Gespräch ist es dann nicht, das da zustande kommt. Eher ein Monolog. Ein Kurzseminar über internationale Finanzpolitik.

Die deutschen Gäste registrieren es mit gewisser Verwunderung. Wem das Wasser bis zum Hals steht, der ruft normalerweise nach dem Rettungsring und hält keine Referate über nautische Detailfragen.

"Haben unsere EU-Mitgliedschaft mit Blut bezahlt"

Darum geht es ja überhaupt bei den so vielfältig missglückten Annäherungsversuchen zwischen Berlin und Athen: ein Gespräch zustande zu bringen. Die Streitenden müssen doch ein Mindestmaß an Übereinstimmungen haben, sonst ist selbst noch der Streit fruchtlos und müßig. Übereinstimmungen? „Wir haben unsere EU-Mitgliedschaft mit Blut bezahlt“, spuckt es vor Varoufakis Tür weiter Feuer. „Deutschland nur mit der D-Mark.“

Verschwörungstheorien machen die Runde. Später am Abend geben die griechischen Grünen eine Party. Die sitzen seit der Wahl mit einem Abgeordneten im Parlament, weil sie mit Syriza, der Linkspartei von Alexis Tsipras, eine Listenverbindung eingegangen sind. Nun stellen sie im Kabinett den Chef für Umweltfragen. Korruption sei kein griechisches Phänomen, sagt einer aus ihrer Führungsriege.

Ach nein? „Nein, es ist importiert“. Man ahnt woher – aus Deutschland. „Mit Siemens kam all das Übel ins Land.“ Wo ist die Stimme der Vernunft?

Yanis Tsironis, die Stimme der Vernunft

Die sitzt in einem feinen Athener Restaurant gerade Simone Peter und dem Tross aus Deutschland gegenüber und isst zu Mittag. Yanis Tsironis ist „alternativer Minister für Umweltfragen“. Der Titel ist kompliziert, denn das Ressort leitet Panagiotis Lafazanis, es heißt „Ministerium für produktiven Wiederaufbau, Umwelt und Energiewesen“.

Aber für seinen Zuständigkeitsbereich hat Tsironis – Mitglied im Leitungsgremium der griechischen Grünen und bisher Chemielehrer an der Hochschule – Entscheidungsgewalt, und er sitzt im Kabinett.

Das ist wichtig, denn er ist zuständig für das Erstellen eines Katasters, eine der großen Herausforderungen für die neue Regierung. Aber davon will er jetzt gar nicht reden. Er spricht lieber von der „Hoffnung“. Das sei das Wort, das die Stimmung im Land beschreibe. „Die Leute haben uns gewählt, um das korrupte Griechenland all der Vorgängerregierungen zu ändern.“

Er hält keine Referate, er droht nicht

Da kann er Recht haben. Und diese Verantwortung kann niederdrückend sein. „Wenn wir es nicht schaffen“, sagt Tsironis, „dann kommen die Rechtsradikalen, die Nazi-Partei.“

Am nächsten Tag lädt Tsironis in sein Ministerium. Ein Altbau. Leitungen über Putz. Das Kommen und Gehen unzähliger Vorgänger-Regierungen hat Spuren auf den Möbeln hinterlassen. Das Büro ist, nun ja, äußerst bescheiden. Wie Tsironis. Er hält keine Referate, er droht nicht. Er beschreibt Prioritäten: „Wir brauchen ein stabiles Steuersystem und eine stabile Basis für die Raumplanung: ein Kataster.“ Das sei am wichtigsten. Und Impulse für die Wirtschaft müssen helfen, die Rezession zu überwinden. Klingt gut. Der Rest klingt schlecht.

Schlamperei der Verwaltung verursache täglich Abflüsse von Finanzmitteln nach Brüssel, sagt Tsironis. Das Land habe mindestens 300 ungenehmigte Mülldeponien. Für jede dieser wilden Deponien, die noch in Betrieb ist, müsse Athen 80  000 Euro pro Halbjahr an Brüssel zahlen. Bei stillgelegten, aber noch nicht geräumten Halden betrage die Strafgebühr 40  000 Euro. Und wie viele Kontrolleure habe er, um die Schließungen durchzusetzen, will Simone Peter wissen. Die Antwort ist trostlos: „Vier für den ganzen Norden.“

"Frauen wollen nicht in die Politik"

Bei dieser erdrückenden Problemlast wirkt so manches klassisch deutsch-grüne Herzensthema ein wenig luxuriös. Warum so wenige Frauen im Kabinett von Alexis Tsipras säßen, hatte Simone Peter beim Mittagessen gefragt. „Frauen?“ Tsironis wirkt ein wenig irritiert. „Tja also“, sagt er dann. „Frauen wollen nicht in die Politik“, meint er. „Das erfordert zu viele Opfer. Sie wollen diese Art externer Aktivitäten nicht.“ Die deutschen Gäste wechseln das Thema.

Dann ein Stadtspaziergang, nicht weit vom Zentrum. In einem Hof drängen sich Menschen. Viele ältere Männer, manche Schwarze, auch einige Drogenabhängige. Sie stehen Schlange. Warmes Essen wird ausgeteilt. Kostenlos. Es ist eine von unzähligen Suppenküchen in der Stadt. Jede Kirchengemeinde hat solche Anlaufstellen eingerichtet. Diese ist städtisch. Hier arbeitet Eleni Katsouli. Früher, „in guten Zeiten“, kamen hier 300 Menschen täglich. Heute sind es 2500. In der Nähe gib es eine Kleiderkammer, dort sind 6500 Menschen registriert. „Die Armut ist real“, sagt Katsouli. Sie sei keine politische Erfindung. „Die Leute haben doch keine linke Ideologie gewählt“, sagt sie. „Nur die Hoffnung auf Besserung.“

Im Gespräch mit Peter hatte Tsipras ein Gesetzesbündel angekündigt, das sich nur den Armen widmet. Inzwischen hat er es auch öffentlich vorgestellt: Überschuldete Mieter sollen nicht aus den Wohnungen geklagt werden dürfen, der Strom darf ihnen nicht mehr abgeschaltet werden. Keine Sparmaßnahmen, würden die Kontrolleure der Troika sagen. Kann sein. Aber notwendig.