Da geht’s lang: Weißrusslands Präsident Lukaschenko gibt Präsident Putin, Kanzlerin Merkel, Präsident Hollande und Präsident Poroschenko (v. l.) einen Regiehinweis Foto: EPA POOL

Die ganze Nacht hindurch feilen Merkel und Putin, Poroschenko und Hollande in Minsk an einer Feuerpause für das ukrainische Kriegsgebiet Donbass. Mehr als 16 Stunden dauern die Verhandlungen für den Frieden in Europa. Aber hält das Ergebnis, was es verspricht?

Brüssel/Minsk - Sie kommen zu spät. Zwei Stunden müssen die übrigen 26 Staats- und Regierungschefs in Brüssel warten. Ohne die Kanzlerin und den französischen Präsidenten will am Donnerstag niemand mit dem EU-Gipfel anfangen. Wer einen Auftritt der „Helden von Minsk“ erhofft hat, wird enttäuscht. „Was wir erreicht haben, ist ein Hoffnungsschimmer“, sagt eine erstaunlich frisch wirkende Angela Merkel. „Die nächsten Stunden werden entscheidend sein“, ergänzt François Hollande. „Das ist ein großer Tag für Europa“, lobt nicht nur Finnlands Premier Alexander Stubb die Initiative aus Berlin und Paris. Und fügt hinzu: „Ich habe im Georgien-Konflikt vermittelt. Ich weiß, was das für ein harter Brocken ist.“

Am Runden Tisch dieses EU-Gipfels gibt es schüttelnde Hände, erleichtertes Lachen und Schulterklopfen. Doch Euphorie macht sich nicht breit. Erst wenn tatsächlich ab Sonntagmorgen, 0 Uhr, die Waffen schweigen, ist die Gemeinschaft bereit, die schon beschlossene Verschärfung der Sanktionen am Montag auszusetzen, kommen die Staats- und Regierungschefs überein.  Zwar gibt es kritische Stimmen aus den Reihen der baltischen Staaten, die mahnen, „den Druck auf Moskau so lange aufrechtzuerhalten, bis ein Friedensprozess unumkehrbar geworden ist“. Doch dafür schwärmen andere Mitglieder der Runde bereits von einer Rückkehr zu glücklichen Zeiten und einer „engeren Partnerschaft“ mit Russland. „Das Angebot der Kanzlerin einer Freihandelszone mit Russland klingt sicher auch für Moskauer Ohren sehr verlockend“, sagt ein hoher EU-Diplomat. „Aber es ist noch zu früh zu träumen.“

Für den notwendigen Realismus sorgt nicht zuletzt der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, der vor den EU-Kollegen über den Stand der Reformen in seinem Land berichtet – und um weitere Unterstützung bittet. „Wir sind erst am Anfang unseres Weges“, erklärt er.

Rückblick: Was für eine dramatische Nacht. Hoffnung, Rückschritt, Ringen, Durchbruch, Scheitern – dann Einigung. Dass ein Krisengipfel für Frieden in der Ukraine mit Russlands Staatschef Wladimir Putin eine neue Nachtschicht bedeuten kann, befürchtet Merkel schon vor ihrer Ankunft in Minsk. Dass es 17 Stunden dauern wird, bis sie mit Putin, Poroschenko und Hollande eine Waffenruhe für den Donbass vereinbaren kann, zeugt von dem Hass und den Hürden zwischen den Feinden.

Übernächtigt, aber erst einmal erleichtert stellen sich Merkel und Hollande vor die Kameras. Doch Merkel jubelt nicht. „Es ist noch sehr, sehr viel Arbeit notwendig. Es gibt aber eine reale Chance, die Dinge zum Besseren zu wenden“, mahnt sie. Sie macht sich keine Illusionen, dass das Risiko weiterer Gewaltexzesse groß ist. Genauso sagt sie es: „Wir haben keine Illusion.“ Sie bleibt bei dem Wort, das sie schon zu Beginn ihrer Initiative vor einer Woche für den Prozess gewählt hat: Es ist ein „Hoffnungsschimmer“.

Gegen das erste Friedensabkommen von Minsk im September 2014 ist schnell verstoßen worden. Nun gibt es Minsk II. Umgesetzt werden muss der neue Friedensschluss von Minsk nun von den Konfliktparteien.

Poroschenko habe die Einheit seines Landes vehement verteidigt, berichtet Merkel. Wie sie hebt auch Hollande hervor, dass Putin Druck auf die Separatisten gemacht habe. Die Aufständischen in dem russisch geprägten Gebiet in der Ukraine sperren sich erst gegen einen neuen Friedensplan, unterschreiben dann aber doch. Dabei sieht es in dem protzigen Palast der Unabhängigkeit von Weißrusslands Staatschef Alexander Lukaschenko zeitweilig so aus, als würde alles platzen.

Die Vierer-Gruppe macht kaum Pausen, verhandelt mal nur unter sich, mal erweitert mit Außenministern und Beratern, lässt sich bergeweise Obst bringen. Dann verlässt zuerst Poroschenko den Saal zeitweilig, dann Putin. Merkel und Hollande warten auf Zugeständnisse. Der Russe und der Ukrainer kehren zurück – und einigen sich. „Ein Nervenkrieg“, so ein ukrainischer Offizieller.

Gespräche über einen Frieden im Donbass gab es schon viele in Minsk, seit der Konflikt im April 2014 ausbrach. Immer wieder scheiterten die Feuerpausen nach kurzer Zeit. Grund dafür war stets die mangelhafte Kontrolle der Waffenruhe. Die unbewaffneten Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) haben keine Druckmittel gegen die bis an die Zähne gerüsteten prorussischen Separatisten. Im Einsatz sind zudem regierungstreue Freiwilligenbataillons und von Oligarchen gesponserte Privatarmeen, die nicht immer auf das Kommando des Oberbefehlshabers hören.

In all diesen Kampfverbänden muss letztlich über komplizierte Befehlsketten eine Feuerpause durchgesetzt werden. Klar ist: Sollte Minsk II scheitern, befürchten alle Seiten eine weitere Eskalation.