Vor 200 Jahren wurde in Plattenhardt der Flugpionier Jacob Brodbeck geboren. Er hat in Texas das erste bemannte Motorflugzeug gebaut. Doch richtig geflogen ist es nie. Außer einem Apotheker aus Bonlanden erinnert sich kaum jemand an den Tüftler.
Filderstadt - Gut möglich, dass die Mühen der achtwöchigen Schiffsreise von Antwerpen nach Galveston in Texas anno 1846 den Traum vom Fliegen eines Auswanderers aus dem bitterarmen Plattenhardt beflügelt hatten. Jedenfalls notierte Jacob Brodbeck später seine Beobachtungen aus der „Element“, die 170 Auswanderer – darunter zwei Dutzend aus Plattenhardt, Waldenbuch und Dettenhausen – in ein Auffanglager in Indianola brachte, in dem Hunger und Epidemien jeden vierten Neuankömmling dahinrafften: „Die genaue Beobachtung des Fluges der Vögel überzeugte mich, daß diese nach dem Prinzip der vereinigten Wirkung des Papierdrachens und Fallschirmes fliegen. Untersuchen wir diese Wirkung.“
Bis Jacob Brodbeck 1865 zum ersten Mal Gelegenheit haben sollte, seine aus der Vogelbeachtung gewonnenen Erkenntnisse zu einem Flugversuch gerinnen zu lassen, arbeitete er im texanischen Fredericksburg, Castell und San Antonio als Lehrer, Farmer, Winzer, Landvermesser, Schulverwalter und Commissioner. Außerdem zeugte der vielseitig begabte Plattenhardter, – der einst selber neun Geschwister hatte, von denen allerdings sechs in ihrem ersten Lebensjahr starben – mit seiner Frau Christina Behrens zwölf Kinder. Er soll nebenbei auch Orgel gespielt, komponiert und an einer Eismaschine getüftelt haben.
Gefunden hat Jacob Brodbecks Notiz über seine Vogelbeobachtungen aus der „Element“ rund anderthalb Jahrhunderte später der Bonlandener Apotheker und Hobbyhistoriker Carsten Wagner. Wagner hat – gemeinsam mit dem Filderstädter Stadtarchivar Nikolaus Back – vor zehn Jahren den grundlegenden Aufsatz über den Flugpionier aus Plattenhardt verfasst, aus dessen Inhalt sich auch dieser Zeitungsartikel speist. „Jacob Brodbeck war 1865 sehr früh dran“, sagt Wagner, wenn man ihn anruft, „und er ist an zwei Sachen gescheitert“.
Alternativen zum tonnenschweren Motor
Zum einen habe Brodbeck die Erkenntnisse des Luftfahrtpioniers Otto Lilienthal bezüglich der perfekten Flügelform noch nicht gekannt, sagt Wagner. Zum anderen war anno 1865 die Motorenentwicklung noch nicht so weit wie die Fluglust des Plattenhardters: „Er errechnet eine Sollgeschwindigkeit von 30 bis 100 Meilen pro Stunde und einen Kräftebedarf von 80 PS. Dies hätte bei Einsatz einer Dampfmaschine etwa 20 Tonnen Gewicht bedeutet“, schreibt Wagner in seinem Aufsatz, „daher wendet er sich schnell anderen Antriebstechniken zu“.
Bevor Brodbeck dem Uhrmacherhandwerk entlehnte Federspulen zwecks Antrieb in einen Bootskörper einbauen konnte, sammelte er – durchaus erfolgreich – Geld mit Fünf-Dollar-Anleihen für sein „airship invented by me“. Anno 1865, wahrscheinlich am 20. September, wurde das von ihm erfundene Luftschiff mit Flügeln, zwei Propellern, Höhen- und Seitenruder von einer 20 Meter hohen Plattform gestoßen: „Die Begeisterungsstürme der Zuschauer entbrennen, als das Airship über den Baumwipfeln segelt“, schreibt Carsten Wagner, „doch Brodbeck ist es nicht möglich, die Federspulen während des Fluges kontinuierlich nachzuziehen. Der Flug endet nach kurzer Zeit mit dem Absturz, den Brodbeck nahezu unverletzt übersteht“.
100 Meter bis zum Absturz
Seinen Kampf gegen die Schwerkraft sah Jacob Brodbeck, der am 21. Oktober 1821 vermutlich in der Plattenhardter Kirchstraße 26 geboren worden war, nach dem ersten Rückschlag noch nicht als beendet an. Bei seinem zweiten Flugversuch 1874 habe sich Brodbeck vor dem Absturz seines Fluggerätes vermutlich „einige Minuten“ in der Luft befunden, schreibt Carsten Wagner. Obwohl danach Brodbecks Versuch misslang, Geld aus einer Plattenhardter Erbschaft für die Investition in seine Flugleidenschaft ausgezahlt zu bekommen, konnte er 1895 noch einen dritten verbürgten Flugversuch wagen: Dabei soll er bis zum Absturz eine ungefähr 100 Meter lange Wegstrecke in circa vier Metern Höhe zurückgelegt haben. „Es ist Jacob Brodbeck vor seinem Tod am 8. Januar 1910 noch vergönnt, Zeuge des ersten offiziellen Motorfluges 1903 zu werden“, schreibt Carsten Wagner, „die Gebrüder Wright verwirklichen den Traum, der sein Leben geprägt hatte“. Verbittert soll er am Ende seiner Tage gewesen sein.
Abgesehen von einem Jacob-Brodbeck-Denkmal in Plattenhardt und einer Schautafel-Erwähnung im Deutschen Museum in München gibt es bis heute hierzulande kaum öffentlich zugängliche Erinnerungen an den Flugpionier von der Filderebene. Dabei bescheinigte ihm 1993 Hans Holzer, damals Kurator für Luftfahrt am Deutschen Museum, „das erste manntragende Motorflugzeug unabhängig von seiner Lufttüchtigkeit“ gebaut zu haben. Dass das Museum in München auf den Flugtüftler aus Plattenhardt aufmerksam geworden ist, hat übrigens auch der Apotheker Carsten Wagner aus Bonlanden in die Wege geleitet.