Ein Fall im Südwesten wirft ein Schlaglicht darauf, dass nicht nur der Staat bei der Abschiebung von Flüchtlingen mit harten Bandagen kämpft, sondern auch jene, die sich für diese Flüchtlinge einsetzen Foto: dpa

Viele Sinti und Roma sind zuletzt ins Land gekommen. Der Flüchtlingsrat setzt sich für sie ein. Unliebsame Tatsachen lässt er dabei allerdings gerne mal weg, wie ein aktueller Fall zeigt.

Stuttgart - Keine Abschiebung von Familie Golja! Das fordert der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, der die Arbeit der örtlichen Asylkreise im Südwesten koordiniert, auf einer Art Flugblatt. Der Flüchtlingsrat sammelt so auf seiner Homepage im Internet noch bis 31. Januar sowohl Unterschriften als auch Spenden (bislang kam angeblich ein dreistelliger Betrag zusammen), damit die fünfköpfige Roma-Familie, die momentan in einer Gemeinschaftsunterkunft in Hardheim im Neckar-Odenwaldkreis lebt, nicht gehen muss.

Die Unterschriften (nach der letzten Zählung 348) sollen dann an Innenminister Reinhold Gall (SPD) übergeben werden, möglicherweise auch an die Härtefallkommission des Landes, denn für den Flüchtlingsrat ist der Fall ein Musterbeispiel dafür, wie unmenschlich das Land auch unter einer grün-roten Regierung solche Flüchtlinge behandelt. Obwohl die Familie Golja „vergleichsweise gute Voraussetzungen für ein eigenständiges Leben in Deutschland“ mitbringe, weil sie unter anderem ganz gut Deutsch spreche, dürfe sie nicht bleiben. Soweit der Flüchtlingsrat.

Wäre das die ganze Wahrheit, könnte man die Geschichte an dieser Stelle beenden. Aber das ist sie nicht. Es gibt auch noch die andere Seite der Familie Golja, über die in dem Flugblatt nichts steht. Der Fall wirft ein Schlaglicht darauf, dass nicht nur der Staat bei der Abschiebung von Flüchtlingen mit harten Bandagen kämpft, sondern auch jene, die sich für diese Flüchtlinge einsetzen. Die Innenbehörden, die die Abschiebungen organisieren und durchführen müssen, klagen immer wieder darüber, dass die Flüchtlingslobby übertreibe und die Öffentlichkeit einseitig informiere, um Druck zu machen.

„Der Flüchtlingsrat schadet durch die einseitige Information seinem Ansehen.“

Der Fall der Familie Golja gilt allerdings als besonders krass. Selbst altgediente Beamten macht er zornig. Worte wie „unglaublich“ und „unanständig“ fallen, wenn es um das Vorgehen des Flüchtlingsrates geht. Und der Abgeordnete Bernhard Lasotta, Flüchtlingsexperte der CDU im Landtag, sagt: „Der Flüchtlingsrat schadet durch die einseitige Information seinem Ansehen.“

Wer die ganze Wahrheit über die Familie Golja wissen will, muss mit der Polizei reden. Die darf aus Datenschutzgründen offiziell nichts sagen, aber hinter vorgehaltener Hand erfährt man einiges. Demnach beschäftigt die aus Serbien stammende Familie schon lange die Polizei. Im Dezember 1996 wurde sie laut den Behörden nach sechs Jahren in Deutschland erstmals abgeschoben, weil sie sich weigerte, freiwillig auszureisen. Im Jahr 2010 reiste sie dann illegal aus Österreich wieder ein – und wurde prompt wieder zurück gebracht. Anfang 2012 geschah das Gleiche, nur kam die Familie da aus der Schweiz, wo sie laut Flüchtlingsrat „in sehr unwürdigen Flüchtlingsunterkünften wohnen musste“.

Kaum abgeschoben, stand die Familie einen Monat später wieder da. Dieses Mal war sie aus Frankreich eingereist, stellte erneut einen Asylantrag, aber das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weigerte sich, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen. Die Familie kam bis auf weiteres in eine Gemeinschaftsunterkunft nach Hardheim, das war Ende Februar 2012. Danach reiste sie nach weiteren Abschiebungen oder Abschiebeversuchen weitere drei Mal illegal nach Deutschland ein.

Familie fällt unangenehm auf

Illegaler Aufenthalt und illegale Einreise sind allerdings lässliche Sünden im Vergleich zu dem, was sich Mitglieder der Familie vergangenes Jahr sonst noch zuschulden haben kommen lassen: Die Mutter wurde allein im März dreimal beim Stehlen erwischt. Als sie im Oktober zum vierten Mal gefasst wurde, bekam sie eine Strafe von 120 Tagessätzen und gilt somit als vorbestraft. Bei einzelnen Taten dabei war die jüngere ihrer beiden Töchter. Sie kam aufgrund ihres Alters (21) wegen Diebstahls in vier Fällen mit einer Verwarnung und einer Arbeitsauflage davon.

Auch der Sohn (19) fiel unangenehm auf: Wegen eines besonderes schweren Falls von Diebstahl aus einem Auto wurde er vor wenigen Wochen zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Fazit: Von der fünfköpfigen Familie sind bislang nur der Vater und die ältere Tochter nicht durch Straftaten aufgefallen – sieht man von Strafanzeigen wegen illegalen Aufenthalts einmal ab. Wie der Flüchtlingsrat angesichts dessen behaupten kann, die Voraussetzungen für eine Integration der Familie seien gut, ist dem CDU-Flüchtlingsexperten Lasotta ein Rätsel: „Wenn es stimmt, dass die Familienmitglieder straffällig geworden sind und verurteilt wurden, haben diese keine gute Integrationsprognose und die Abschiebung wurde zurecht angeordnet.“

Auf dem Flugblatt des Flüchtlingsrates wird das Vorstrafenregister der Familie nicht einmal angedeutet, weil es angeblich für die rechtliche Bewertung des Falls nicht entscheidend ist. Statt dessen ist ein Foto der Familie zu sehen, das Kritiker als grenzwertig empfinden: Eine der beiden erwachsenen Töchter hat auf dem Bild ein kleines Mädchen auf dem Schoß sitzen. Nur wer das Kleingedruckte liest und sich das Alter der Familienmitglieder anschaut, der kann sich zusammen reimen, dass dieses Kind gar nicht zur Familie gehören kann, also auch nicht von der Abschiebung bedroht ist.

Ist die halbe Wahrheit schon Betrug?

Wie weit darf man gehen, um Mitgefühl zu wecken? Reicht es, nur die halbe Wahrheit zu sagen oder ist das schon eine Form von Betrug? Der Abgeordnete Lasotta hält die Vorgehensweise des Flüchtlingsrats jedenfalls für „moralisch sehr fragwürdig. Als Spender würde ich mich getäuscht fühlen, wenn mir nachträglich Informationen über die Familienmitglieder bekannt geworden wären.“

Vor rund zwei Wochen hat die „Rhein-Neckar-Zeitung“ über das Flugblatt berichtet – und auch in groben Zügen davon, dass die Polizei die Dinge etwas anders darstellt. Den Artikel kann man inzwischen auf der Homepage des Flüchtlingsrates aufrufen. Dazu gestellt ist ein Leserbrief von Andreas Linder vom Flüchtlingsrat: Man solle die Kirche im Dorf lassen und die Straftaten der Familie richtig einordnen, schreibt er. „Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.“ Die Betroffenen hätten eingesehen, dass sie einen Fehler gemacht hätten. Und entscheidend sei, dass die Mutter schwer krank sei und deshalb nicht nach Frankreich abgeschoben werden dürfe, wo ihnen wiederum die Abschiebung nach Serbien droht.

Laut den Behörden ist die Frau allerdings zumindest reisefähig, das habe der Amtsarzt festgestellt. Zuletzt wurde die Familie am 17. Dezember nach Straßburg abgeschoben, einen Tag später war die Familie wieder in Hardheim. Dem Flugblatt zufolge ist die Mutter depressiv und vor allem durch diese letzte Abschiebung traumatisiert.

Damals kamen die Beamten im Morgengrauen und – nach allen negativen Erfahrungen mit der Familie – unangemeldet. Die Mutter wollte daraufhin aus dem Fenster im ersten Stock springen und wurde von den Beamten mit Gewalt daran gehindert und in Handschellen abgeführt. Die Anwältin der Mutter hat deshalb Strafanzeige gegen die Beamten wegen Körperverletzung gestellt. So steht es in dem Flugblatt. Was dort nicht drin steht: Die Beamten haben ebenfalls Anzeige erstattet – wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Laut Polizei war die Mutter an dem Morgen ziemlich aggressiv. Sie werde zurückkommen, soll sie den Beamten gedroht haben, und sie „tot machen“.