Systembauten wie hier in Plieningen werden im nächsten Jahr nicht mehr reichen, um alle Flüchtlinge unterbringen zu können Foto: Heinz Heiss

Trotz ständig neuer Flüchtlingsunterkünfte reicht deren Zahl in Stuttgart bald nicht mehr aus. Nach einer Gesetzesänderung rückt deshalb jetzt die Unterbringung in Gewerbegebieten in den Blickpunkt. Auch Privatleute sollen helfen – mit mäßigem Erfolg.

Stuttgart - Die Not ist groß. Deshalb erwägt die Stadt, in vier Bezirken Flüchtlingsunterkünfte in Gewerbegebieten einzurichten. „Wir befinden uns derzeit in einer verwaltungsinternen Prüfung“, sagt Hermann-Lambert Oediger vom Stadtplanungsamt. Ins Auge fassen die Stadtplaner jene Bezirke, in denen bisher noch keine Flüchtlinge in Heimen unterkommen und die über Gewerbegebiete verfügen: Das sind Ober- und Untertürkheim, Münster und Degerloch.

Hintergrund der neuerlichen Bemühungen ist eine neue Rechtslage, die es erleichtert, Asylbewerber und Vertriebene zumindest vorübergehend zwischen Büros und Fabriken unterzubringen. Bis Ende 2019 gilt eine Änderung des Bauplanungsrechts, die im Kern darin besteht, dass sie eine wohnähnliche Nutzung – etwa Flüchtlingsheime – in Gewerbegebieten nun erlaubt.

„Es gibt allerdings einige Kriterien, die eine Unterkunft an bestimmten Orten ausschließen“, sagt Kirsten Rickes, Chefin des Baurechtsamts. Lärm oder Schadstoffe von Fabriken zählen zum Beispiel dazu. Andererseits dürften auch die Betriebe nicht eingeschränkt werden. Die Auswahl erfolgt zudem danach, wie gut Busse und Bahnen das Gewerbegebiet mit dem Rest der Stadt verbinden. „Ein weiterer Punkt ist die Nahversorgung. Es sollte Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe geben“, sagt Stadtplaner Oediger.

Raum für 400 Flüchtlinge fehlt

Dass der Bedarf an Unterkünften rasant wächst, veranschaulicht Axel Wolf vom Immobilienmanagement der Stadt. „Selbst wenn alle geplanten Systembauten und kleineren Einrichtungen stehen, fehlt uns für das Jahr 2015 immer noch der Raum für 400 Flüchtlinge“, sagt Wolf. Bis zum Ende des Jahres sollen die Pläne für neue Unterkünfte stehen, heißt es beim Stadtplanungsamt.

Die Unterbringung zwischen Büro- und Industriegebäuden ruft Kritik hervor. „Während der Flüchtlingswelle in den 90er Jahren haben wir sehr schlechte Erfahrungen damit gemacht“, sagt Werner Baumgarten, der Beauftragte für Asyl und Migration der Evangelischen Landeskirche Württemberg. „Im Gebäude des heutigen Theaterhauses in der Siemensstraße beispielsweise waren die Bedingungen alles andere als gut.“ Baumgarten bemängelt, dass außerhalb von Wohngebieten meist die Verkehrsanbindung schlechter sei. „Fast ein Drittel der Flüchtlinge sind Kinder, die in der Nähe eine Schule bräuchten, die sie dann aber nicht finden“, gibt er zu bedenken. Er fordert zentralere Einrichtungen.

Besonders die Überlegung, eine Unterkunft in Degerloch anzusiedeln, beurteilt Baumgarten kritisch. „Man hatte ja vor zwei Jahrzehnten schon einmal Container im Gewerbegebiet Tränke stehen. Damals haben wir dagegen protestiert. Und das würden wir heute auch wieder machen“, sagt der Asylpfarrer. Er befürchtet eine Ghettoisierung der Flüchtlinge: „Wenn traumatisierte Menschen irgendwo außerhalb unterkommen, ist das nicht förderlich für deren Integration.“

Die Bürgermeisterrunde im Rathaus hat sich am Donnerstag mit der Unterbringungsfrage beschäftigt. Einer aktuellen Prognose der Stadt zufolge sollen bis zum Ende des Jahres in Stuttgart 2800 Menschen in Flüchtlingsunterkünften leben. Bis Ende 2015 rechnet die Landeshauptstadt mit mehr als 4000 Flüchtlingen. Ob das die endgültige Zahl sein wird, weiß aber niemand. Deshalb wird inzwischen jede Möglichkeit ins Auge gefasst, die Leute unterzubringen.

Von privater Seite, wie die Städte und Landkreise im ganzen Land sich das wünschen, kommt dabei bisher wenig Hilfe. „Wohnungsangebote von Bürgern gibt es nur sehr vereinzelt“, sagt Thomas Zügel. Der Leiter des Liegenschaftsamts berichtet, dass die Kontakte sich meist auf gewerbliche Vermieter beschränken – die Inhaber von Pensionen etwa, die Flüchtlinge unterbringen. Die Miete bezahlt die Stadt.

In der Region haben mehrere Landkreise die Bevölkerung inzwischen offiziell dazu aufgerufen, Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Doch der Rücklauf ist auch dort überschaubar. „Aktuell leben bei uns 39 Asylbewerber in Privatwohnungen“, sagt eine Sprecherin des Landkreises Böblingen. Nach dem Aufruf sei es zu Mietverträgen für rund ein Dutzend Wohnungen gekommen.

Im Kreis Ludwigsburg melden sich immer mal wieder Privatleute, die Zimmer anbieten. Abzocke spiele dabei keine Rolle, betont Sprecher Andreas Fritz vom Landratsamt: „Bei den Vermietern steht die Hilfsbereitschaft im Vordergrund.“ Gleichwohl bezahlen manche Kommunen und Kreise mittlerweile auch Zuschläge auf den ortsüblichen Mietspiegel, um an Wohnraum zu kommen.