Eine Mischung aus Zelt, Turnhalle und Container: Die Notunterkünfte für Flüchtlinge in Berlin bieten zwar keinen Komfort, aber Schutz – auf die Decken der Schlafkabinen wurde übrigens aus Brandschutzgründen verzichtet Foto: dpa

Traglufthallen sind preiswert, hell und bieten das Nötigste zum Leben. Wo sonst Tennisspieler Schutz vor Wind und Wetter suchen, sollen nun Flüchtlinge eine erste Heimstatt finden. In Berlin scheint das zu funktionieren.

Tübingen - Nun kommen sie also doch: In Tübingen und Freiburg sollen die ersten Traglufthallen für Asylbewerber entstehen. Weil solidere Gebäude nicht mehr aufzutreiben sind, sollen sich Flüchtlinge während der ersten Tage unter solchen Kunststoffkuppeln einrichten. „Wir müssen sie einfach unterbringen“, seufzte kürzlich Ministerpräsident Winfried Kretschmann, „was sollen wird denn sonst machen!“

Aber müssen es mobile Hallen sein? Wie die Katze um den heißen Brei schleichen Politiker um diese Alternative. Vielleicht, weil sie an Krisengebiete erinnern oder an Katastrophen-Camps. Oder weil sie so verdächtig nach Provisorien aussehen – dabei halten die ja bekanntlich am längsten. Jedenfalls wollte man solche Hallen bisher nicht. Außer in Berlin sind nirgendwo sonst Flüchtlinge darin untergebracht.

Doch das wird sich ändern. Denn der Druck auf Länder und Kommunen wächst. Rund 10 000 Menschen leben momentan in den baden-württembergischen Erstaufnahmeeinrichtungen, weitere 42 000 in den Kreisen. Und es werden täglich mehr. Zwar stehen nach dem Abzug der Bundeswehr noch einige Kasernen zur Verfügung, so etwa in Sigmaringen. Doch auch dieses Angebot ist endlich. In manchen Schulen fällt schon seit Wochen der Sportunterricht aus, weil ihre Hallen belegt sind. „Schüler machen Platz für Flüchtlinge“, titeln die Zeitungen.

Hersteller hoffen auf Geschäfte

„Wir haben eine ganze Reihe von Anfragen“, sagt Jürgen Wowra, der Geschäftsleiter der Firma Paranet, die Traglufthallen in Serie herstellt, „auch aus Baden-Württemberg“. 20 dieser Gebilde, die ansonsten Tennisplätze oder Schwimmbecken vor Schnee, Wind und Regen schützen, liefert er dieses Jahr nur für Flüchtlinge aus. Zum Beispiel an den Landkreis München, der mehrere für jeweils bis zu 300 Personen aufstellen will.

Bayerische Kommunalpolitiker sind eigens nach Berlin gereist, um sich ein Bild davon zu machen, wie es sich lebt unter einer Plane in neun Meter Höhe, die von einem künstlich erzeugten Überdruck am Schweben gehalten wird. Gar nicht so schlecht, berichten sie nach ihrer Rückkehr der lokalen Presse. Das bekräftigt auch die Berliner Stadtmission, eine der großen karitativen Einrichtungen der Hauptstadt, die beide Hallen in Moabit betreibt: „Manchmal kommen Flüchtlinge zurück, die jetzt in festen Unterkünften leben, und sagen: Mir hat es hier besser gefallen“, berichtet Sprecherin Ortrud Wohlwend.

Schlafzimmer mit drei Stockbetten

So ungemütlich, wie sie auf den ersten Blick erscheinen, sind solche Hallen in der Tat nicht. Hersteller wie Struckmeyer (Porta Westfalica) oder Paranet (Berlin) preisen die hohe Lichtdurchlässigkeit der Außenhülle und das großzügige Raumgefühl. „Da sieht man die Wolken vorbeiziehen, es drückt nichts“, sagt Wowra. Innen ist der Raum unterteilt, es gibt Container für den Sanitärbereich und aus Holz gezimmerte Schlafkabinen mit jeweils drei Stockbetten.

2,4 bis drei Quadratmeter stehen laut Berliner Senat jedem Flüchtling in den Kabinen zur Verfügung. Außerdem wurden ein Kinderspielplatz, eine Lounge mit Ikea-Sofas und eine Cafeteria eingerichtet – auf insgesamt 2500 Quadratmetern. Rund 250 Menschen leben so zwischen einem und fünf Tagen in den beiden Hallen nahe dem Hauptbahnhof, ehe man sie weiterverteilt.

„Komfortzelte“ hat Kretschmann die Hallen kürzlich genannt, aber eigentlich sind es keine Zelte, darauf legen die Hersteller Wert. Denn ihre Hülle schwebt auf Luft, während Zelte ein Korsett aus Stangen benötigen. Billiger als Häuser sind sie aber allemal, auch wenn laut Senat rund 800 000 Euro Investitions- und Herrichtungskosten anfallen. Denn ohne Anschlüsse für Wasser, Abwasser und Strom funktioniert auch eine Traglufthalle nicht. Auch sogenannte Modulbauten, landläufig Container genannt, gelten als teurer in der Anschaffung. Denn sie brauchen ein Fundament.

Lösung für das Raumproblem?

Sind die wolkigen Gebilde also die Lösung des Raumproblems für Flüchtlinge? Als dauerhafte Bleibe zieht sie derzeit niemand in Betracht. Als Kurzzeit-Logis sind sie zumindest umstritten, wie die Diskussion der vergangenen Tage im Landkreis München zeigte. „Ist dort wirklich ein menschenwürdiges Leben möglich?“, fragte eine Kommunalpolitikerin. Der Haupteinwand: Trotz der Binnengliederung fehlt es an Rückzugsmöglichkeiten für die Bewohner.

„Es ist nicht alles romantisch“, räumt Ortrud Wohlwend von der Stadtmission ein und berichtet von Drogenproblemen, Gewalt und ethnischen Konflikten. Aber gibt es die nicht auch andernorts? Ohne intensive soziale Betreuung funktioniere kein noch so komfortables Flüchtlingsheim, argumentiert sie: „Wir haben eine Rund-um-die Uhr-Betreuung, und die ist auch notwendig.“ In diesem Fall aber seien die Traglufthallen eine gute Lösung.

Tübingen und Freiburg sind aufgeschlossen – auch wenn ihnen noch keine offizielle Anfrage vorliegt. Kretschmann hat die Absicht jüngst publik gemacht. Voraussetzung in Tübingen: Das dafür ausgeguckte Gelände neben dem Landratsamt soll nicht länger als zehn Jahre belegt sein. Dann benötigt die Stadt die Fläche selbst. In Freiburg ist die Halle ohnehin nur als Zwischenlösung bis zur Eröffnung der Landeserstaufnahmestelle auf dem Gelände der Polizeiakademie im Jahr 2017 geplant.

Tennishalle für 150 000 Euro

Die Branche wittert jedenfalls ein Geschäft. Gut ein halbes Dutzend Hersteller gibt es in Europa. Welcher in Baden-Württemberg zum Zug kommt, ist letztlich eine Frage des Preises: „Wir werden das ausschreiben“, sagt ein Ministeriumssprecher. Ab 150 000 Euro ist zum Beispiel eine 36 auf 36 Meter große Tennishalle der Firma Struckmeyer zu kaufen – ohne Boden, aber mit LED-Beleuchtung, wie Geschäftsführer Frank Zielke sagt.

Seine Referenzliste ist lang und erstreckt sich über ganz Deutschland: von der Tennishalle der Freiburger Turnerschaft bis zur Freibad-Überdachung in Elmshorn. Der Konkurrent Paranet wirbt mit einem Rundum-sorglos-Paket, wenn man eine Halle mietet – was auch für die Flüchtlingsunterbringung eine Option wäre.

Als Sporthallen sind diese Gebilde fast in jeder größeren Stadt zu besichtigen. Zu Zeiten von Tennis-Queen Steffi Graf schossen sie wie die Pilze aus dem Boden. Der Boom des weißen Sports ist mittlerweile abgeebbt – umso willkommener ist den Herstellern nun die neue Nutzungsoption. Vier bis sechs Wochen dauert es, bis Paranet eine neue Halle gefertigt hat. Genügend Zeit also bis zum Winter. Doch Geschäftsführer Wowra hat da so eine Vorahnung: „Sobald der erste Schnee fällt, muss es ganz schnell gehen.“