Freiwillige Helfer geben in der Nähe der griechisch-mazedonischen Grenze Suppe aus. Die Schlangen werden täglich länger. Foto: MK

Die Lage im griechischen Idomeni spitzt sich zu. Rund 8000 Flüchtlinge wollen von dort über die gesperrte Grenze nach Mazedonien. Geschäftemacher verdienen damit gutes Geld.

Stuttgart/Idomeni - Michael spricht mit leicht krächzender Stimme. Unruhig rutscht er auf dem Stuhl in einer Stuttgarter Kneipe hin und her. Eben ist der junge Mann aus dem griechischen Idomeni zurückgekommen. Dort ist die Balkanroute derzeit weitgehend geschlossen, weil Mazedonien einen Grenzzaun errichtet hat und nur noch wenige Menschen durchlässt. Michael, der sagt, sein Nachname spiele keine Rolle, weil es um die Sache gehe, hat drei Wochen lang als Freiwilliger geholfen, gestrandete Flüchtlinge mit Suppe zu versorgen. Zurückgekehrt ist er nur, weil er sich eine schwere Erkältung eingefangen hat und vorerst nicht weitermachen kann. Doch mitgebracht hat er auch schlimme Eindrücke.

Griechenland ist mit der Situation komplett überfordert“, sagt er. Das eigentliche Camp direkt an der mit doppeltem Stacheldraht gesicherten Grenze sei zumeist hoffnungslos überfüllt. Dort hat es nicht nur am Montag Ausschreitungen gegeben, weil die Leute versucht haben, mit Gewalt den Zaun einzureißen. Schon in den Monaten zuvor war die Stimmung aufgeheizt – zwischen den Sicherheitsbehörden und den Flüchtlingen, aber auch unter den Gestrandeten selbst. Syrer gegen Afghanen, Nordafrikaner gegen Schwarzafrikaner – man kommt schwer miteinander klar. Wer hier weshalb noch über die Grenze darf, versteht kaum einer. Deshalb dürften nur noch 1500 Menschen ins Camp, um Luft zu schaffen, erzählt der junge Stuttgarter.

Die anderen landen etwa 20 Kilometer von der Grenze entfernt an einer Tankstelle im Nirgendwo. Dort spucken die Busse sie aus. An manchen Tagen drängen sich Tausende. Dort hat Michael der niederländischen Aid Delivery Mission, einem Zusammenschluss von Helfern aus unterschiedlichen Ländern, beim Kochen und Verteilen von Suppe geholfen – in unglaublichen Mengen. „An einem Tag haben wir 6000 Portionen ausgegeben“, erzählt er. Die auf Spenden angewiesene Gruppe ist wie die wenigen anderen Hilfsorganisationen vor Ort finanziell und personell am Anschlag.

Eine Tankstelle im Nirgendwo verbucht Rekordumsätze

Da geht es anderen im Grenzgebiet deutlich besser. „Es ist ekelhaft zu sehen, wie an vielen Stellen gute Geschäfte mit den Flüchtlingen gemacht werden“, sagt Michael. Da seien zum Beispiel die Betreiber der Tankstelle, „die den Umsatz ihres Lebens machen“. Die hätten sogar versucht zu verhindern, dass Ehrenamtliche Suppe verteilen. Die Helfer anderer Organisationen müssten dort überteuerte Sandwiches kaufen, um sie dann kostenlos an die Asylsuchenden weiterzugeben.

Fassungslos beobachten die Freiwilligen auch den Bustourismus in dem Gebiet. Die meisten Flüchtlinge werden von privaten Busunternehmen aus Athen zur Grenze gebracht. Und zwar auch die, bei denen von vornherein klar ist, dass sie nicht nach Mazedonien dürfen, weil sie keinen syrischen oder irakischen Pass haben. „Die Fahrt kostet 40 Euro pro Person. Und wenn die Leute dann erwartungsgemäß nicht weiterkommen, bietet man ihnen an, sie für weitere 40 Euro wieder zurückzufahren“, erzählt der Helfer. Inzwischen gebe es sogar Gerüchte, dass sich Busse für 1500 Euro einen besseren Platz in der Warteschlange kaufen könnten – Geld, das ebenfalls bei den Insassen eingesammelt wird.

Die Schlepper wiederum warten bei einem heruntergekommenen Hotel in der Nähe eines Wäldchens. Dorthin schlagen sich oft diejenigen durch, die es nicht über die Grenze schaffen. „Jeder, der ankommt, weiß schnell, wie das läuft“, sagt Michael. Eine Gruppe Pakistaner, die in Mazedonien aufgegriffen und zurückgebracht worden ist, habe erzählt, dass allein die Schleusung von der Grenze bis nach Serbien 1800 Euro gekostet habe – pro Nase. Woher das Geld kommt? „Das weiß keiner so genau“, sagt Michael.

Wenn Politiker kommen, ist das Camp plötzlich leer

Bizarre Szenen hat der Stuttgarter beobachtet. Zum Beispiel, wenn Spitzenpolitiker zu Besuch kommen – und die Camps urplötzlich fast leer sind. Weil dann doch Menschen über die Grenze gelassen oder weggebracht werden, zudem keine neuen Busse vorfahren dürfen. Oder die Sache mit dem Müll: Die Hilfsorganisationen verwenden Plastikbecher und -tüten, weil alles andere für sie nicht zu bezahlen ist. So entstehen riesige Abfallmengen, um die sich keiner kümmert, wenn die Helfer es nicht selbst tun.

8000 Menschen haben sich am Dienstag in und um Idomeni gestaut. Mittlerweile reiht sich über Kilometer Zelt an Zelt, viele schlafen auf dem Boden. Vielleicht gibt es für die Wartenden Hoffnung – zumindest auf eine bessere Unterbringung. Um die Lage zu entschärfen, sollen sieben neue Lager für mehr als 20 000 Menschen südlich der Grenze gebaut werden. Das könnte die freiwilligen Helfer entlasten und die Lage verbessern.

Doch das Grundproblem bleibt bestehen: Zigtausende wollen weiter – zumeist nach Deutschland. „Da stecken auch die Helfer in einem Dilemma“, sagt Michael. „Die Flüchtlinge haben große Illusionen, was sie in Deutschland angeblich alles erwartet – lässt man ihnen die, oder schildert man die Realität?“ Selbst die dürfte die meisten nicht aufhalten. Deshalb wird Michael wohl bald zurückkehren – um die größte Not zu lindern.