Beate Zschäpe lebte jahrelang mit ihren Komplizen im Untergrund. Foto: dpa

Werden Extremisten erst wirklich gefährlich, wenn man ihre Organisationen verbietet? Eine Fachtagung des Landesamts für Verfassungsschutz wirft Fragen zum Umgang mit radikalen Gruppierungen auf.

Stuttgart - Radikale Gruppen sind auf dem Vormarsch. Da ist sich Hans-Gerd Jaschke sicher. Den Grund dafür sieht der Experte für Rechtsextremismus in einer geschwundenen Bindung an soziale Milieus und stärkerer Individualisierung. „Extremistische Gruppen geben Halt, Anerkennung, Orientierung und Stärke“, sagt der Professor der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht am Montag bei einer Fachtagung des Landesamts für Verfassungsschutz in Stuttgart.

Um der Radikalisierung von Jugendlichen vorzubeugen, fordern Jaschke und seine Kollegen, dass Pädagogen, Polizei, Jugendarbeiter und Sicherheitsbehörden enger zusammenarbeiten. Vor allem die Polizei im Streifendienst müsse in Sachen Extremismus besser geschult werden, fordert Jaschke: „Die Beamten sollten wissen, wie sie Tendenzen zur Radikalisierung erkennen können.“

Vom Verbot extremistischer Gruppen hält Jaschke dagegen wenig: „Wir hatten in den neunziger Jahren eine Häufung von Verboten rechtsextremer Gruppen und haben die Folgen niemals wissenschaftlich aufgearbeitet.“ Man müsse sich daher die Frage stellen, ob der Staat nicht erst die Rahmenbedingungen für die Entstehung einer konspirativen Organisation wie dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) gelegt hat. Eine Verbotspolitik führe dazu, dass extremistische Gruppen lernten, sich heimlich zu organisieren. Eine weitere Radikalisierung vollziehe sich dann, ohne dass es von den Behörden wahrgenommen werde.

Auch Beate Bube, Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz, hält eine Aufarbeitung für notwendig. Auch wenn sie das Verbieten radikaler Gruppen nach wie vor für sinnvoll hält: „Das ist auch eine Botschaft der Politik an die Bevölkerung, dass sie das Problem erkannt hat und handlungsfähig ist“, sagt Bube. Es sei jedoch klar, dass ein Teil der Extremisten nach einem Verbot in den Untergrund abwandere und dadurch nur noch schwer überwacht werden könne. Auf der anderen Seite sei eine weitere Betätigung in der untersagten Gruppierung dann strafbar und die Mitglieder für die Ermittlungsbehörden zu belangen. Gefahr gehe zurzeit aber vor allem von Einzeltätern aus, die sich über das Internet radikalisierten und kaum oder keine Kontakte zu organisierten Gruppen haben, so die Verfassungsschützerin.

Gerade solche Täter sind durch Verbote nicht zu stoppen, sagt der Islamismusexperte Markus Kaiser vom baden-württembergischen Verfassungsschutz.

Er sieht durch die Ereignisse im Irak und in Syrien in diesem Jahr eine neue Qualität der Radikalisierung im militanten Islamismus gekommen. „Alle extremistischen Gruppen haben das Ziel, die Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu verändern. Der Islamische Staat hat das in Syrien und im Irak in die Tat umgesetzt.“ Das schaffe eine viel höhere Anziehungskraft für junge Menschen, als die mittlerweile um ihren Einfluss bangenden salafistischen Internet-Prediger Sven Lau oder Pierre Vogel erzeugen könnten. Der Reiz, im sogenannten Kalifat Gewaltfantasien ausleben zu können in dem Bewusstsein, für eine „gute Sache“ zu kämpfen, sei erheblich. Zumal sich die Extremisten in einem endzeitlichen Kampf wähnen. Solchen Entwicklungen könne man mit dem Verbot von Moschee-Vereinen nicht beikommen.

Die salafistische Szene ist die am schnellsten wachsende extremistische Gruppierung in Deutschland. Allein in Baden-Württemberg gibt es laut Verfassungsschutz rund 550 Salafisten. Die Dunkelziffer dürfte aber bedeutend höher sein. Längst nicht alle Radikalisierten sind gewaltbereit oder versuchen nach Syrien oder in den Irak auszureisen. Doch ob das der Fall ist, können die Sicherheitsbehörden oft nur mit Hilfe des sozialen Umfelds der Betroffenen herausfinden.