Ist das schon Wahlkampf? EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (rotes Hemd) macht sich am Mittwoch ein Bild von den Zerstörungen durch die Flut in Slowenien. Foto: AFP/Jure Makovec

Das Europaparlament wird erst in einem Jahr gewählt, die Personalspekulationen auch für die EU-Kommission laufen aber bereits auf Hochtouren.

Hast du einen Opa, dann schick ihn nach Europa. Dieser Spott über das leitende Personal der Europäischen Union kursierte lange in den EU-Mitgliedstaaten. Doch die Zeiten, in denen die Stellen in Brüssel gut bezahlte Versorgungsposten für abgehalfterte Politiker waren, sind vorüber. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass die Nominierung als EU-Kommissar oder auch die Arbeit im Europaparlament nicht nur Prestige und schöne Reisen mit sich bringt, sondern auch mit viel Macht und Einfluss verbunden sein kann.

Aus diesem Grund wird das Gerangel um die zentralen Positionen in Brüssel inzwischen mit harten Bandagen ausgetragen. Das erklärt die umtriebige Unruhe im Brüsseler Politikbetrieb, die bereits ein Jahr vor den anstehenden Europawahlen zu verzeichnen ist. Denn jetzt werden die Weichen für den Erfolg im Juni 2024 gestellt.

Spekulationen über die Chefetage

Die meisten Spekulationen drehen sich natürlich um die Besetzung der Chefetage, zumal einer der zentralen Punkte ungeklärt ist: Bewirbt sich Ursula von der Leyen für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin? Da sind noch viele Fragen offen. Würde die Deutsche als Spitzenkandidatin der CDU bei der Europawahl antreten? Das wollen viele Parlamentarier, da es in ihren Augen ein Schritt in Richtung demokratischer Legitimierung der EU wäre. Ob von der Leyen aber Lust auf Monate der Wahlkampftour mit Auftritten auf Marktplätzen und bei Parteikonventen hat, ist zu bezweifeln.

Die Unterstützung des Rats, der Vertretung der EU-Staaten, dürfte der CDU-Frau gewiss sein, allerdings müsste sie auch vom Parlament bestätigt werden. Dafür soll Manfred Weber sorgen, was nicht ohne Süffisanz ist. Denn der Chef der konservativen EVP, der größten Fraktion im Parlament, wollte nach der Wahl 2019 selbst Kommissionschef werden, als ihm überraschend Ursula von der Leyen vor die Nase gesetzt worden war. Das erklärt wohl auch den kleinen Seitenhieb des CSU-Manns, der jüngst die Parlamentspräsidentin Roberta Metsola als neue EU-Kommissionschefin ins Gespräch brachte. Die Aufregung war groß, doch Chancen werden der Frau aus Malta nicht eingeräumt.

Ursula von der Leyen muss sich entscheiden

Am Ende könnte Ursula von der Leyen aber selbst einen Paukenschlag landen. Denn sie ist inzwischen auch im Gespräch für die Nachfolge von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der kommendes Jahr seinen Posten räumt. Dieser Zug würde das Personenkarussell mächtig in Fahrt bringen.

Angeheizt werden die Spekulationen über einen Rückzug der Deutschen durch eine Meldung, die kurz vor der Sommerpause wie eine Bombe im Brüsseler Politikbetrieb einschlug. Der EU-Kommissar Frans Timmermans steigt in den Wahlkampf in den Niederlanden ein, wo im November ein neues Parlament gewählt wird. Er wird Spitzenkandidat der gemeinsamen Liste von Sozialdemokraten und Grünen in seiner Heimat.

Die Lotsen gehen von Bord

Das ist ein schwerer Verlust für Ursula von der Leyen, denn es war der wortgewaltige Timmermans, der das Herzensprojekt der EU-Kommissionschefin als „Mister Green Deal“ vorantrieb. Doch inzwischen formiert sich wachsender Widerstand dagegen, vor allem aus dem konservativen Lager – orchestriert ausgerechnet von Manfred Weber.

Neben Timmermans verlässt ein zweites Schwergewicht die EU-Kommission. Margrethe Vestager hat sich als Wettbewerbskommissarin immer wieder mit den Big-Tech-Konzernen angelegt und sich dadurch einen Namen gemacht. Nun wird die Dänin wohl Präsidentin der Europäischen Investitionsbank (EIB). Mehrere EU-Kommissare rangeln um ihre Nachfolge. Genannt werden die Namen des Österreichers Johannes Hahn, des Letten Vladis Dombrovski und des nicht ganz unumstrittenen Franzosen Thierry Breton.

Margrethe Vestager würde bei der EIB auch eine neue Vizepräsidentin bekommen. Die FDP-Politikerin und Europaparlamentarierin Nicola Beer wird Deutschland in Zukunft im Präsidium vertreten. Ihr Platz als FDP-Spitzenkandidatin bei der Europawahl wird prominent besetzt. Die Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann soll vom Bundestag ins Europaparlament wechseln.

Stühlerücken im Europaparlament

In Brüssel wird sie wahrscheinlich auf die ehemalige ungarische Justizministerin Judit Varga treffen, die angekündigt hat, bei der Wahl im Juni 2024 zu kandidieren. Sie will nach eigenen Worten eine konservative Wende in den europäischen Institutionen herbeiführen. Ziel wird es aber wohl eher sein, die noch immer gesperrten EU-Gelder für Ungarn in Milliardenhöhe loszueisen.

Spekuliert wird, dass es auch die ehemalige finnische Premierministerin Sanna Marin ins Europaparlament ziehen könnte. Nach der verlorenen Parlamentswahl hatte sie angekündigt, eine neue Seite in ihrem Leben aufschlagen zu wollen. Gemunkelt wird allerdings auch, dass sich die 37-Jährige als Nachfolgerin für den eher blassen Josep Borrell als EU-Außenbeauftragte eignen könnte. Ihre Bewerbungsrede für den Topjob hat sie im Grund bereits gehalten. Unvergessen ist ihre Antwort auf die Frage eines Journalisten, wie der Krieg in der Ukraine beendet werden könne: „Russland muss das Land verlassen. Punkt.“