Die linken Co-Vorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler stellten das Europawahl-Programm der Partei vor. Foto: dpa/Britta Pedersen

Mit einer Betonung urlinker Themen wie soziale Sicherheit und Umverteilung will die Partei in die Europawahl ziehen – und fühlt sich damit auch im Kampf gegen eine Wagenknecht-Partei gerüstet.

Zufall oder ausgeklügelte politische Ränke? Unmittelbar bevor die linke Parteiführung am Montag ihren Entwurf eines Europawahl-Programms vorstellte, hatte Sahra Wagenknecht Spekulationen über eine bald bevorstehende Gründung einer eigenen Partei per Interviews heftig angeheizt. Offiziell bleibt es dabei, dass „spätestens bis Ende des Jahres“ über das Projekt entschieden werden soll. Sie fühle sich nach ihrem Burnout im Jahre 2019 stark genug, um das Programm nach außen zu vertreten. „Das kann ich, so fit bin ich allemal.“ Nur um die lästige Parteiorganisation sollen sich andere kümmern. Wagenknecht äußerte sich auch recht konkret dazu, welche Stoßrichtung ihre Neugründung haben solle. Viele Menschen, so ihre Analyse, würden „aus Verzweiflung“ die AfD wählen. Denen würde sie gerne eine „seriöse Adresse“ geben.

An Klarheit fehlt es nicht

Sollten die Äußerungen auch dazu dienen, einen Gegenakzent zur Vorstellung des linken Wahlprogramms zu setzen, hat Wagenknecht ihr Ziel durchaus erreicht. Die beiden Parteichefs Janine Wissler und Martin Schirdewan mussten jedenfalls Stellung nehmen. Wissler nannte die mögliche Konkurrenz-Partei „ein Phänomen ohne Programm“. Dem stelle die Linke klare inhaltliche Botschaften gegenüber.

Tatsächlich wird man dem linken Europa-Programm Klarheit nicht absprechen können. Der im Vorstand einstimmig beschlossene Entwurf, der auf einem Bundesparteitag im November endgültig verabschiedet werden soll, liefert auf fast 90 Seiten ohne Rücksicht auf politische Anschlussfähigkeit ein linkes Konzept in kompromisslosester Form. „Wer Europa will, muss es den Reichen nehmen“, fasst Martin Schirdewan die Philosophie zusammen. Die Linke trete für „ein Ende der Marktgläubigkeit“ ein. Er persönlich tut das mit einem Vokabular, das die Herzen der Traditionalisten in der Partei nicht unberührt lassen wird: „Wir wollen mit einer Klassenperspektive den Reichen und Mächtigen die Harke zeigen.“

EU soll eigene Schulden aufnehmen dürfen

Mit gewissem Genuss an der eigenen Radikalität dekliniert das Programm diese Klassenperspektive detailreich durch. Zentralthema ist dabei die „Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums“. Die Linke will den private Reichtum „zum Öffentlichen verschieben“. Hohe Vermögen und Konzerngewinne sollen „stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens“ beitragen. Für transnationale Konzerne sollen neue Steuern eingeführt, EU-weit sollen Unternehmensgewinne direkt mit einem Satz von 25 Prozent besteuert werden. Die EU soll eigene Schulden aufnehmen dürfen. Daseinsvorsorge soll in der öffentlichen Hand liegen. Ein europäisches Mindesteinkommen soll ebenso eingeführt werden wie eine europäische Erwerbslosenversicherung. In ganz Europa soll der öffentliche Personennahverkehr kostenfrei werden. Janine Wissler kürte die Idee, eine „United Railways of Europe“ zu gründen, zu einer ihrer Lieblingsforderungen. Die Bahn solle „zum wichtigsten Verkehrsmittel in Europa werden“.

Rackete als Spitzenkandidatin

Es war wohl kein Zufall, dass die beiden Vorsitzenden einen so glasklaren Schwerpunkt auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit, auf Armutsbekämpfung und Daseinsvorsorge legten. Auf das urlinke Kernthema also. Genau hier setzt ja die Kritik Wagenknechts an. Sie moniert, dass sich die Linke zu viel mit anderen Themen beschäftige, die an den Sorgen normaler Bürger vorbei gingen. Dabei hat sie stets auch die Asylpolitik im Blick.

Der Vorwurf mag stimmen oder nicht. Tatsache ist, dass mit der parteilosen Flüchtlingsaktivistin Carola Rackete eine Frau als Spitzenkandidatin in den linken Europa-Wahlkampf zieht, die genau für dieses Thema steht. In der Mitgliedschaft der Linken wird das zwar breit getragen, aber Diskussion gibt es durchaus. Wissler und Schirdewan versteckten das Asylthema am Montag nicht, stellten es aber nicht in den Vordergrund. Im Programm nachzulesen ist, dass die Linke für eine „Gesellschaft ohne Abschottung“ eintritt. Die EU-Grenzagentur Frontex soll in „eine europäische Rettungsmission umgewandelt“ werden. Das Motto heißt: „Seebrücken und Fähren statt Frontex“.