Sofa-Gate in der Türkei. Ursula von der Leyen muss sich abseits auf ein Sofa setzen, während EU-Ratspräsident Michel und Staatschef Erdogan in der Mitte thronen. Foto: dpa/Dario Pignatelli

Die Europäische Union befindet sich in einer schweren Krise. Ausgerechnet in dieser Situation geben immer mehr Brüsseler Spitzenpolitiker ihren Job auf, um an anderer Stelle Karriere zu machen.

Seit dem ersten Tag wirkt Charles Michel mit seinem Posten nicht wirklich zufrieden. Ständig lässt der amtierende EU-Ratspräsident durchblicken, dass er sich im Grunde für den besseren EU-Kommissionschef hält. Diesen Posten aber hatte ihm Ursula von der Leyen einst vor der Nase weggeschnappt, was nicht nur das persönliche Verhältnis der beiden vergiftet. Die bisweilen offen ausgetragene Fehde beeinflusst auch die Politik der EU. Legendärer Höhepunkt ist bisher das sogenannte „Sofa-Gate“. Bei einem gemeinsamen Besuch von Michel und von der Leyen in der Türkei setzten sich Präsident Recep Erdogan und Charles Michel breit auf zwei vorbereitete Stühle, während Ursula von der Leyen abseits auf einem Sofa platznehmen musste.

Angst vor dem Einfluss von Victor Orban

Nun aber gibt es eine überraschende Entwicklung. Der ehemalige Premierminister von Belgien hat angekündigt, seinen Job als EU-Ratspräsident aufzugeben. Er wolle bei der Europawahl Anfang Juni dieses Jahres für das Parlament kandidieren. Damit löste er in Brüssel allerdings großes Kopfschütteln aus, denn sein Schritt könnte fatale Folgen haben. Unwahrscheinlich ist, dass bis zum Juli ein Nachfolger für Charles Michel gefunden ist. Das hieße aber, dass ausgerechnet der ungarische Premier Victor Orban die Leitung der Sitzungen im Rat – dem Gremium der Staats- und Regierungschefs – übernehmen würde. Der aber macht aus seiner Abneigung gegen die Europäische Union längst keinen Hehl und blockiert seit Monaten mehrere wichtige politische Entscheidungen. Manfred Weber, Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, warnt sogar vor einer Destabilisierung der europäischen Institutionen. Es müsse verhindert werden, dass infolge der Wahl Ungarns Staatschef Viktor Orban „in eine zentrale Rolle“ komme, sagte der CSU-Vize Weber am Wochenende bei der Klausur der CSU-Bundestagsabgeordneten im oberbayerischen Kloster Seeon.

Sorgenfalten bei Ursula von der Leyen

Der Abgang von Charles Michel ist allerdings nur eine von mehreren Personalien, die in der EU-Führungsriege zuletzt für große Unruhe gesorgt haben und der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Denn Europa sieht sich nicht nur dem Erstarken der rechtsnationalen Kräfte ausgesetzt, auch der klimaneutrale Umbau des Kontinents ist zuletzt schwer ins Stocken geraten.

Aus diesem Grund wog der Rückzug des Klimaschutzkommissars Frans Timmermans schwer. Der Sozialdemokrat galt nicht nur als politisches Schwergewicht, sondern auch als treibende Kraft hinter dem sogenannten Green Deal. Timmermans trat im November 2023 bei der vorgezogenen Parlamentswahl in den Niederlanden als Spitzenkandidat für ein Wahlbündnis aus Sozialdemokraten und Grünen an. Zuvor war bereits die Bulgarin Marija Iwanowa Gabriel als Forschungskommissarin ausgeschieden, weil sie in ihrer Heimat Bulgarien zur Außenministerin ernannt wurde. Danach ging der politische Aderlass weiter.

Kritik an der Rückkehrgarantie für Kommissarinnen

Für einiges Stirnrunzeln sorgten vor allem zwei Personalien. Denn vor dem Absprung stand auch die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Die Dänin gilt als einflussreiche Macherin im Machtzentrum Europas. In den vergangenen Jahren hat sie sich mit den großen Tech-Konzernen in Steuer- und Kartellfragen angelegt, mit Apple und Amazon, mit Google und Facebook. Dann strebte sie aber auf den Chefposten der Europäischen Investitionsbank, galt für viele bereits als gesetzt – bekam den Job dann aber doch nicht. Margrethe Vestager aber hatte eine Rückkehrgarantie und arbeitet nun wieder als Wettbewerbskommissarin. Kritiker fragen, wie glaubwürdig sie die Position nun noch ausüben kann.

Auch Jutta Urpilainen warf jüngst ihren Job als Kommissarin für internationale Partnerschaften der EU hin, um in ihrer finnischen Heimat an einer neuen Karriere zu basteln. Die Sozialdemokratin gab ihre Kandidatur für die Präsidentschaftswahl Ende Januar bekannt. Die Kommissarin nehme „unbezahlten Urlaub“, mit der Option, bei einer Wahlniederlage wieder in die Kommission zurückzukehren, sagte ein Kommissionssprecher.

Postengeschacher und Versorgungsmentalität

Im Europaparlament werden unter der Hand diese Vereinbarungen als Postengeschacher und Versorgungsmentalität scharf kritisiert. Das passe nicht in eine Zeit, in der die Europäische Union von den Bürgern sehr viel abverlange. Befürchtet wird, dass rechte Populisten daraus Kapital schlagen könnten.

Auffallend zurückhaltend zu den Vorgängen äußert sich EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen – wohl auch, weil sie selbst Teil von wilden Personalspekulationen ist. Die italienische Tageszeitung „La Repubblica“ berichtete jüngst, dass der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, ihr den Posten streitig machen könnte. Aber auch für Ursula von der Leyen sei bereits gesorgt, heißt es. Die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin könnte dann als Generalsekretärin zur Nato wechseln.