Das Scharoun-Haus in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung: Sie soll Inspiration für das neue Bauen in der EU sein. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Mit Bezug auf das historische Bauhaus will EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die für den Klimaschutz fällige Renovierungswelle lostreten.

Brüssel - Das Echo war groß, als Ursula von der Leyen im Herbst das „Neue Europäische Bauhaus“ ausrief. Die Kommissionspräsidentin ließ bewusst Raum für Kreativität. Sie buchstabierte nicht aus, was genau sie meint, wenn sie sich in die Tradition der 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründeten Bewegung stellt. Grob geht es darum: Der Green Deal – der Umbau der EU-Volkswirtschaft auf Klimaschutz – soll unter dem „Bauhaus“-Begriff auf den Gebäudebereich erstreckt werden. So wie das historische Bauhaus den Übergang zur Industriegesellschaft prägte, soll das NEB, wie die Initiative im EU-Jargon heißt, das Umschalten auf Nachhaltigkeit bei Gebäuden einleiten.

 

Die Unschärfe des NEB-Konzepts war gewollt. Diesmal sollte keine EU-Richtlinie den Weg weisen. Vielmehr wollte die Kommission zunächst zuhören, welche Ideen Architekten, Stadtplaner, Klimawissenschaftler und Soziologen haben. Vom historischen Bauhaus inspiriert soll es ein interdisziplinäres Herangehen geben. Und: Die – grüne – Revolution beim Bauen soll ästhetisch sein.

Das Projekt wird aus EU-Haushaltstöpfen unterstützt

Ideen dafür gibt es viele. Nach der „Designphase“soll das Konzept nun „auf die Straße“ gebracht werden. Am 14. September wird die Kommission eine Mitteilung zum NEB veröffentlichen, die auf 20 DIN-A4-Seiten das Konzept beschreibt. Ungewöhnlich für EU-Dokumente werden anhand von Bildern und grafisch aufwendig gestaltet Beispiele für mögliche NEB-Projekte aufgeführt. Zudem wird aufgeführt, in welchen EU-Haushaltstöpfen die Kommission Mittel für die Revolution locker macht.

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Klimaschonende Baumaterialien

Der Wohnungsbestand ist im Fokus: So listet ein Anhang Maßnahmen auf, die die Renovierungswelle anschieben sollen. Eine Regulierung für klimaschonende Baumaterialien ist in Arbeit. Wenn es nach dem Potsdamer Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber geht, sollen Holz und Lehm Stahl und Beton ersetzen. Die Branche hält das für naiv, vielmehr müssten alternative Baustoffe gefunden werden. Teflon etwa könnte Stahl im Beton ersetzen. Damit die Wende eine Chance hat, muss das Vergaberecht umgekrempelt werden, in dem bislang Nachhaltigkeit keinen Platz hat. Auch die Kriterien für die Vergabe von Fördermitteln müssen geändert werden.

Die Lebensqualität der Menschen verbessern

Die Kommission wird fünf NEB-Pilotprojekte ausschreiben. Die Kriterien sind noch nicht veröffentlicht, klar ist nur, dass es je Projekt einen Zuschuss von fünf Millionen Euro gibt. Wie zu hören ist, sind viele Bewerbungen in Arbeit. Bei 27 Mitgliedstaaten ist klar, dass allenfalls ein Pilot an jedes Mitgliedsland geht. Gedacht ist nicht nur an Modellgebäude, auch ein Konzept für einen Umbau ist denkbar – nur bauhauskompatibel soll es sein, partizipativ und die Lebensqualität der Menschen verbessernd.

Bundesweit dürfte eine zweistellige Zahl von Kandidaten ins Rennen gehen. Es wird erwartet, dass die Mitgliedstaaten versuchen, in Brüssel Lobbyarbeit für „ihre“ Piloten zu machen. In der Bundesregierung liegt die NEB-Federführung bei Innen- und Bauminister Horst Seehofer (CSU). Im Ministerium hat man zwar eine Vorstellung, was ein Pilot aus Deutschland mitbringen soll, sich für einen Kandidaten in Brüssel ins Zeug legen will man aber nicht, heißt es.

Die Baustoffe der Zukunft

Hoffnung auf den Zuschlag aus Brüssel macht man sich in Stuttgart, wo IBA’27, Architektenkammer Baden-Württemberg und Universität eine Bewerbung vorbereiten. Der Arbeitstitel lautet „gläserne Baustofffabrik“. Es geht um Baustoffe der Zukunft, ihr Recycling und neue Fertigungstechniken. Mehrere Fachrichtungen sind eingebunden, um Ökologie, Ökonomie und gute Architektur zu kombinieren. Federführend ist IBA’27-Intendant Andreas Hofer. Mit dem IBA’27-Team bereitet er für 2027 eine Internationale Bauausstellung vor. Zum 100-jährigen Bestehen der Stuttgarter Weißenhofsiedlung sollen Beispiele für zukunftweisende Architektur und Bauwesen gezeigt werden. Hofer sieht Parallelen zwischen den Brüsseler NEB-Plänen und der IBA’27.

Trennung von Arbeiten und Wohnen

Schluss mit Trennung von Arbeitsplatz und Wohnort

IBA’27 und NEB beziehen sich auf Reformbewegungen aus Umbruchzeiten der 1920er Jahre. „100 Jahre später befinden wir uns wieder in einer Umbruchzeit“, so Hofer. Die Folgen von 100 Jahren Industriegesellschaft mit der räumlichen Trennung von Arbeitsplatz und Wohnort seien nicht zufriedenstellend. Fällig sei eine „Neuerfindung der Stadtregion“. Angestrebt werde die Transformation reiner Wohn- und Gewerbeviertel zu „produktiven Quartieren, in denen Wohnen und Freizeit, die industrielle und landwirtschaftliche Produktion zusammenkommen“.

Im Hinblick auf von der Leyens NEB meint Hofer: „Wir planen, was das NEB möglichst bald sichtbar haben will.“ Die Konkurrenz eines großen Bewerberfelds für die Bauhaus-Piloten schreckt ihn nicht: „Dank unserer Vorarbeit haben wir die Konzepte in der Tasche, die andere erst suchen müssen.“

Neues Europäisches Bauhaus

Ideengeber
Der Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf die Idee des „Neuen Europäischen Bauhauses“ gebracht. Viel zu lange sei das Bauwesen, der „größte Elefant im Klimaraum“, ausgeblendet worden.

Klimawende am Bau
Die Herausforderungen sind groß. Gebäude verursachen 40 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes. Der Bausektor verfehlt bislang alle Klimaziele.

Baustoffe
Baumaterialien wie Zement und Stahl sind besonders emissionsintensiv. Es werden Materialien benötigt, die für möglichst gar keinen Ausstoß von Treibhausgasen stehen.

Heizen
Wohnungen im Bestand werden fast nur mit fossilen Brennstoffen oder etwa in Frankreich mit Atomstrom beheizt. Bis der Gebäudesektor klimaneutral ist – für die EU soll das Ziel 2045 erfüllt sein –, muss viel passieren.