Bald Vergangenheit? – Afrikaner an Bord eines Schiffes, mit dem eine spanische Hilfsorganisation Flüchtlinge aus dem Mittelmeer rettet. Foto: dpa

Auf der Mittelmeerroute steigt die Todesrate unter Flüchtlingen. Warum die EU dagegen mehr tun muss, als das Geschäft der Schlepper zu erschweren, schreibt Christoph Reisinger in diesem Kommentar.

Stuttgart. - So lange ist das gar nicht her, dass die EU unter ihrer Mittelmeer-Initiative verstand: Wie zu Zeiten des Römischen Reiches sollte das Meer eine seine Anrainer verbindende Drehscheibe sein. Diese schöne alte Gedankenwelt ist versunken.

Massengrab und Bollwerk

Seit jährlich Zigtausende Afrikaner und Asiaten versuchen, das Gelobte Land Europa auf illegalen Wegen zu erreichen, ist das Mittelmeer zum Massengrab geworden. Die EU blickt darauf, als sei’s ihr letztes Bollwerk gegen Ungebetene.

Daraus sind humanitär wie politisch unhaltbare Zustände entstanden. Versuche von Regierungen wie von Hilfsorganisationen, an der alltäglichen Katastrophe im Mittelmeer etwas zu ändern, haben das ultrazynische Geschäft der Schlepper gefördert. Die sind für die Migranten weniger entbehrlich denn je; den schütteren Grenzsicherungsversuchen von EU-Staaten entziehen sich die Menschenhändler, indem sie die Flüchtlinge auf See ihrem Schicksal und – wenn diese Glück haben – den Transitleistungen von Marinen, Küstenwachen und vor allem Hilfsorganisationen überlassen.

Überfahrt noch riskanter

Die Politik ist daher richtig, die Grundlagen dieses üblen Geschäftsmodells zu zerschlagen – auch durch das Zurückdrängen der privaten Helfer. Falsch wird diese Politik jedoch, wenn sie sich darauf beschränkt, die Fahrt über das Mittelmeer noch riskanter zu machen.

Die EU muss endlich in den Hauptherkunftsländern Startpunkte für eine begrenzte, legale und kontrollierbare Zuwanderung öffnen. Alles andere verlagert die Katastrophe nur nach Nordafrika und in den Sahel, wo ihr noch weniger beizukommen ist. Es ist die einzige Chance, aus dem Mittelmeer wieder etwas anderes zu machen als ein Bollwerk und Massengrab.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de