Der Wirbel um verunglückte Äußerungen bei einem Strategiekongress der Linken geht weiter. Der Parteichef Bernd Riexinger entschuldigt sich – und muss doch auch von den eigenen Genossenen Kritik einstecken.
Berlin - Es kocht mal wieder in der Linkspartei. Die Ausschnitte von der Strategiekonferenz der Partei in Kassel am vergangenen Wochenende hat die linke Gretchenfrage aufgeworfen, wie es die Partei mit extremen Positionen in ihren Reihen hält. Mitten im Sturm steht der Parteivorsitzende Bernd Riexinger.
Ausgerechnet Riexinger. In den vielen Turbulenzen der vergangenen Jahre, in denen es die Partei zwischen Wageknecht-Flügel und Pragmatikern zu zerreißen drohte, wurde der Stuttgarter flügelübergreifend als ruhender Pol teils geschätzt, teils wenigstens akzeptiert. Nun wird er auch innerparteilich mit heftigen Vorwürfen konfrontiert.
Angebliche Ironie und ein verunglückter Scherz
Zweifellos hat er sich den Ärger selbst eingebrockt. Auf der Kasseler Veranstaltung hatte eine Teilnehmerin folgendes ausgeführt: „Energiewende ist auch nötig nach einer Revolution. Und auch wenn wir das eine Prozent der Reichen erschossen haben, ist es immer noch so, dass wir heizen wollen ...“ Die Bemerkung vom Erschießen des einen Prozents war wohl als Ironisierung der linken Revolutionsträumereien gedacht. Sicher formulierten sie kein Programm. Besser macht das die Sache nicht. Die wurde dann noch um vieles schlimmer, als Riexinger die Situation mit der nicht minder verunglückten Bemerkung entkrampfen wollte: „Wir erschießen sie nicht, wir setzen sie schon für nützliche Arbeit ein.“ Riexinger hat sich dafür entschuldigt. Er nannte den Kommentar der Teilnehmerin „inakzeptabel“ und bedauerte, „dass ich ihn nicht sofort unmissverständlich zurückgewiesen habe“.
Den Sturm konnte er nicht mehr aufhalten. Bodo Ramelow, gegenwärtig der linke Superstar, erteilte einen strengen Verweis. „So eine Aussage hätte „nie lächelnd übergangen werden dürfen“, schrieb Ramelow auf twitter. Er sprach von „Gewaltfantasien“ und in TV-Kameras sagte er, dass Gewalt „nie eine Herangehensweise einer Partei oder meiner Partei sein“ dürfe. Auch Jan Korte, der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, äußerte eine „maximale Distanzierung in jeder Hinsicht“.
Kandidiert Riexinger erneut als Parteichef?
Fraktionschef Dietmar Bartsch sprach davon, dass in Kassel „einiges aus dem Ruder gelaufen“ sei. In manche Kritik mag sich auch strategisches Kalkül mischen, denn im Juni findet in Erfurt der Bundesparteitag statt. Riexinger will sich noch nicht festlegen, ob er wieder antritt.
„Die Frage einer erneuten Kandidatur ist nicht von diesem Vorfall abhängig“, sagte er unserer Zeitung. Dabei erklärte er den Vorgang in Kassel so: „Die Teilnehmerin wollte einfach zum Ausdruck bringen, dass das Problem der Klimawende auch dann noch eminent wichtig bleibt, wenn Fragen der massiven sozialen Gegensätze geklärt wären.“ Sie habe zu einer „vollkommen inakzeptablen Formulierung gegriffen.“ Es sei aber jedem im Saal klar gewesen, „dass sie nicht zur blutigen Weltrevolution aufrufen will“. Deshalb habe er versucht, die Situation „mit einer flapsigen Bemerkung zu entspannen und bin nicht massiv aufgetreten“.
Weitere problematische Videos tauchen auf
Doch so leicht ist die Sache nicht ausgestanden. Es gab mehr Irritierendes in Kassel. So rief ein Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten dazu auf, „diesen parlamentsfixierten Abgeordnetenbetrieb“ zu schwächen. Aufgabe der Linken sei es „Staatsknete abzugreifen“. Nimmt man die Anzeige von acht Abgeordneten gegen die Kanzlerin hinzu – es geht um angebliche Beihilfe durch Unterlassen zum Mord im Zusammenhang mit der Tötung des iranischen Generals Soleimani durch das US-Militär _ stellt sich durchaus die Frage, ob die Linke ihr Verhältnis zu radikalen Positionen geklärt hat.
Die politische Konkurrenz freut sich, die FDP setzte am Freitag eine Aktuelle Stunde im Bundestag auf die Tagesordnung. Für die Linke verteidigte die Co-Vorsitzende Katja Kipping dort ihren Kollegen. Wer seinen Lebensweg kenne,wisse, „dass er die Entschuldigung ernst meint“. Kipping betonte die Abgrenzung der Linken von ihrer SED-Vergangenheit. Sie bat im Namen der Linken „alle, die unter der Mauer gelitten haben, erneut um Entschuldigung“. Für dieses Unrecht gebe es „keine Rechtfertigung“.