Im NSU-Prozess ist die mit Spannung erwartete Erklärung der Hauptangeklagten Beate Zschäpe auf unbestimmte Zeit verschoben. Foto: Getty

Die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe will auspacken. Dafür vorgesehen war eigentlich dieser Mittwoch. Vorerst aber kommt es nicht dazu: Wegen Anträgen ihrer Altverteidiger und eines Mitangeklagten wird der NSU-Prozess unterbrochen.

München/Stuttgart - Die eigentlich für diesen Mittwoch angekündigte Aussage der mutmaßlichen Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe im NSU-Prozess ist verschoben worden. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl unterbrach den Prozess in München bis zum kommenden Dienstag. Wann Zschäpe dann Gelegenheit zur Aussage bekommen wird, ließ Götzl zunächst offen.

Der Entscheidung vorangegangen waren zwei Anträge: Zunächst hatten Zschäpes Altverteidiger beantragt, von ihren Pflichtmandaten entbunden zu werden. Zudem stellten die Anwälte des Mitangeklagten Ralf Wohlleben einen Befangenheitsantrag gegen alle Richter. Darüber muss ein anderer Senat des Münchner Oberlandesgerichts entscheiden.

Zschäpes neuer Anwalt Mathias Grasel hatte am Montag angekündigt, dass er an diesem Mittwoch eine Erklärung Zschäpes verlesen wolle. Mit einer Aussage würde die Hauptangeklagte ihr mehr als zweieinhalbjähriges Schweigen brechen. Wann diese Aussage folgt, ist nun ungewiss. Zschäpes Altverteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm erfuhren von der geplanten Aussage nach eigenen Angaben erst am Montag und nur aus den Medien. Entsprechend turbulent begann am Dienstag der 243. Verhandlungstag im Gerichtssaal A 101. Nach Feststellung der Personalien ergriff Heer das Wort. Zschäpes drei ursprüngliche Pflichtverteidiger im Münchner NSU-Prozess wollten von ihren Mandaten entbunden werden. Heer begründete den Antrag damit, dass „Frau Zschäpe jetzt im Moment nicht ordnungsgemäß verteidigt wird“. Heer sagte: „Die Verteidigerbestellung ist nur noch Fassade.“

Zerrüttetes Verhältnis

Zschäpe will tiefe Einblicke in das kalte System des NSU und dessen Dunstkreis geben, zu dem unwissende Nachbarn, landesweit bekannte Neonazis und Verfassungsschützer zählen. Fragen des Senats wolle sie beantworten, Fragen der Nebenklage nicht, kündigte Grasel an.

Seit Beginn der Verhandlung am 6. Mai 2013 war es die klare Strategie der Altverteidiger Heer, Stahl und Sturm, dass Zschäpe sich zu den Vorwürfen der Anklage nicht äußert. Der Versuch der Anwälte, sich am 20. Juli 2015 von ihren anwaltlichen Mandaten entpflichten zu lassen, schlug fehl – das Gericht lehnte die Anträge ab. Ebenso versuchte Zschäpe erfolglos, ihre drei Altverteidiger zu entpflichten.

Die Scharmützel zeigen, wie zerrüttet das Verhältnis zwischen Zschäpe und ihren drei Pflichtverteidigern ist. Seit Anfang Juli 2015 hat ein neuer vierter Pflichtverteidiger neben Zschäpe Platz genommen: Mathias Grasel. Und der 31-Jährige genießt seit Beginn das Vertrauen von Zschäpe – und von Anwalt Hermann Borchert, Zschäpes Vertreter in zivilrechtlichen Angelegenheiten. Borchardt und Grasel sind in derselben Kanzlei in München tätig.

NSU-Untersuchungsausschuss erwartet neue Erkenntnisse

Gemäß Götzl war es dann auch Borchert, der am 31. August erstmals das Gericht darüber informierte, dass Zschäpe sich in der Hauptverhandlung umfassend einlassen möchte. Demnach waren die Richter deutlich früher als bisher bekannt in Zschäpes Pläne eingeweiht.

Böhnhardt und Mundlos bildeten mutmaßlich zusammen mit Beate Zschäpe die Zelle des NSU. Die Generalbundesanwaltschaft klassifiziert in der Anklage die Bande als „terroristische Vereinigung“, der von 2000 bis 2007 insgesamt neun griechisch- und türkischstämmige Kleinunternehmer sowie die Polizistin Michèle Kiesewetter zum Opfer fielen. Der 40-jährigen Angeklagten drohen eine lebenslange Freiheitsstrafe, die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und möglicherweise Sicherungsverwahrung. Ihre engsten Komplizen haben sich bereits selbst gerichtet: Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erschossen sich am 4. November 2011 in einem Wohnmobil, abgestellt in einem ruhigen Wohngebiet im thüringischen Eisenach.

Der baden-württembergische NSU-Untersuchungsausschuss erwartet von Zschäpes Aussage Aufklärung über den Polizistenmord in Heilbronn. „Ich erhoffe mir, dass sie mit der Wahrheit rausrückt, klaren Tisch macht und nicht nur versucht, sich und ihren Tatbeitrag in ein besseres Licht zu rücken“, sagte der CDU-Obmann Matthias Pröfrock am Dienstag in Stuttgart.

Seit Monaten recherchieren Journalisten des Schweizer Radios und Fernsehens (SRF) und unserer Zeitung gemeinsam in einem Rechercheverbund zu den Bezügen der mutmaßlichen Terrorgruppe NSU nach Baden-Württemberg und in die Schweiz. Dazu werten die Reporter Hundertausende Seiten Akten aus, recherchieren weiter, wo sich für sie offene Fragen ergeben. Sie reden mit Neonazis, Zeugen und Opfern. Das Ziel: Die Journalisten wollen ein kleines Stück den Vorhang heben, der sich immer noch über die zehn Morde legt, die dem NSU zur Last gelegt werden.