Bisher konnten sich Langzeitarbeitslose einen Euro dazuverdienen, diese Jobs sollen nun weitgehend abgeschafft werden. Foto: dpa

Bei ihrer Einführung 2005 wurden die Ein-Euro-Jobs für Hartz-IV-Empfänger in Stuttgart als Wunderwaffe im Kampf gegen Langzeitarbeitslosigkeit gehandelt. Mittlerweile wurden diese Arbeitsgelegenheiten stark reduziert. Nun droht ihnen das Aus.

Stuttgart - Siegbert Reilen ist überzeugt, dass der Ein-Euro-Job für ihn die einzige Chance war, nach Jahren ohne feste Stelle wieder Fuß auf dem regulären Arbeitsmarkt zu fassen. Er hat als Ein-Euro-Jobber zwei Jahre bei der Caritas als Hilfsgärtner gearbeitet. Seit Jahresbeginn hat der 53-Jährige einen unbefristeten Vollzeitjob als Hausmeister bei Carisma, einem Tochterunternehmen der Caritas. Reilen bezahlt Steuern und Sozialabgaben. Und mit seinem Gehalt von 1400 Euro netto muss er nicht mehr jeden Cent umdrehen. Im vergangenen Jahr haben 11,4 Prozent Langzeitarbeitslose wie Reilen in Stuttgart über dieses Modell den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben geschafft. Doch die Ein-Euro-Jobs sind ein Auslaufmodell. Sogenannte Aktivierungsmaßnahmen sollen sie ersetzen.

Als Grund nennt das für die Hartz-IV-Empfänger zuständige Jobcenter der Stadt den Prüfbericht des Bundesrechnungshofs. Der stellt die Wettbewerbsneutralität der Ein-Euro-Jobs infrage. Das heißt: Die Prüfer gehen davon aus, dass die Ein-Euro-Jobs reguläre Arbeitsplätze verdrängen. Mehr als halbiert hat sich die Zahl in Stuttgart seit dem Start bereits. Statt rund 2000 gibt es nur noch 900 dieser Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung. Die Zahl derer, die eine solche Arbeitsgelegenheit annehmen, ist in der Landeshauptstadt von 3900 auf 1400 pro Jahr zurückgegangen.

Die Quote jener Menschen, die vom staatlich subventionierten Job später in eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt wechselt, ist von 25 auf 11,4 Prozent abgestürzt. „Das liegt daran, dass die Arbeitsgelegenheiten wegen der schärferen Kriterien des Bundesrechnungshofs immer weniger mit dem Arbeitsmarkt zu tun haben und deshalb nicht in reguläre Anstellungen führen“, sagt Michael Föll. In das Referat des Finanzbürgermeisters fällt das Jobcenter. Das muss zudem mit immer weniger Geld vom Bund für die Eingliederung Langzeitarbeitsloser auskommen. Für die Ein-Euro-Jobs sind im laufenden Jahr nur noch 3,9 Millionen Euro eingeplant . 2008 waren es 11,7 Millionen Euro.

Nur noch 217 Plätze bei der Charitas

Aus den genannten Gründen mussten die Sozialunternehmen als Anbieter von Ein-Euro-Jobs Federn lassen. Die Caritas Stuttgart hat statt rund 450 nur noch 217 Plätze. Gestrichen werden mussten Jobs in den Bereichen Gebäudereinigung, Haushaltsauflösungen und Hauswirtschaft. Die Neue Arbeit hat von rund 1000 auf 330 Jobs reduziert. Dichtgemacht werden musste der Stadtteilservice. Dort haben Ein-Euro-Jobber zum Beispiel Gartenarbeit für hilfsbedürftige ältere Menschen erledigt oder deren Wohnungen entrümpelt. Und die Gemeinnützige Gesellschaft für Schulung und berufliche Reintegration (SBR) hat statt rund 350 nur noch 100 Ein-Euro-Jobs. Gestrichen wurden die Arbeitsgelegenheiten zum Beispiel in den Bonus-Lebensmittelmärkten .

Die Aktivierungsmaßnahmen, die es künftig geben soll, können nach Paragraf 45 des Sozialgesetzbuches III (SGB) wieder stärker am Arbeitsmarkt ausgerichtet sein. So könnten laut Föll die Jobs, die gestrichen wurden, wieder angeboten und könnte die Vermittlungsquote erhöht werden. Ein Knackpunkt für die Langzeitarbeitslosen: Sie bekommen laut Gesetzgebung keine Aufwandsentschädigung mehr. So würde Siegbert Reilen, der als Ein-Euro-Jobber 1,50 Euro pro Stunde plus Fahrtkosten bekommen hat, nur die Fahrt zum Arbeitsplatz ersetzt bekommen. Die rund 150 Euro, die er sich bei seinem Fünf-Stunden-Arbeitstag zu den derzeit 382 Euro Hartz IV im Monat hinzuverdient hat, würden flachfallen. „Das Geld konnte ich gut brauchen“, stellt der gelernte Anlagenelektroniker fest.

Den Wegfall der Aufwandsentschädigung kritisieren auch die Sozialunternehmen. „Damit ist den Langzeitarbeitslosen die letzte Möglichkeit genommen, sich zum geringen Hartz-IV-Satz etwas hinzuzuverdienen“, sagt Manfred Kaul, Geschäftsführer der SBR. Und auch Edgar Heimerdinger, Leiter des Bereichs Arbeit bei der Caritas, sieht in der Kürzung der Aufwandsentschädigung „das größte Problem“.

Föll: Keine radikalen Lösungen

Ob tatsächlich alle Ein-Euro-Jobs gestrichen werden, steht noch nicht fest. An die Jobs, die bestehen bleiben, werden dann aber wohl noch schärfere Kriterien in Sachen Wettbewerbsfähigkeit gestellt. „Arbeiten Langzeitarbeitslose zum Beispiel in einem Tierheim, dürfen sie die Tiere dann nicht mehr füttern, sondern nur noch streicheln“, ist Kaul überzeugt. Dadurch würden die Ein-Euro-Jobs völlig sinnentleert. Derzeit dürfen die Ein-Euro-Jobber bei der Caritas zum Beispiel noch Eier in Taubenschlägen gegen Attrappen austauschen und die Vögel füttern, Kleiderspenden abholen oder in den Secondhandkaufhäusern arbeiten.

Bürgermeister Föll versichert, keine radikale Lösung anzustreben. Wie viele Ein-Euro-Jobs aber übrig blieben, sei ungewiss. Außerdem werde darüber nachgedacht, wie sich die neuen Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung vergüten ließen, ohne in Konflikt mit dem Gesetz zu geraten.

Bei der Entscheidung über die Neuordnung des Systems ist letztendlich der Gemeinderat gefragt.

Und Siegbert Reilen? Er hätte auch ohne die 1,50 Euro gearbeitet, weil er etwas tun wollte. „Allerdings war für mich wichtig, dass meine Arbeit einen Sinn hatte und es dafür eine finanzielle Anerkennung gab, da mein Selbstwertgefühl nach der betriebsbedingten Kündigung 2007 in den Keller gerutscht war.“