Sollen Mama oder Papa danebensitzen, wenn das Kind das Gelernte übt? Foto: Adobe Stock/Sensvector, Montage: Sebastian Ruckaberle

Viele Mütter und Väter glauben, ihren Kindern bei den Hausaufgaben helfen zu müssen. Ist das wirklich so? Und: Wie sinnvoll sind eigentlich „Hausis“?

Der Sonntagvormittag sieht im Reihenhaus von Familie Schreiber schon mal so aus: Mutter Katrin hört Sohn Finn Englisch-Vokabeln ab. Dann hilft sie ihm, seine Buch-Box zu basteln, mit der er im Deutschunterricht der sechsten Klasse den Roman „Woodwalkers“ vorstellen will. Seit drei Tagen schon arbeiten die beiden dran, Nervenzusammenbrüche des Sohn inklusive, wenn wieder eine der gebastelten Papierfiguren nicht im Schuhkarton kleben bleiben will. Währenddessen guckt Vater Florian über die Hausaufgaben von Tochter Marie, die in die dritte Klasse geht. „Wenn ich für die Buch-Box keine Eins bekomme, bin ich echt beleidigt“, sagt die Mutter scherzhaft.

Wie ihr geht es vielen Eltern. Sie haben das Gefühl, ihre Kinder bei dem Lernen und den Hausaufgaben begleiten zu müssen. Sie erklären, kontrollieren, hören ab, lernen mit. Meist von Klasse eins an. Das ist die eine, die bildungsbürgerliche Seite.

Eltern, die die Aufgaben nicht verstehen

Die andere kennt Stefan Köhler, Leiter des Schülerhauses der Uhlandschule in Stuttgart Roth, wo die Nachmittagsbetreuung der Grundschüler stattfindet. Er erlebt viele Kinder, die niemanden daheim haben, der ihnen helfen, etwas erklären kann. Nicht selten scheitere es an der deutschen Sprache, die die Eltern nicht gut genug könnten. „Manche Mütter und Väter erklären mir, dass sie selbst nur wenige Jahre in der Schule waren und die Aufgaben gar nicht verstehen“, sagt Stefan Köhler. In der Hausaufgabenzeit im Schülerhaus der Caritas versuchen die Erzieherinnen und Erzieher deshalb, den Kindern die Hilfe zu geben, die sie brauchen. Eine Herausforderung, denn auf eine Betreuerin kommen rund 15 Jungen und Mädchen.

In dieses Spannungsfeld stieß diese Woche die Linke-Chefin Janine Wissler, als sie forderte, Hausaufgaben ganz abzuschaffen. Sie würden in Familien nur zu Stress führen und gleichzeitig Kinder benachteiligen, die daheim keine Hilfe haben, so das Argument der Politikerin.

Übereifrige Akademiker-Eltern?

Aber ist es überhaupt nötig, dass Eltern sich mit an den Schreibtisch der Kinder setzen? Oder sind das nur übereifrige Helikopter-Mütter und -Väter, die Angst haben, dass es der Nachwuchs in der Schule und damit im Beruf, ja, im Leben generell, zu nichts bringen könnte, wie es der Erziehungsexperte Herbert Renz-Polster einmal formuliert hat?

Fragt man bei Lehrkräften nach, ist die Antwort eindeutig: „Hausaufgaben sind so gedacht und sollten so gestellt werden, dass sie von Schülern erledigt werden“, sagt zum Beispiel Manfred Birk, Rektor des Stuttgarter Dillmann-Gymnasiums. Auch sein Kollege Mario Zecher vom Eberhard-Ludwigs-Gymnasium betont, dass Eltern bitte nicht zu viel helfen oder gar die Aufgaben erledigen sollten. Diese seien für die Lehrkräfte wichtig, um zu sehen, wie gut oder schlecht ein Kind das Gelernte schon kann.

Was Eltern aber durchaus machen könnten: „Ins Heft schreiben, dass das Kind es auch nach 15-minütigem eifrigem Probieren nicht zu Ende geschafft hat“, sagt Zecher. Wenn es Probleme gibt, raten Lehrkräfte unbedingt dazu, mit ihnen zu sprechen.

Am Anfang brauchen Grundschüler Unterstützung

Nicht die Aufgaben fürs Kind erledigen, aber ihm ein gutes Umfeld dafür schaffen – das nennt Schülerhaus-Leiter Stefan Köhler als Aufgabe für sein Team, aber eben auch für Eltern daheim, wenn es um Grundschulkinder geht. Die Kinder bräuchten für Hausaufgaben eine feste Uhrzeit, einen Platz, an dem sie ungestört sind, und die Möglichkeit, auch mal eine Frage zu stellen. Es sei illusorisch zu erwarten, dass alle Grundschüler vom ersten Tag an Hausaufgaben selbstständig erledigen könnten. „Wir erleben, dass Kinder in der ersten und zweiten Klasse oft noch viel Hilfe brauchen“, sagt Köhler. Sie müssten teilweise zunächst lernen, überhaupt eine Zeit lang still zu sitzen und sich auf die Aufgaben zu konzentrieren. Zu viel Druck oder Zwang bringe nichts, dann verweigerten manche eher. „Bis zur vierten Klasse klappt es dann aber bei den meisten ganz gut“, sagt Köhler.

Britta Kohler, Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Tübingen, forscht zu diesem Thema. Aus Studien wisse man, dass Hausaufgaben in vielen Familien zu Konflikten führten, sagt Kohler. Eltern und Kinder streiten sich zum Beispiel darüber, ob das Kind die Hausaufgaben schön, gut genug und richtig erledigt hat. Außerdem zeigten Befragungen, dass sich 90 Prozent aller Eltern von Grundschulkindern um das Thema kümmern. „Das Spektrum ist aber groß: Manche fragen nur nach, ob sie erledigt sind, andere setzen sich daneben und machen mit“, sagt Kohler.

Dass viele Eltern das Gefühl hätten, zuständig zu sein, liege auch an den unterschiedlichen Signalen aus den Schulen. Während manche Lehrkräfte erwarteten, dass Eltern zumindest darauf achten, dass die „Hausis“ erledigt werden, betonten andere, dass sich Mütter und Väter bitte nicht einmischen sollen.

Für die Wissenschaftlerin ist klar, dass Eltern in einer schwierigen Rolle sind: „Sie haben keine pädagogische Ausbildung. Außerdem waren sie im Unterricht nicht dabei und können nicht einschätzen, welchen Sinn die Aufgaben im Rahmen des Unterrichts gerade haben“, sagt Kohler. Für sie ist klar: „Dieses Arrangement wird kaum funktionieren.“ Es bedeute für Kinder und Eltern vor allem Stress. Britta Kohler, die vor der Uni-Karriere als Lehrerin gearbeitet hat, plädiert deshalb dafür, dass verpflichtende Aufgaben, die den Stoff vertiefen sollen, in den Schulen erledigt werden müssen. Letztendlich sei das aber nur im Konzept der Ganztagsschule möglich.

Buchpräsentation schon in der Grundschule

Und was ist mit der Beobachtung mancher Eltern, dass die Anforderungen im Vergleich zur eigenen Schulzeit gestiegen sind und die Kinder deshalb mehr Unterstützung brauchen? Studien gebe es dazu nicht, sagt Kohler. Aber natürlich hätten sich Aufgaben verändert. Zum Beispiel, dass kleine Vorträge und Buchpräsentationen mittlerweile schon in der Grundschule erwartet werden. Sie rät dennoch dazu, die Vorbereitung den Kindern zu überlassen. „Eltern übertragen ihre Ansprüche auf diese Aufgabenstellungen. Manche bereiten Powerpoint-Präsentationen vor, dabei will die Lehrerin nur, dass das Kind das Buch kurz vorstellt, sagt, warum es das gut fand, und flüssig daraus vorliest.“

Wenn es nach Britta Kohler geht, hätte Sohn Finn seine Buch-Box also lieber allein basteln sollen. Währenddessen hätte Mutter Katrin vielleicht Zeit gehabt, selbst ein gutes Buch zu lesen.

Braucht es Hausaufgaben überhaupt?

Ziele
  Die Erziehungswissenschaftlerin Britta Kohler nennt zwei Funktionen, die Hausaufgaben zugeschrieben werden: Kinder sollen das Gelernte vertiefen, anwenden, üben. Außerdem würden Hausaufgaben die Selbstständigkeit fördern.

Studien
Dass Hausaufgaben Selbstständigkeit fördern, habe bislang nicht nachgewiesen werden können, sagt Kohler. Zur Frage, ob Hausaufgaben die Leistungen steigerten, ergäben Studien ein uneinheitliches Bild. „Im Durchschnitt haben sie nur einen kleinen leistungssteigernden Effekt.“