Vier von hunderten Müttern, die schon bei dem Projekt „Faces of Moms“ mitgemacht haben. Foto: @sandsackfotografie / Natalie Stanczak

Einsamkeit, fehlende Lust und kein Therapieplatz für das autistische Kind – das Foto- und Interviewprojekt „Faces of Moms“ zeigt, wie nah Freud und Leid im Leben von Müttern zusammenliegen. Die Porträts sind gerade in der Stadtbibliothek Herrenberg zu sehen.

Moana, 44, 2 Kinder, litt an der „plötzlichen Einsamkeit“. Vorher ging sie aus, traf Freunde, arbeitete. Nun saß sie mit Baby zu Hause, „zwischen Windeln und Wäschebergen“. Das Gefühl der Emanzipation, das vorher ihr Leben begleitete: weggefegt. Oder Kerstin, 40. Mit ihrem autistischen Sohn erlebt sie, wie hart der Kampf um einen Kita- und Therapieplatz, um finanzielle Unterstützung für Kinder mit Behinderung ist.

Lisa hingegen, 38, zwei Kinder, sucht nach ihrer sexuellen Lust, die als Mutter weniger geworden ist – oder vielleicht auch nur anders. Und Garcia, 31, drei Kinder, erlebt Alltagsrassismus, wenn ihr Sohn hört, dass seine geflochtenen Haare „wie Schlangen aussehen“.

Wie geht es Müttern? Was sind ihre Probleme? Wie erleben sie Elternschaft? Was fordern sie von Politik und den Menschen um sie herum? Das fragten sich Natalie Stanczak und die Ludwigsburgerin Nicole Noller, nachdem sie selbst Mütter waren. Die Freundinnen starteten ihr Projekt „Faces of Moms“ – und Hunderte Frauen machten mit: Alleinerziehende und Mütter in Paarbeziehungen. Queere Personen, Regenbogenfamilien, Frauen mit und ohne Migrationsgeschichte, auch ein paar Väter sind dabei.

Auf ihrem Instagram-Kanal, in einem Podcast, in ihrem Buch „Bis eine* weint!“ und in Ausstellungen zeigen Nicole Noller und Natalie Stanczak in Fotos und Interviews ein Kaleidoskop heutiger Mutterschaft. Mal ist es die Teenager-Mutter, die mit dem Unbill des Heranwachsenden ringt. Mal ist es die Musikerin, die wütend ist, weil ihre Branche Mütter aufs Abstellgleis schiebt. Mal ist es die Alleinerziehende, die sich wünscht, wirklich mal Zeit allein mit sich zu haben. Mal erzählt die Ärztin, die damit hadert, in Beruf und Familie perfekt funktionieren zu müssen oder zu wollen.

Nicole Steller und Natalie Stanczak ist es wichtig, diverse Lebenswelten zu zeigen. Sie räumen ein: „Es sind vor allem weiße Mütter aus der Mittelschicht, die sich bei uns melden und über Herausforderungen sprechen wollen.“ Deshalb fragen sie gezielt Sorgepersonen an, die sich selten selbst zu Wort melden, zum Beispiel Frauen mit Behinderung, mit Fluchtgeschichte, mit wenig Geld.

Bei aller Unterschiedlichkeit gibt es rote Fäden, die sich durch alle Mütterleben zu ziehen scheinen. Viele erzählen von dem großen Bruch zwischen einem Leben als Frau mit allen Möglichkeiten und den plötzlichen Zwängen als Sorgende. Care-Arbeit, also das Kümmern um andere, werde kaum wertgeschätzt oder finanziell bedacht – so erleben das die Mütter. Sie fordern unter anderem eine höhere Anrechnung von Sorgezeiten bei der Rente, ein Grundeinkommen oder eine Art Care-Versicherung. Dass Kinder großzuziehen überwiegend Frauenaufgabe ist – auch das zeigt und impliziert ja schon die Anlage des Projektes.

Letztendlich wollen die Befragten ebenso wie die Macherinnen, dass Sorge-Arbeit – als Grundlage von Gesellschaft und Wirtschaft betrachtet – so behandelt wird. Kristin, 32, zwei Kinder, drückt es so aus: „Ich brauche Schlaf, Kaffee und eine Revolution.“ Bei allen Schwierigkeiten zeigt „Faces of Moms“ aber auch, wie zärtlich und erhebend es ist, Mutter zu sein. Auf jenen Fotos, auf denen auch die Kinder zu sehen sind, spiegelt sich Innigkeit, Nähe, Glück, auch Stolz.

Nicole Steller und Natalie Stanczak sagen, dass es nicht darum geht, Kinderhaben schlechtzumachen, sondern „um die Strukturen, in denen wir mit Kindern leben“. Ihre Vision: „Ein schöner Gedanke wäre, wenn es für unsere Kinder und Enkel völlig normal wäre, gleichberechtigt zu leben. So wie es für uns selbstverständlich ist, wählen zu gehen.“

Es geht um die Strukturen, in denen Familien leben

Eine Auswahl der Porträts von „Faces of Moms“ ist bis zum 15. April in der Stadtbibliothek Herrenberg zu sehen: stadtbibliothek.herrenberg.de. Wer sich interviewen lassen will, kann über facesofmoms@gmail.com Kontakt aufnehmen oder über den gleichnamigen Instagram-Account. Das Interviewbuch „Bis eine* weint!“ ist bei Palomaa Publishing erschienen und kostet 18 Euro.