Dieter Roth, Literaturwurst, 1969, Gehäckselte Ausgabe der Zeitschrift »Neue Revue« mit Gewürzen undFett in Wurstdarm, H: 30 cm, D: 9 cmDeichtorhallen Hamburg, Sammlung Falckenberg Foto: Egbert Haneke © Dieter Roth Estate / Courtesy Hauser & Wirth

Dieter Roth verstand sich als Schriftsteller, wurde aber als Künstler wahrgenommen. Die Schau „Balle Balle Knalle“ im Kunstmuseum Stuttgart widmet sich beiden Seiten des Grenzgängers.

Stuttgart - Ulrike Groos, Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart, gilt als „Eat Art“-Spezialistin, seit sie noch als Leiterin der Kunsthalle Düsseldorf die Ausstellung „Eating the Universe – Vom Essen in der Kunst“ präsentierte.

Für Stuttgart hat Groos im September 2010 das Konzept verdichtet und erweitert. „Eat Art“ bot als Bestandsaufnahme einen umfassenden Blick zurück und nach vorn. „Der avantgardistische Geist der 1960er Jahre“, sagte Groos seinerzeit unserer Zeitung, „führte dazu, dass die bildenden Künste in alltägliche und trivial anmutende Sparten eindrangen. Die Losung ,Eat Art‘ bezeichnete Kunstwerke, die mit Essbarem angereichert waren und über Essen und Geschmack reflektierten.“

An diesem Freitag um 19 Uhr eröffnet das Kunstmuseum die Schau „Dieter Roth. Balle Balle Knalle“. Stuttgart und Dieter Roth – das ist eine eigene Geschichte, eine, die nicht geschrieben wurde, als sie sich ereignete, eine, die nicht mehr einzuholen ist, da viele Augen- und Ohrenzeugen in alle Länder verstreut sind. 1967 – der 1930 in Hannover geborene Roth kam gerade aus den USA zurück, wo er „Nicht-Unterricht als Unterricht“ gelehrt hatte – die erste Einzelausstellung: „Die verwurstete Literatur“ genannt und unmissverständlich die Grenzen der Kunstsparten in Frage stellend.

1968 begann die Zusammenarbeit mit der Edition Hansjörg Mayer, in der Lichtdruckerei Schreiber entstand auf Anregung des Kritikers Günther Wirth und in der für Roth auch in der Folge wichtigen Produktion mit dem Drucker Frank Kicherer der erste Lichtdruck als Original. Ebenfalls in Stuttgart verwandelte der mit dem Kreis um Max Bense und Reinhard Döhl verbündete Dieter Roth einen Ort der Bilderpflege in das Labor eines Künstlerforschers.

„Die Kunst ist für mich erledigt.“

Roth brachte das Stück Dieter Roth auf die Bühne – 1979, in der Graphischen Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart. Ein Künstlerkosmos, inszeniert vor Ort und begleitet von einer donnernden Absage an die Kunst. Dieter Roth sagte damals unserer Zeitung knapp: „Die Kunst ist für mich erledigt.“ Warum? „Sie sagt nichts mehr, sie kann die Wahrheit gar nicht sagen. Sobald man eine Zeichnung an die Wand hängt, erzählt sie nichts mehr. Es ist nur noch etwas fürs Auge. Sehen Sie sich diese Zeichnung an. Da habe ich das Blödeste getan, was ich überhaupt tun kann. Und es wirkt gar nicht doof an der Wand, es wirkt einfach ästhetisch.“

Die Literatur, zugleich immer Material seiner Arbeit, erkor er sich als Fluchtfeld - und beschenkte doch 15 Monate später Stuttgart und Wendelin Niedlich mit einem bitterbösen, an Fluxus (und Roths beständigen Kontakt zu Siegried Cremer) gemahnenden „Stuttgarter Bilderbogen“. Ein Auszug dennoch aus der Wortwelt: „Wut und Angst. . . /Was sind die – oder, sollte ich sagen: Was ist das – ?/Hier ein Schmerz, mein Fragaffe: Du hättest fragen sollen: Wasse sind Die? Und hier Ernst: Habe ich Dir nicht gesagt: IST, das gibt es nicht?/Also, dat gibtis, DAT und WAT, und DATSUN?“

Dieter Roth, dem Maler, Grafiker, Typografen, Aktionisten und Dichter (Akademieprofessor überdies – in Düsseldorf seit 1968, und Lehrender an europäischen wie amerikanischen Hochschulen) stand dann, 1988, die Staatsgalerie ein zweites Mal offen. Doch behielten die Kunsthistoriker, anders als 1979, die Fäden selbst in der Hand.

Die verlorenen oder auch nur verwirbelten Beziehungsfäden zwischen Dieter Roth und Stuttgart wollte schließlich Johann-Karl Schmidt aufnehmen. Unbescheiden strebte er als Direktor der Galerie der Stadt Stuttgart die „weltweit bedeutendste Dieter-Roth-Sammlung“ an. Wie wohl die „Bastelnovelle 3 von Wix Stundenschaum. Mit vielen Gedichten im Griechisch-Römischen Stil von Ratz Hundefutter“ (Edition Mayer) in das erträumte Bilderland gepasst hätte? Nun, das Sammlungsprojekt stagnierte früh. Dennoch galt Dieter Roth im Kunstmuseum Stuttgart – wie auch zuletzt in der Sammlungspräsentation von Ulrike Groos – stets besondere Aufmerksamkeit.

Dieter Roth - Fahnenträger von „Fluxus“

Nun also „Balle Balle Knalle“. Von diesem Freitag an wird der 1998 im Alter von 68 Jahren gestorbene Dirigent der „Schimmelgrafiken“, Begründer des heute so geliebten Äußerungsfeldes „artist book“, Fahnenträger von „Fluxus“ und rastlos gegen alle Beständigkeit streitende Dieter Roth, Diter Rot, Otto Hase, Max Plunderbaum auf den drei Etagen des Kunstmuseum-Kubus umfassend geehrt.

Roths Stuttgarter Zeit begründet jedoch nicht nur einen Sammlungsschwerpunkt des Kunstmuseums. Für Ulrike Groos war es bei der Vorbereitung der „Eat Art“-Schau „eine freudige Überraschung, wie viele Verbindungen es hier in Stuttgart zu diesem Thema gibt und wie viele Künstler sich heute damit beschäftigen, beispielsweise Mario Ohno mit seiner Einzimmertafel St. Amour, Gabriele Oberkofler oder die Filderbahnfreunde Möhringen FFM.“

Und was ist im Kosmos von Dieter Roth neu zu entdecken? Das Panorama von mehr als 160 Werken aus unterschiedlichen Schaffensphasen soll verdeutlichen, wie Text und Bild bei Roth untrennbar miteinander in Beziehung stehen und sich die Bereiche von Literatur und Kunst wechselseitig befruchten. Entsprechend hofft Kunstmuseumsdirektorin Ulrike Groos „auch auf eine neue Perspektive auf die Kunst der 1960er Jahre“. „Deren Umwälzungen“ seien „ nicht so sehr als ,Ausstieg aus dem Bild‘ (Laszlo Glozer) zu beschreiben, sondern vielmehr als ,Ausstieg aus dem Buch‘.“

Zu sehen ist „Dieter Roth – Balle Balle Knalle“ bis zum 15. April 2015. www.kunstmuseum-stuttgart.de