Nach dem blamablen WM-Aus wird die Arbeit von Oliver Bierhoff zunehmend kritisch hinterfragt. Zu vieles ist in Russland schief gelaufen – auch Dinge, die der mächtige DFB-Manager zu verantworten hat.
Moskau - Um das Wesen und das Wirken des Oliver Bierhoff zu verstehen, sollte man ein bisschen zurückschauen. Schon vor dem Jahr 2004 kleidete sich die Nationalelf auf Reisen ja gerne mal schick. Wenn es in den Flieger ging, hatte der Trainingsanzug oft ausgedient, teure Anzüge und Hemden waren der Dresscode. Man hatte in der weiten Fußballwelt ja auch eine Repräsentationspflicht.
Damals bezahlte der DFB die Anzüge noch selbst, er kaufte sie irgendwo. Dann kam im Sommer 2004 mit Oliver Bierhoff der erste Manager in der Geschichte der Nationalelf ins Amt. Und schnell liefen die Dinge anders. Bierhoff handelte neue Ausrüsterverträge aus. Nicht für Trainingsanzüge – für echte Anzüge. Nun floss das Geld andersrum. Und der DFB bekam Geld dafür, dass er die edlen Zwirne einer bestimmten Marke durch die Welt trug.
Oliver Bierhoff hat nicht nur neue Werbeverträge an Land gezogen
Darauf hätte man durchaus auch mal früher kommen können. Kam man aber nicht. Aber fortan gab es ja Bierhoff, der seit seinem Amtsantritt vor 14 Jahren aber beileibe nicht nur neue Werbeverträge an Land gezogen hat. Bierhoff wischte den Staub vom Verband. Auch der ehemalige Stürmer zeichnet verantwortlich dafür, dass die Zeiten des deutschen Rumpelfußballs passé sind. Zusammen mit Joachim Löw und Jürgen Klinsmann brachte er frischen Wind in den von altem Mief durchwaberten DFB. Die Geschichte des Oliver Bierhoff war bisher eine Erfolgsgeschichte, von kleineren Dellen mal abgesehen.
Jetzt, nach dem peinlichen WM-Aus, hat sich der Wind auch für Bierhoff gedreht. Er wird hinterfragt, wie das dann so schön heißt. Denn bisher war das ja meist so – wenn der Erfolg da war beim DFB-Team, dann hat man über diesen Bierhoff in Ligakreisen und in der Szene fernab des Kosmos Nationalelf ja noch hinweggesehen. Der Marketing-Olli, ach komm, lasst ihn mal. Der Erfolg ist ja irgendwie da.
Jetzt haben sich die Dinge verändert.
Beim DFB hat Bierhoff mittlerweile mehr als 100 Mitarbeiter unter sich
Bierhoff darf ja mittlerweile als sogenannter DFB-Direktor firmieren, er ist eine Art Superminister im weltgrößten Fußballverband. Mehr als 100 Mitarbeiter hat er unter sich. Bierhoffs Einfluss wuchs von Jahr zu Jahr, sein Vertrag wurde von DFB-Präsident Reinhard Grindel vor der WM sogar bis 2024 verlängert. Diese Machtfülle weckt schon per se zumindest Argwohn bei den Kritikern.
Obendrein schafft sich Bierhoff gerade noch sein Denkmal: die mehr als 150 Millionen Euro teure DFB-Akademie in Frankfurt. Ein Thinktank, der Fußball made in Germany in der Weltspitze halten – beziehungsweise nach der WM in Russland wieder dahin zurückbringen soll. Das Ziel: die umfassende Fußballkompetenz. Marketing, Trainer-Ausbildung, Talentförderung.
„Manchmal fühle ich mich wie die Spinne im Netz“
Das sind die Wörter, die Bierhoff selbst gerne benutzt: Thinktank. Made in Germany. Supervisor. Bierhoff, der Manager. Bierhoff, der Strippenzieher. So sieht er sich. Er selbst beschrieb seine Rolle in der „Süddeutschen Zeitung“ kürzlich so: „Bei mir läuft alles zusammen, was jenseits des Platzes passiert. Manchmal fühle ich mich wie die Spinne im Netz, die alle Fäden halten muss.“ Jetzt muss Bierhoff die Krise managen. Und genau in dieser Phase mehren sich die Stimmen, die sagen, dass auch die Personalie Bierhoff mal auf den Tisch kommen sollte. Anlass zur Kritik gibt es dabei augenscheinlich genug.
Die Quartierwahl mit der Bleibe in Watutinki vor den Toren Moskaus etwa war ein Reinfall. Kaum einer aus dem DFB-Tross fühlte sich wohl im Vorstadt-Moloch im tristen Fichtenwald. Bierhoff hatte die Auswahl so begründet, dass es im Falle eines Gruppensiegs vom Halbfinale an weniger Reisestress gebe. Diese Planung klingt rückblickend wie ein schlechter Scherz. Man könnte auch sagen: Hochmut kommt vor dem Fall.
Fragwürdige PR-Slogans waren wichtiger als öffentliche Trainingseinheiten
Der smarte Bierhoff ist zudem der Mann, der maßgeblich zu einer Entfremdung der Mannschaft von der Basis beigetragen hat. Er hat die Nationalelf zu einer Marke stilisiert, zu einer aus dem DFB outgescourcten AG. Fragwürdige PR-Slogans („Die Mannschaft“, „#ZSMMN“, „Best never rest“) wurden wichtiger als auch nur eine offene Trainingseinheit für Fans.
Unabhängig davon, so berichten es DFB-Insider, habe das Verhältnis zwischen Bierhoff und Bundestrainer Joachim Löw erste Risse bekommen. Bierhoff soll nach den Entwicklungen bei der WM nicht mehr uneingeschränkt hinter Löw stehen – der Bundestrainer selbst wiederum ging schon in Russland augenscheinlich auf Distanz zu Bierhoff. Offensichtlich wurde das unmittelbar nach dem Siegtor zum 2:1 im zweiten Gruppenspiel gegen Schweden, als Bierhoff Löw herzen und fest an sich drücken wollte. Der Trainer wandte sich einfach ab.
Für Thinktanks und Marketingmasterpläne bleibt vorerst keine Zeit
Fakt ist: Mit seinem Spieler-Gen, mit dem Gespür als ehemaliger Kapitän der DFB-Elf, erkannte Bierhoff bereits in Russland gewisse Fehlentwicklungen. Stoppen konnte er sie nicht. Auch der Manager drang zu Löw, der längst nur noch das tut, was er will und was er für richtig hält, wohl nicht mehr so durch, wie das früher noch der Fall war. Die große Frage ist nun, wie es weitergeht im inneren Zirkel der Nationalelf. Oliver Bierhoff ist als Krisenmanager gefragt – und sollte sich in den nächsten Wochen womöglich eher mal auf seinen Stallgeruch und sein Gespür für die Kabine verlassen, als an all die Thinktanks und Marketingmasterpläne zu denken.