Meerblick geht anders: Die Nationalspieler dürfen die Plattenbauten der Innenstadt bestaunen. Foto: AFP

Vor vier Jahren noch direkt am Meer liegt das deutsche Quartier dieses Mal wesentlich unspektakulärer. Einige Kritiker sprechen bereits von programmiertem Lagerkoller. DFB-Teammanager Oliver Bierhoff beschwichtigt und sieht die Hotelwahl als „alternativlos“.

Watutinki - Der Weltmeister ist angekommen in Watutinki. Die 23 Nationalspieler, die den Titel in Russland verteidigen sollen, haben am Dienstag ihr WM-Quartier vor den Toren Moskaus bezogen – die heiße Vorbereitungsphase auf das erste Gruppenspiel am Sonntag (17 Uhr) gegen Mexiko in der Hauptstadt, sie hat begonnen. Einige Tage bleiben den Nationalspielern und dem gesamten DFB-Tross, um sich zu akklimatisieren – in einem WM-Quartier, über das schon eifrig spekuliert und gemutmaßt wurde.

Von einem möglichen Lagerkoller war schon die Rede, von angeblich vorprogrammierter schlechter Stimmung – weil es in der Umgebung eben kein Meer gibt wie beim fast schon legendären Campo Bahia beim Triumph in Brasilien 2014 und beim Gewinn des Confed-Cups 2017, als Joachim Löws Team am Schwarzen Meer in Sotschi logierte. In Watutinki bestimmen stattdessen Fichten, Birken und Kastanien die Szenerie sowie im Zentrum zwölf- bis 17-stöckige Hochhäuser, die sich an der sechsspurigen Durchgangsstraße wie Bauklötze aneinanderreihen.

Löw will den Flair von 2014

Der Bundestrainer Löw selbst hätte gerne ein bisschen Flair von der WM 2014 nach Russland hinübergerettet, wie beim Confed- Cup zog es ihn eigentlich wieder ans Schwarze Meer. Doch die Entscheidung für den Großraum Moskau war „alternativlos“, wie es Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalelf erläutert.

Bei optimalem Verlauf spielt die DFB-Auswahl nun dreimal in der russischen Hauptstadt, unter anderem im Halbfinale und im Endspiel. Sotschi dagegen hätte vor allem in der K.-o.-Phase deutlich mehr Reisestress bedeutet. Immerhin: Vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Schweden am 23. Juni in Sotschi quartiert sich das DFB-Team vier Tage lang dort ein.

Davor und danach dagegen gibt es vom Hotel aus keinen Meerblick. Sondern Wald. So versuchen sich die Weltmeister in den nächsten Wochen in Watutinki also auch als Waldmeister – ob sie das nun wollen oder nicht. „Jammern gilt nicht“, sagt Löw dazu, „wenn man anfängt zu lamentieren, verliert man Energie.“ Bierhoff drückt es so aus: „Wir sind hier nicht zum Urlaubmachen hingeflogen, sondern um das Turnier zu gewinnen.“

Eine Stadt putzt sich heraus

Wobei keine Mühen gescheut wurden. Für die deutschen Weltmeister, so berichten Anwohner, sei sogar der Asphalt mit Shampoo auf Hochglanz poliert worden.

Das Finalstadion Luschniki in Moskau, wo die deutsche Mannschaft auch ihren Auftakt gegen Mexiko bestreitet, liegt 33 Kilometer entfernt. Gut eine halbe Stunde dauert es bis zum Flughafen Wnukowo, von wo aus das Team zu den Spielen außerhalb Moskaus fliegt. Und nur ein besserer Katzensprung ist es vom Hotel zum Trainingsgelände von ZSKA Moskau, das dem russischen Verteidigungsministerium gehört – und das die Nationalelf während des Turniers für die täglichen Einheiten nutzt.

Im Quartier in der 11 000-Einwohner-Stadt stehen dem DFB-Tross 72 Zimmer zur Verfügung, es ist eine Art kernsanierte Schullandheim-Optik. In der Lobby im Hauptgebäude treffen Marmortreppen auf vergoldete Säulen. Im ersten Stock zeigt eine Galerie prominente Besucher, auch Wladimir Putin war offenbar schon da. Es gibt einen Spa-Bereich und einen eigenen Friseursalon. „Wir haben optimale Voraussetzungen“, sagt Oliver Bierhoff. Von außen wiederum beherrscht schlichter Plattenbau-Stil die Optik. Zudem wird schnell klar: Die Liebhaber von ausgedehnten Waldspaziergängen im Kreis des DFB-Teams sind in den nächsten Wochen klar im Vorteil.

Spielt das Wetter mit?

Joachim Löw wiederum befürchtet ein paar Duschen unter freiem Himmel. „Wir hoffen, dass es nicht die ganze Zeit regnet“, sagt der Bundestrainer – und ergänzt mit Blick auf die Zeit bei der WM 2014 in Brasilien: „Watutinki ist kein Campo Bahia.“ Die Atmosphäre in der sonnendurchfluteten Ferienanlage gilt als einer der Schlüssel auf dem Weg zum Titel 2014. „Das Campo Bahia war klasse, eine Oase der Ausgeglichenheit“, sagt Löw, „jetzt haben wir andere Verhältnisse.“

Wohl wahr: Die einzige Sehenswürdigkeit Watutinkis ist der sogenannte Siegespark („Ruhm den Kriegssiegern 1941–45!“) mit Flaniermeile. Dort gibt es auch diesen Spruch zu lesen: „Als Held wird man nicht geboren, zum Helden wird man.“ Ob dieses Motto irgendwie helfen kann, bei Löw und seinem Team einen „Geist von Watutinki“ wachsen zu lassen?