Auf propalästinensischen Demonstrationen kommt es immer wieder zu antisemitischen Vorfällen. Foto: imago//Jochen Tack

Seit dem Hamas-Angriff auf Israel häufen sich israelfeindliche und antisemitische Vorfälle. Einige Kritiker warfen der Bundesregierung nun vor, das Problem ignoriert zu haben. Doch es gibt auch andere Stimmen.

Sie fühlen sich in Deutschland nicht mehr sicher. Das ist von vielen jüdischen Menschen zu hören, seit Israel am 7. Oktober von Hamas-Terroristen angegriffen wurde. Seitdem häufen sich antisemitische Vorfälle – auch in Deutschland. Nun wird der Bundesregierung vorgeworfen, Antisemitismus als Problem in migrantischen und muslimischen Communitys übersehen zu haben. Die Kritik richtet sich auch gegen das Bundesfamilienministerium, das mit dem Bundesprogramm „Demokratie leben“ seit 2014 Projekte zur Demokratieförderung unterstützt. Mehr als 182 Millionen Euro sind im aktuellen Jahr dafür vorgesehen. Dabei würden nicht ausreichend Projekte gefördert, die gegen Israelfeindlichkeit arbeiten, sagte kürzlich Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde Berlin, im ZDF. „Das muss in der Einwanderungsgesellschaft doch auch von Migrantenorganisationen angegangen werden. Aber wenn wir das machen wollen, werden wir nicht unterstützt“, so Toprak. Auch Politikerinnen wie die FDP-Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg (FDP) oder der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln Martin Hikel (SPD) äußern ähnliche Kritik.

„Wenn wir das machen wollen, werden wir nicht unterstützt“

Ministerium weist die Vorwürfe zurück

Das Ministerium weist die Vorwürfe auf Anfrage zurück. Es verweist darauf, dass zehn Prozent der geförderten Modellprojekte des Bundesprogramms in den Bereich Antisemitismusprävention fielen, im Vergleich mit anderen Themen zähle die Fördersumme zu den höheren. Knapp die Hälfte der Projekte in diesem Bereich beschäftige sich mit Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft. Außerdem hebt das Ministerium hervor, dass es auch das Kompetenznetzwerk Antisemitismus fördere, eine Gruppe von Trägern, zu denen unter anderem die Bildungsstätte Anne Frank gehört. Deren Direktor Meron Mendel kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen. Mendel arbeitet auch mit Moscheegemeinden zusammen, um dort Workshops gegen Antisemitismus anzubieten. Erlebt er, dass es Projekte wie seine schwerer haben, gefördert zu werden? „Das ist nicht meine Erfahrung“, sagt Mendel.

„Nicht meine Erfahrung“

Ähnlich äußert sich Dervis Hizarci. Er ist Vorstandsvorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, die zum Beispiel Workshops in Schulen anbietet, um über Antisemitismus im Kontext des Nahostkonflikts aufzuklären. „Ich habe erlebt, dass Jugendliche, die vorher israelfeindlich eingestellt waren, sich später selbst aktiv gegen Antisemitismus eingesetzt haben“, sagt Hizarci. Auch diese Initiative wird vom Familienministerium gefördert. „Dass wir weniger Geld als andere bekommen würden, ist einfach nicht richtig“, sagt Hizarci. Er ärgert sich über die Polarisierung der Debatte. „Das ist ein sehr polemischer Umgang mit einem ohnehin hochsensiblen Thema.“

Differenzierung angemahnt

Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank geht es darum, Probleme klar zu benennen. „Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft, das ist für mich ein weichgespülter Begriff“, sagt Mendel. Es sei klar, dass man dabei wohl nicht an Geflüchtete aus der Ukraine denke. „Es geht um Antisemitismus in muslimischen Communitys.“ Gleichzeitig betont er: „Es geht nicht darum, allen Muslimen Antisemitismus vorzuwerfen. Da muss man differenzieren.“

Fehlende Langfristigkeit

Sowohl Mendel als auch Hizarci sehen in der aktuellen Demokratieförderung aber vor allem ein anderes Problem: dass sie nicht langfristig genug sei. Beide erzählen, wie aufwändig es ist, sich um Mittel zu bewerben, wie schwer sich plötzliche Kürzungen auswirken, dass ihre Mitarbeitenden immer nur in befristeten Projektverträgen arbeiten können. Das betrifft sämtliche Bereiche der Demokratieförderung, nicht nur die Antisemitismusprävention.

Eigentlich ist geplant, durch das Demokratiefördergesetz künftig eine langfristige Finanzierung zu ermöglichen. Die Arbeit der Träger sei stark nachgefragt, sagte Familienministerin Lisa Paus Grüne unserer Redaktion: „Deswegen ist es so wichtig, dass wir jetzt zügig das Demokratiefördergesetz verabschieden und den wichtigen Kampf gegen Antisemitismus dauerhaft auf eine finanzielle Grundlage auch jenseits von Modellprojekten stellen.“ Im März beriet der Bundestag zum ersten Mal über den Gesetzentwurf. Doch seitdem geht es nicht voran. Wann das Gesetz verabschiedet werden wird, ist derzeit nicht absehbar.