Der Parteichef Markus Söder und seine CSU stehen in Bayern vor einer zukunftsweisenden Wahl. Foto: dpa/Sven Hoppe

Nach den hohen Verlusten bei der Wahl 2018 kündigte Markus Söder eine ehrliche Analyse an. Fünf Jahre später steht seine CSU aber noch schlechter da. Nicht nur Söders Zukunft ist ungewisser denn je.

Zwei Wochen vor der Landtagswahl in Bayern hat CSU-Chef Markus Söder auf dem Parteitag offenbar Redebedarf. Mehr als eineinhalb Stunden spricht er über anstehende Wahl und es wirkt ein wenig so, als wolle er sich vorab für das laut Umfragen drohende Ergebnis entschuldigen: „Ich verspreche euch jetzt hier keine Prozentzahlen“, ruft er den Delegierten in der Münchner Messehalle zu. Am 8. Oktober gehe es um stabile Regierung für Bayern und „nicht um einen Schönheitspreis“. „Die Zeit ist anders, Deutschland ist anders.“

Wer sich auf dem Parteitag umhört, welches Ergebnis die CSU in zwei Wochen erreichen kann, erntet meist ratloses Schulterzucken. 37, 38 Prozent werden genannt, und dabei wird auf die besondere Lage verwiesen, unter der die CSU als Volkspartei besonders leide. Die Stimmung im Land sei kritisch, Stichworte seien Spaltung und Angst vor weiterer Radikalisierung, heißt es. „Man merkt leichte Anfänge von Weimar“, nennt Söder es in seiner Rede und erinnert damit an das unrühmliche Scheitern der ersten deutschen Demokratie durch die Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler am 30. Januar 1933.

Extreme Umfragewerte und Gelassenheit

In den Umfragen zeigt sich das Dilemma von Söder und der CSU in Werten von meist nur 36 Prozent. Dafür stehen die Freien Wähler (17 Prozent) und die AfD (13 bis 14 Prozent) besser da als je zuvor. In Summe kommen sie auf bis zu 31 Prozent. Als Gründe für den Höhenflug der Freien Wähler wird dann die „Fieberkurve aus Solidarität“ (Söder) nach der Flugblatt-Affäre genannt. Die AfD wiederum profitiere vom bundesweiten Umfragehoch. Viele CSUler machen die Zahlen nervös, Söder bemüht sich um Gelassenheit: „Freude über Umfragen ist schön, aber keiner soll sich zu früh freuen. Es kommt dann doch immer ganz anders, als man denkt“, sagte er schon Anfang der Woche.

Die Erklärungen sind sicher nicht falsch - wer damit aber vollends die Lage der CSU analysieren will, blendet Söders Verantwortung aus. Dies wissen auch viele in der Partei - sagen es aber bisher nur hinter vorgehaltener Hand. Wie immer steht die CSU bis zur Wahl geschlossen hinter ihrem Parteichef. Bestens erkennbar wird dies im Rekordergebnis von 96,56 Prozent bei Söders Wiederwahl als CSU-Chef.

Wahlergebnis definiert auch Söders Zukunft

Ob Söder auch nach der Wahl so großen Rückhalt in der CSU verspüren wird, bleibt abzuwarten. Ein schlechteres Ergebnis als 2018 (37,2 Prozent) wäre definitiv eine Bürde - ob es dann für Söder eng würde, kann niemand sagen. Immerhin stehe die CSU nach der Unionspleite im Bund 2021 als Oppositionspartei noch schlechter da, heißt es. Söders Glück sei es, dass hinter ihm kein anderer auf seine Chance warte. Gleichwohl dürften sich dann auch Söders noch so geheime Ambitionen auf eine bundespolitische Karriere von selbst erledigt haben.

Doch zurück zur CSU: Söder habe die Partei und viele ihre Mitglieder mit seinen bisherigen Kurswechseln nachhaltig verunsichert, heißt es dort nämlich auch. „Heute weiß man nicht mehr, wofür die CSU steht, und schon gar nicht, wofür sie in einem Jahr stehen wird“, umschreibt ein Parteivorstand die Kritik, die er nach eigener Aussage im Wahlkampf oft von der Basis zu hören bekommt.

Von „Asyltourismus“ zu den neuen Megathemen

Konkret genannt wird in dem Kontext sowohl Söders einstiger Hardlinerkurs 2018, als er sich zu Aussagen wie „Asyltourismus“ und einem offenen Konflikt mit der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hinreißen ließ, um der AfD zugeneigte Wähler abzuwerben. Damals vor der Wahl lag die CSU in Umfragen zwischen 33 und 35 Prozent.

Nach der „politischen Nahtoderfahrung“, wie Söder den Rechtsruck rückwirkend nannte, verordnete er sich und der CSU einen Linksruck zurück in die Mitte. Klima- und Artenschutz waren plötzlich die „Megathemen“. Zum Sinnbild wurde ein Foto aus dem Juli 2019, als Söder einen Baum umarmte. Damals setzte er sich auch noch für eine verpflichtende Frauenquote in CSU-Kreisvorständen ein.

Doch so sehr sich Söder auch mühte, in der Partei regte sich zunehmend Widerstand. Die Frauenquote wurde von der Basis abgeschmettert, den grüneren Kurs verzeihen ihm viele in der Partei bis heute nicht. Söder hielt jedoch am neuen Kompass fest, die CSU müsse moderner werden und sich für eine sich verändernde Gesellschaft wappnen.

Erst als die CSU in Bayern vor der Bundestagswahl 2021 - also nach Söders verlorenem Machtkampf um die Unionskanzlerkandidatur - auf eine Rekordpleite zusteuerte, zogen die CSU-Strategen die Reißleine. Mit einer Stammwählerkampagne versuchte die Partei die Kehrtwende, warnte vor dem Linksrutsch im Bund und buhlte so um die Gunst der enttäuschten Konservativen.

Wahlkampf 2023 wieder betont konservativ

Auch im Wahlkampf 2023 präsentiert sich die CSU wieder betont konservativ, schließt eine Regierungszusammenarbeit mit den Grünen kategorisch aus, und wie bereits 2018 hat sie das ansonsten lange ausgeklammerte Migrationsthema wieder für sich entdeckt. Hatte Söders Vorgänger Horst Seehofer jahrelang eine Obergrenze für Zuwanderer gefordert, spricht er nun wieder von einer notwendigen „Integrationsgrenze“.

Verstärkt wird das Kurs-Dilemma der CSU von einer nachhaltigen Veränderung in der bayerischen Parteienlandschaft: Die Freien Wähler, die lange als „Fleisch vom Fleische“ der CSU bezeichnet wurden, haben sich erkennbar rechts von der CSU etabliert. Söder hat sich aber früh festgelegt, mit den Freien Wählern auch nach der Wahl wieder regieren zu wollen. Auf dem Parteitag versucht er, die Kritik darüber abzufedern. Letztlich sei es egal, wer Koalitionspartner der CSU gewesen sei, „am Ende kommt es in Bayern immer auf die CSU an“.

Das Mantra von Söders großem Vorbild Franz Josef Strauß, dass es rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe, scheint aber auf unabsehbare Zeit gebrochen. Söder selbst hatte 2016 nach Wahlniederlagen der CDU noch lautstark gefordert, diese müsse den „Urauftrag der Konservativen“ wieder ernst nehmen, wolle sie dauerhafte Wählerverluste verhindern.

Angesichts der Ausgangslage ist die Bayern-Wahl längst nicht nur für den einstigen Schattenkanzler Söder eine Schicksalswahl. Sollten sich die Umfragen bestätigen und die Freien Wähler mit Zugewinnen an den Kabinettstisch zurückkehren, würde die Volkspartei CSU wohl weiter Boden verlieren. Söders Name wäre dann in den Geschichtsbüchern dauerhaft mit dem Bedeutungsverlust der CSU verbunden.