Ein Beamter des Landeskriminalamtes im Einsatz im Zusammenhang mit dem Osmanen-Prozess in Stuttgart-Stammheim. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir fordert den Bund auf, sich die baden-württembergische Ermittlungen gegen türkische Beziehungsgeflechte in Deutschland zum Vorbild zu nehmen.

Stuttgart - Die Bundesregierung hat bislang die Aktivitäten der rockerähnlichen Gruppierung „Osmanen Germania Boxclub“ nie bei ihren Gesprächen mit der türkischen Regierung zur Sprache gebracht. Das geht aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Grünen hervor, die unserer Zeitung und dem ZDF-Magazin Frontal 21 vorliegt. Den früheren Grünen-Chef Cem Özdemir empört die Regierungsantwort: „Das ist doch ein Skandal. Die Erkenntnisse hessischer Ermittler bis hin zu abgehörten Telefonaten mit Staatschef Recep Tayyip Erdogan mit seinen in Deutschland aktiven Schergen werden unter den Tisch gekehrt.“

Herr Özdemir, Sie haben die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Anfrage zu Erdogans Netzwerk in Deutschland in der Hand – muss jetzt ein Untersuchungsausschuss im Bundestag weitermachen?
In jedem Fall werde ich weiterhin an der Sache dranbleiben. Mit welchem parlamentarischen Mittel, prüfen wir in Ruhe. Die Antworten der Bundesregierung reichen jedenfalls mitnichten aus. Entweder schaut sie bewusst weg oder sie hält Erkenntnisse zurück. Beides ist nicht gut für uns Menschen in Deutschland und unsere Sicherheit.
Warum?
Weil die Sicherheit von Menschen türkischer Herkunft, von Menschen, die kritisch zu Erdogan stehen, täglich in Deutschland gefährdet ist und weil sich so das Leben hier in Deutschland Stück für Stück verändert. Es kann nicht sein, dass wir das hinnehmen, nur um den türkischen Präsidenten nicht zu verärgern.
Was meinen Sie damit, dass das Leben von Menschen in Deutschland sich verändert?
Zu mir kommen Menschen, die Angst vor den bewaffneten Banden Erdogans und vor seinen Spitzeln in Deutschland haben. Menschen, die sich hier nicht mehr trauen, offen zu reden. Wenn ich diesen Menschen sage, sie sollen zur Polizei gehen, dann antworten die mir, sie wüssten nicht, ob der deutsche Staat hinter ihnen steht. Das darf und das kann nicht sein. Es gibt nur eine Seite, auf der der deutsche Staat stehen kann: auf der Seite der Geschlagenen, der Getretenen, der Bedrohten und der Bespitzelten.

„Weil das Landeskriminalamt sich was getraut hat“

… ja, aber warum denn? Weil das Landeskriminalamt Baden-Württemberg, sein Präsident Ralf Michelfelder und Polizeipräsidien im Ländle sich was getraut haben und weil sich die Stuttgarter Staatsanwaltschaft etwas getraut hat und wir eine Landesregierung haben, die hinter unserer Polizei steht. Das sollte anderen Bundesländern und vor allem dem Bund als Beispiel dienen, wie Ermittlungen couragiert gegen Erdogans Netzwerk in Deutschland geführt werden können. Es muss fortan eine Nulltoleranzpolitik gegen jeden Fanatismus und Extremismus geben, ob durch deutsche Rechtsradikale oder türkische, ist mir dabei egal.
Beim Stuttgarter Verfahren gegen die Osmanen spielen politische Aspekte keine Rolle.
Die Bundesregierung wird in Ihrer Antwort an einer Stelle bemerkenswert klar. Sie hat das Thema nie gegenüber der türkischen Regierung angesprochen. Das ist doch ein Skandal. Die Erkenntnisse hessischer Ermittler bis hin zu abgehörten Telefonaten Erdogans mit seinen in Deutschland aktiven Schergen werden unter den Tisch gekehrt. Es ist Zeit, dass die Bundesregierung dieses Netzwerk nicht mehr mit Samthandschuhen anfasst. Ansonsten ermuntert sie Erdogan – gerade in dem jetzt beginnenden türkischen Wahlkampf – einfach so weiterzumachen.
Zurück nochmal zum Prozess in Stuttgart …
… es geht deutlich aus der Antwort der Bundesregierung auf unsere Grünen-Anfrage hervor, dass sie sich vor allem hinter Ermittlungen der Darmstädter Staatsanwaltschaft versteckt. Ich bezweifele stark, ob die Antwort der Bundesregierung, sie habe keine Erkenntnisse „über eine unmittelbare Zusammenarbeit zwischen der Erdogan-Regierung und den Osmanen“, sich halten lässt. Das wird schon durch die Recherchen Ihrer Zeitung und des ZDF widerlegt.

„Mit allen Mitteln des Rechtsstaates zerschlagen“

Auch in Deutschland wird für die türkischen Präsidentschaftswahlen in diesem Juni um Stimmen gekämpft. Was erwarten Sie da?
Ich schließe nicht aus, das Erdogan selbst, in jedem Fall aber seine Gefolgsmänner in Deutschland um jede Stimme hier lebender Türkinnen und Türken buhlen. Ich erwarte, dass solche Veranstaltung wieder von den Osmanen Germania abgesichert werden. Auch deswegen muss dieser bewaffnete Arm Erdogans mit allen Mitteln des Rechtsstaates zerschlagen werden.
Das Bundesinnenministerium prüft, ob die Osmanen Germania verboten werden ...
… nachdem sie offenbar längst neue Strukturen im Verborgenen aufgebaut haben. Ich wundere mich über den Sanftmut, mit dem die Bundesregierung in dieser Angelegenheit handelt. Dass sie diesem Treiben zusieht, kann ich mir nur damit erklären, dass aus außenpolitischer Staatsraison Rücksicht auf Erdogan genommen wird. Zur Staatsraison unseres Landes gehört aber die liberale Demokratie, nicht das Schweigen zu Gewalt und Unterdrückung.