Nach dem Rausch ist vor der Krankheit: Cannabis-Konsum von Jugendlichen erhöht deutlich die Gefahr von psychischen Erkrankungen. Foto: Imago/Yay Images

Die Freigabe von Cannabis in Deutschland wird bejubelt, aber auch heftig kritisiert. Eine neue Studie bestätigt nun einen starken Zusammenhang zwischen dem  Cannabis-Konsum bei Jugendlichen und der Entwicklung von Psychosen: Ihr Risiko, eine psychotische Störung zu entwickeln, sei 11-mal höher.

Cannabis schadet den noch nicht ausgereiften Gehirnen Jugendlicher: Das haben Studien schon mehrfach gezeigt. Der Zusammenhang zwischen jugendlichem Cannabis-Konsum und psychotischen Störungen könnte sogar noch stärker sein als bisher angenommen, hat nun eine im Fachjournal „Psychological Medicine“ vorgestellte Analyse aus Kanada ergeben. Die meisten Jugendlichen, bei denen eine psychotische Störung diagnostiziert wird, haben demnach eine Vorgeschichte mit Cannabis-Konsum.

Schwerwiegende psychische Folgen von Cannabis-Konsum

In aller Regel sei bei einer psychotischen Störung die Wahrnehmung beeinträchtigt, erklärt Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Das eigene Körpererleben sei verändert, auch visuelle oder akustische Halluzinationen seien möglich. Konzentrations- und Lernfähigkeit seien eingeschränkt, das Empfindungsvermögen bei Freude oder Trauer abgestumpft. Hinzu komme oft das Gefühl, von Umgebungsreizen völlig überflutet zu werden.

Getrocknete Cannabis-Blüten Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Eine psychotische Störung könne bei Drogenabstinenz binnen weniger Wochen komplett ausheilen. Allerdings bestehe lebenslang ein höheres Risiko, bei erneutem Konsum wieder in eine solche zu rutschen. Generell länger und auch stärker seien die Auswirkungen bei Schizophrenie, einer speziellen Form der psychotischen Störung, erläutert Kinder- und Jugendpsychiater Thomasius. 

Höherer THC-Gehalt erhöht die Gefahren

Frühere Forschungsarbeiten stützten sich weitgehend auf ältere Daten, als Cannabis noch weniger stark war als heute, nehmen die kanadischen Forscher als Grund für eine mögliche bisherige Unterschätzung an.

Der durchschnittliche Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) bei illegalem Cannabis stieg in Kanada demnach von etwa einem Prozent im Jahr 1980 auf 20 Prozent im Jahr 2018. Thomasius: „Neue Arten von Cannabisprodukten sind ebenfalls beliebter geworden, darunter Cannabisextrakte, die einen THC-Gehalt von über 95 Prozent erreichen können.“

Derlei Produkte seien in Deutschland noch nicht erhältlich, ergänzt Thomasius. Der Gehalt hierzulande liege bei illegalem Cannabis bei etwa 15 Prozent. Mit den professionellen Gerätschaften der Anbauvereinigungen, die seit Anfang April legal Cannabis produzieren dürfen, seien sicher auch höhere Gehalte möglich.

Kontrollen sind kaum umzusetzen

Zwar soll der THC-Anteil nach dem Cannabis-Gesetz bei der Abgabe der Vereinigungen an 18- bis 21-Jährige zehn Prozent nicht übersteigen. Doch umfassende Kontrollen sind für Kommunen kaum umzusetzen. Gefordert seien sie laut Gesetzestext ohnehin nur „gelegentlich“, berichtet Thomasius.

Problematisch ist der gegenüber den Joints der 1968er-Jahre dramatisch angestiegene THC-Gehalt, weil Konsumenten häufig eine ähnliche Menge Cannabis wie zuvor rauchen, dabei aber weitaus mehr THC aufnehmen als ein Nutzer einst.

Die Hanfpflanze Cannabis sativa enthält insgesamt mehr als 60 Cannabinoide, von denen Tetrahydrocannabinol aber als stärkste psychoaktive Substanz eingestuft wird. Im ganzen Körper gibt es Rezeptoren, an denen körpereigene Cannabinoide, aber auch THC andocken.

Jugendliches Gehirn gerät leichter aus der Balance

Dass THC gerade das Gehirn Jugendlicher beeinflusst, ist Experten zufolge biologisch plausibel. In der Pubertät ist das Gehirn eine Art Großbaustelle und besonders leicht aus der Balance zu bringen. Angenommen wird dem Forschungsteam in Kanada zufolge, dass THC über das körpereigene Cannabinoid-System unter anderem Nervenfaser-Verknüpfungen und die Entwicklung der weißen Substanz im Gehirn beeinflusst.

Zu den Folgen regelmäßigen Cannabis-Konsums in der Pubertät gehöre neben dem höheren Risiko für Psychosen ein um bis zu etwa zehn Punkte sinkender IQ-Wert, erläutert Thomasius. „Wenn ein ohnehin nicht so hoher IQ von 90 auf 80 sinkt, dann bedeutet das eine Lernstörung.“ Auch Auffassungsgabe und Konzentrationsfähigkeiten litten.

Risikowahrnehmung für Gesundheitsschäden nimmt ab

Laut dem Mediziner können im Gehirn bei Cannabis-Konsum in der Pubertät bis zu gut ein Drittel der funktionsfähigen Verbände im Frontalhirn verlorengehen. Dieser Hirnbereich ist zuständig für Funktionen wie Denken, Vernunft und Emotionsregulation. Auch sei das Risiko für Angststörungen und Depressionen ist demnach höher.

Doch nicht genug damit, dass sich Konsumenten ihr eigenes Leben und das ihrer Familie vermiesen können. Auch andere Menschen sind betroffen, etwa durch die eingeschränkte Verkehrstüchtigkeit.

Legalisierung führt zu Verharmlosung und falschen Signalen

Jugendlichen seien solche Risiken nicht wirklich bewusst, meint der Mediziner. „Das wird bisher überhaupt nicht angemessen kommuniziert.“ Analysen zeigten, dass die Risikowahrnehmung für Gesundheitsschäden durch Cannabis-Konsum in den USA und Europa generell abnehme.

Bei Jugendlichen komme hinzu, dass sie allgemein nicht so viel Selbstfürsorge und ein geringeres Risikobewusstsein hätten. Und dass Erwachsene etwas nutzen dürfen, Jugendliche aber die Finger davon lassen, habe noch nie funktioniert.

Cannabispflanzen in ihrer Wachstumsphase stehen in einem Aufzuchtszelt unter künstlicher Beleuchtung in einem Privatraum in Hamburg. Foto: dpa/Christian Charisius

Die Cannabis-Legalisierung bedeute Verharmlosungseffekte und setze völlig falsche Signale, betont Thomasius daher. „Wir können jetzt schon voraussagen, dass die Psychose-Inzidenzen ansteigen werden.“ Und jeder solche Fall bedeute ein Wiederholungsrisiko, wenn nicht lebenslang auf alle psychoaktiven Substanzen verzichtet werde. „Wenn einmal eine Psychose aufgetreten ist, ist die Vulnerabilität bei Drogenkonsum erhöht.“

11-fach höheres Risiko für psychotische Störung

André McDonald und Susan Bondy von der Universität Toronto hatten für ihre Studie bevölkerungsbasierte Erhebungsdaten aus den Jahren 2009 bis 2012 mit Aufzeichnungen von Gesundheitsleistungen bis zum Jahr 2018 verknüpft. Die mehr als 11 000 einbezogenen Teilnehmer waren zu Studienbeginn zwischen 12 und 24 Jahre alt und hatten bis dahin keine psychotische Störung.

Der Auswertung zufolge berichteten fünf von sechs Jugendlichen (12 bis 19 Jahre), die im Studienverlauf wegen einer psychotischen Störung in ein Krankenhaus eingeliefert wurden oder eine Notaufnahme aufsuchten, über Cannabiskonsum. Bei jungen Erwachsenen (20 bis 33 Jahre) wurde kein deutlicher Zusammenhang gefunden.

Es gelte weiterhin, dass die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen, die Cannabis konsumieren, keine psychotische Störung entwickelt, erklärt McDonald. Jugendliche, die Cannabis konsumieren, hätten jedoch ein 11-fach höheres Risiko für eine psychotische Störung als Jugendliche, die keines nutzen.

Info: Was erlaubt ist und was nicht

Erlaubt
Cannabis ist in Deutschland seit 1. April 2024 für Erwachsene freigegeben. Ab dem 1. Juli darf die Droge laut Cannabis-Gesetz in speziellen Vereinen gemeinschaftlich angebaut und an Vereinsmitglieder abgegeben werden. Zu Hause dürfen drei Pflanzen angebaut werden. Experten gehen davon aus, dass Teenager nun deutlich leichter an Cannabis kommen als zuvor. Erlaubt sind Besitz und Anbau der Droge für Volljährige zum Eigenkonsum, aber nur in begrenzten Mengen und mit Tabuzonen fürs Kiffen etwa auf Spielplätzen, in Schulen, Kitas und in Sichtweite davon.

Ordnungswidrigkeit
Wer dagegen fahrlässig oder mit Vorsatz verstößt, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Und geahndet werden kann das laut Gesetz mit einer Geldbuße von bis zu 30 000 Euro. Das heißt aber nicht, dass es gleich so teuer wird. Als untere Grenze sieht das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten einen Mindestbetrag von fünf Euro vor, wie das Bundesjustizministerium erläutert.

Geldbuße
Der mögliche Höchstbetrag einer Geldbuße ergibt sich aus der im Cannabisgesetz vorgesehenen Obergrenze. Innerhalb dieses Rahmens bestimmt dann die zuständige Behörde die im Einzelfall angemessene Geldbuße, wie es weiter heißt. Und den Ländern stehe es auch frei, sich mit anderen interessierten Ländern zusammenzutun, um ein gemeinsames Vorgehen – etwa den Erlass eines Bußgeldkatalogs – zu erörtern. Basis für die konkrete Höhe einer Geldbuße ist ganz grundsätzlich die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit, um die es geht. Die Buße soll auch einen wirtschaftlichen Vorteil übersteigen, der möglicherweise aus einem Verstoß hervorgegangen ist.