In einer Stuttgarter Gemeinschaftspraxis wurde am Tresen zur Wahl der AfD aufgerufen. Kollegen eines Mediziners griffen nach einem Patientenprotest ein.
Stuttgart - Die Parteien und Kandidaten zur Bundestagswahl sind allerorten präsent, zumindest als Pappkameraden. Manchmal werden bei der Werbung Grenzen erreicht, wie zum Beispiel in einer großen Gemeinschaftspraxis in Stuttgart. Einem Patienten fiel dort am Tresen der Rezeption ein Din-A-4-Schild ins Auge. Unverhohlen wurde für die AfD geworben. Ob Merkel oder Schulz, die etablierten Parteien änderten nichts, wer etwas ändern wolle, solle sein Kreuz bei der Alternative machen, stand dort. Unterzeichnet war der Aufsteller von einem langjährig in der Praxis beschäftigten Arzt.
„Ich habe der Assistentin gesagt, dass das ja gar nicht geht, politische Werbung in der Praxis“, so der Patient. Die Frau bat, das Thema direkt mit dem Mediziner zu klären. Das tat der Patient. Sein Protest sei vom Mediziner mit den Worten „Sie dürfen gehen“ quittiert worden. Das tat er, was zur Folge hatte, dass er den wichtigen Behandlungstermin um Wochen verschieben musste. „Die Politik hatte in meinem Fall auch eine medizinische Implikation“, so der Betroffene. Er lobt die Gemeinschaftspraxis, dem für die AfD werbenden Arzt aber wirft er „menschliches Fehlverhalten“ vor. Von einem solchen Arzt wolle er sich nicht behandeln lassen, das habe er im direkten Gespräch klargemacht. Er wandte sich schriftlich an die Praxis und an die Landesärztekammer.
Post von der Ärztekammer
Der betroffene Mediziner wird von der Rechtsabteilung der Ärztekammer Post erhalten. Er werde zu dem Fall gehört werden, heißt es in der Standesvertretung. Ein solcher Vorgang sei in der selbst verfassten Berufsordnung der Kammer nicht geregelt, sagt Oliver Erens, der Sprecher der Landesärztekammer Baden-Württemberg. „Die Ordnung sagt nichts über die Politisierung des Wartezimmers, aber sie sagt, dass alles getan werden soll, um das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten zu fördern“, so der Sprecher. Das sei hier negativ beeinflusst worden. „Politische Diskussionen sollten aus der Praxis ferngehalten werden, das ist ein ungeschriebenes Gesetz“, so Erens. Da der Arzt den Patienten des Zimmers verwiesen habe („Sie dürfen gehen“), sei der Fall „nicht ganz ohne, denn es besteht eine Behandlungsverpflichtung“, so der Sprecher. Auf die Behandlung durch den betreffenden Mediziner legte der Patient allerdings keinen Wert mehr.
Die Praxisgemeinschaft hat dem Patienten inzwischen geschrieben. Weil man eine Praxisgemeinschaft habe, sei es „nur begrenzt möglich, hier Einfluss zu nehmen“. Man habe jedoch noch am selben Tag mit dem Kollegen Rücksprache gehalten und um die Entfernung des Schildes gebeten, „was auch geschehen ist“. Am Telefon wird ein Arzt aus der Praxis deutlicher: „Wir haben in keinster Weise Verständnis für den Kollegen“, heißt es. Und, dass dieser bald in Ruhestand gehen werde.
Bedienung mit Wahlwerbung
Auch in Gaststätten kann einem Wahlwerbung quasi über den Weg laufen. Im Grand Café Planie am Karlsplatz serviert das Personal in Shirts, auf denen ein Spruch den Kandidaten Stefan Kaufmann (CDU) empfiehlt. „Das tragen alle freiwillig, wir können ja niemanden zwingen“, sagt Café-Inhaber Remo Heine. Tatsächlich gibt es auch Bedienungen ohne das Werbeshirt – und welche, die gegenüber Gästen äußern, dass sie das Shirt tragen müssen, es aber nicht ihre Meinung repräsentiere. Er höre von Kunden positive Rückmeldungen, aber auch kritische Stimmen, so Heine.
„Normalerweise trägt man als Gastgeber seine politische Einstellung nicht nach außen“, sagt Daniel Ohl, Sprecher des Gastgewerbe-Verbands Dehoga im Land. Die Gäste hätten schließlich unterschiedliche politische Präferenzen, „und es ist diesen freigestellt, wie sie reagieren“. Der Arbeitgeber könne diese Werbung nicht anordnen.
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