Monika Marons neuer Roman führt in das Zentrum der ideologischen Kämpfe unserer Zeit. Er reizt zum Widerspruch - genau darin liegt seine Qualität.
Stuttgart - Die Schriftstellerin Monika Maron raucht wie ein Schlot und schreibt Leitartikel, die sich im Magnetfeld der öffentlichen Meinung in der letzten Zeit eindeutig nach einer bestimmten Seite auszurichten scheinen. Mit gendergerechter Sprache kann sie nichts anfangen, die Islamisierung der Gesellschaft hält sie für eine reale Gefahr. Man würde sich nicht wundern, sie als Rednerin bei einer jener „Querdenker“-Demonstrationen anzutreffen, die Mundschutz mit Maulkorb verwechseln. Und nun hat sie auch noch einen Roman veröffentlicht, der statt postheroischen Weicheiern wieder echte Helden fordert.
So könnte man als Inoffizieller Mitarbeiter der linksliberalen Konsensgemeinschaft einen Bericht über die 1941 in Berlin geborene und in der DDR aufgewachsene Autorin beginnen, um ihre Exkommunikation aus dem Kollektiv der moralischen Orthodoxie zu fordern. Man könnte mit geheuchelter oder echter Wehmut den Verlust einer hellsichtigen Gesellschaftsbeobachterin beklagen, die mit einem Roman wie „Flugasche“ einmal mutig den Grauschleier aus Zensur und Umweltvergiftung in den chemischen Hexenküchen der DDR durchdrungen und in „Animal triste“ der Liebe in Zeiten des abnehmenden Lichts ein bewegendes Denkmal gesetzt hat. Das Problem dabei ist nur, dass man damit bereits eine Rolle in dem Gedankenspiel übernommen hätte, das Monika Maron in dem neuen Roman entwirft – und zwar keine besonders heldenhafte.
Mutation der Männer
„Artur Lanz“ erzählt die Geschichte einer Autorin fortgeschrittenen Alters, die auf einen Mann aufmerksam wird, den sie für einen typischen Vertreter nicht nur seiner Generation, sondern unserer Zeit hält. Weil er so wenig seinem Namen entspricht, in dem die ritterlichen Ideale längst vergangener Tage widerklingen, König Artus’ und der Tafelrunde, behält sie ihn im Blick, in der Hoffnung, es würde daraus eine Geschichte werden. Artur Lanz ist ein durchschnittlicher, unheldischer Mann, der darunter leidet, den Erwartungen, die seine Mutter mit der Namengebung verbunden haben mag, nicht gerecht geworden zu sein. Einmal jedoch hat er sich etwas getraut und in einer entschlossenen Tat seinen Hund aus einer gefährlichen Situation gerettet. Diese Kühnheit gibt seinem Leben eine neue Richtung. Er trennt sich von seiner Frau, lässt sein mittelmäßiges Leben hinter sich, um zu neuen Abenteuern aufzubrechen.
Unterdessen diskutiert die Autorin, die man mit Monika Maron nicht verwechseln sollte, in verschiedenen Kreisen, was sie an dem Fall interessiert: „Warum Helden so in Verruf geraten und überhaupt nur noch als Helden, am besten Heldinnen des Alltags zu ehren seien, und ob mit den Helden auch die Sehnsucht nach ihnen verloren sei.“ Sie erhält darauf verschiedene Antworten, die fälligen, wie man sie in gebildeten Abendgesellschaften über das Postheroische austauscht, und solche, die ihre geistesverwandte Freundin nach einigen Drinks über die „Mutation der Männer“ vom Stapel lässt: Es seien die Frauen gewesen, die von den Männern verlangt hätten, mit ihnen zusammen Schwangerschaftsgymnastik zu treiben, am besten noch die Babys zu stillen, im Sitzen zu pinkeln. Und dergleichen Anfechtbarkeiten mehr.
So entwickelt sich das Geschehen auf drei verschiedenen Ebenen: der Abenteuerfahrt des kläglichen Ritters Artur Lanz, der Dynamik ihrer gesellschaftlichen Kommentierung und dem nebenherlaufenden unmerklichen Entstehen eines Romans. Schließlich kommt es zum entscheidenden Schlagabtausch nicht in einer hohlen Gasse, sondern in dem, was Monika Marons publizistische Mitstreiter wohl einen grünen Meinungskorridor nennen würden. Artur Lanz‘ bester Freund, ein streitbarer Eigenbrötler, prophezeit angesichts der von den Klimawissenschaftlern eingeforderten gesellschaftlichen Transformation die Heraufkunft eines „Grünen Reichs“. Und weil dies der Vizevorsitzende einer Partei, die im Roman nur die Rechte heißt, dankbar aufgreift, kommt es zum Skandal. In dem sich anschließenden diskursiven Scharmützel hätte der Titelheld endlich die Gelegenheit, sich einmal als solcher zu erweisen.
Diskursiver Fehdehandschuh
Es ist der zentrale Schauplatz, an dem die ideologischen Kämpfe unserer Tage ausgefochten werden. Was der aufsässige Freund der Klimawissenschaft vorhält, das Ganze sei ein kolossales Erziehungsprogramm, mit dem man eine durch Angst und Panik gefügige Menschenmasse in jede Richtung treiben könne, dürfte mit anderem Bezug so ähnlich auf den aktuellen Hygienedemonstrationen zu hören sein. Man muss keine der Ansichten teilen, mit denen die alte Schriftstellerin des Romans lustvoll wider den Stachel sämtlicher Gewiss- und Korrektheiten löckt. Nur zu gerne würde man sie fragen, wie das einer ostdeutschen Sozialisierung zugutegehaltene „feinere Gehör für falsche Töne und manipulative Propaganda“ mit den ostdeutschen Wahlerfolgen jener rechten Partei zusammengeht. Und doch ist hier einiges darüber zu erfahren, wie jedes selbstzufriedene Einssein mit noch so respektablen Überzeugungen in sich den Keim des Irrtums trägt.
Die Qualität von Monika Marons Roman, den es von dem zu unterscheiden gilt, dessen Entstehung man beiwohnt, liegt nicht in der Artikulation alternativer Wahrheiten oder in der Reproduktion populistischer Gemeinplätze. Er lebt davon, dass man sich an ihm reibt. Es bedarf heldenhafter Leser*innen – wo, wenn nicht hier, wäre diese Schreibweise einmal am Platz –, die den Widerspruch aushalten und den Fehdehandschuh, der ihnen vor die Füße geschleudert wird, ritterlich aufnehmen. Nur dann lässt sich verhindern, dass ihr Gegenüber nicht in die Arme derer getrieben wird, die am rechten Rand genau darauf warten.