Rundgang mit dem Deponiechef: Albrecht Tschackert schaut mit einer Mitarbeiterin nach dem rechten im Froschgraben. Foto: factum/Granville

Wohin mit den Überresten von Kernkraftwerken? Darüber wird in Schwieberdingen zurzeit besonders kontrovers diskutiert. Der Kreis bemüht sich spät um Transparenz. Doch besorgte Bürger betonen: ganz harmlos ist das Material nicht.

Schwieberdingen - Die heißen Eisen sind gar nicht mehr zu sehen. „Die sind 15 bis 20 Meter unter uns“, sagt Albrecht Tschackert, der Abteilungsleiter für Deponie- und Energietechnik bei der Abfallverwertungsgesellschaft des Landkreises Ludwigsburg (AVL). Er meint den Bauschutt aus der Wiederaufbereitungsanlage im Kreis Karlsruhe, von dem insgesamt 324 Tonnen in den Jahren 2007 bis 2015 in den Deponien Burghof in Vaihingen/Enz und Am Froschgraben in Schwieberdingen eingelagert wurden.

Als die Einlagerung im Sommer bekannt wurde, stand die AVL in Schwieberdingen am Pranger. Zweimal musste der Deponie-Chef Tschackert im Gemeinderat Abbitte leisten, beim zweiten Mal nahm er noch seinen Chef Utz Remlinger mit. Der gab zu, dass es kommunikationspolitisch ein Fehler war, den AVL-Aufsichtsrat und die Öffentlichkeit damals nicht umfassend zu informieren und gelobte Besserung.

Entsorgen heißt auch: Bürokratie bewältigen

Umso bemühter ist man bei der AVL jetzt, zu zeigen, dass auf der Deponie alles korrekt abläuft. Das fängt schon Monate vor der eigentlichen Anlieferung von Bauschutt, Erdaushub und weiterem Material an. „Was ein Abfallerzeuger leisten muss, ehe er hier liefern darf, hat den Charakter einer Steuererklärung“, sagt Tschackert. Er müsse den Schutt bei einem zertifizierten Probenunternehmen begutachten lassen und das Protokoll mit 29 verschiedenen chemischen Größen der AVL schicken. Liefern darf er erst, wenn die AVL entscheidet, dass der Müll in den Froschgraben darf.

Es gibt allerdings auch Stimmen, denen die Prüfbürokratie nicht weit genug geht – zumindest bezogen auf die Abfälle aus atomaren Anlagen. Bei der Frage, wie stark der Bauschutt aus dem Kreis Karlsruhe strahlentechnisch belastet ist, habe das Land nicht genau genug hingeschaut, findet eine Gruppe besorgter Bürger aus Schwieberdingen, die die Ablagerung von Bauschutt aus Atomanlagen nicht einfach hinnehmen will. „Es ist nur jeder zehnte Lastwagen durch die Kontrollen gefahren“, bemängelt Dierk Vogt. Eine Messquote der Strahlenbelastung von zehn Prozent sei ungeeignet, die Anwohner einer Deponie zu beruhigen, auf der das Material landen solle.

Lob für Landrat und Bürgermeister

Vogt ist einer von etwa 20 Schwieberdinger Bürgern, die sich Sorgen machen und die, seit die Angelegenheit bekannt wurde, für Transparenz und Mitsprache kämpfen. Seit dem Aufschrei im Sommer sei viel passiert, vor allem der Landrat Rainer Haas und der Schwieberdinger Bürgermeister Nico Lauxmann „sind wirklich bemüht um Transparenz“, lobt Vogt, „wir sind froh, dass jetzt etwas passiert“.

Das „Etwas“, von dem er spricht, ist ein Paket aus Vorsichts- und Prüfmaßnahmen. Die AVL und die Gemeinde wollen jeweils einen eigenen Gutachter mit dem Thema betrauen, zudem hat der Landrat Haas – unabhängig von der Debatte in Schwieberdingen – mit durchgesetzt, dass künftig das Material aus atomaren Anlagen zu 100 Prozent auf Strahlung gemessen wird. Die Zehn-Prozent-Regelung sei „bundesweiter Standard“, betont Albrecht Tschackert.

Woher stammt der Bauschutt?

In einem ganz wesentlichen Punkt fühlt sich Tschackert derweil missverstanden. Er habe bei der Frage im Schwieberdinger Gemeinderat, wo „dieser ganze Schutt herkommt“, erläutert, dass das Gros der riesigen Menge aus nicht vorbelasteten Gebäuden, etwa Verwaltungsgebäuden, stamme. Laut Dierk Vogt sei das bei vielen so angekommen, als sei der Bauschutt schon immer völlig harmlos gewesen. „Das Bild von der Sekretärin, die in dem Gebäude früher ohne Schutzvorkehrung gearbeitet hat, akzeptieren wir nicht“, sagt Vogt.

Fakt ist: die Reststoffe von atomaren Anlagen lassen sich in drei Gruppen unterteilen. Erstens: besagte Verwaltungsgebäude mit schwacher Vorbelastung; sie machen etwa 96 Prozent der Menge aus und landen ohne weitere Prüfung auf Deponien. Zweitens: der atomare Kern und die Brennstäbe; sie machen etwa zwei Prozent aus und sind für Endlager bestimmt, die es aber bislang nicht gibt. Und drittens: das Material aus der baulichen Hülle von Reaktoren; sie machen rund zwei bis drei Prozent der Menge aus und sind zunächst zu stark von Radioaktivität belastet, um sie auf Deponien zu lagern.

Kritik an Praxis des „Freimessens“

Hier beginnt der Kern des Streits in Schwieberdingen. Diese dritte Gruppe wird von den Anlagenbetreibern „frei gemessen“. Das bedeutet: sie werden zunächst sandgestrahlt oder abgefräst, bis deren strahlenbelastete Hülle entfernt ist und Material übrig bleibt, das weniger als zehn Mikrosievert Strahlenbelastung für den menschlichen Körper aufweist. Rund 3350 Tonnen rollten im Zuge des Abbaus des Atomkraftwerks Neckarwestheim auf den Landkreis Ludwigsburg und dessen beide Deponien zu. Die natürliche Strahlendosis liege bei 2000 Mikrosievert, betont die AVL. Doch es gibt Fachleute, die künstlich erzeugte Radioaktivität für wesentlich gefährlicher halten als natürliche.

Spannend sei die Frage, was das für die Schwieberdinger Deponie bedeute, sagt Dierk Vogt. Noch nie seien frei gemessene Abfälle auf einer Deponie gelandet, für die es eine Nachnutzung, etwa als Park oder Spielplatz, geben solle. „Da müssen die Auswirkungen völlig neu berechnet werden.“ Die Ankündigung der AVL, die Strahlung auf der Deponie messen zu lassen, halte er „für sehr mutig“. Auch die Tatsache, dass die Lieferlisten publik gemacht werden sollen, sei „ein ganz toller Zug“.

Misstrauen als Quelle der Sorgen

Generell nährt sich die Sorge seiner Gruppierung aus einer weit älteren Quelle: dem Misstrauen, das aufgekommen sei, als vor Jahren bekannt wurde, dass am Froschgraben Asbestplatten aus Italien abgelagert werden. Etwa 15 000 Tonnen im Jahr kommen hier an, folienverschweißt und gestapelt auf Paletten. Später wird Schlamm darüber geschüttet, der dann aushärtet. „So entsteht weder Deponiegas noch belastetes Sickerwasser“, sagt Tschackert, für den der Asbest ein heiklerer Abfall als der freigemessene Bauschutt ist. Jener könne wirklich gefährlich sein, wenn er nicht ordentlich behandelt wird.

Asbest und Schutt aus atomaren Anlagen sind die umstrittensten Stoffe in den AVL-Deponien – aber die Mengen sind geradezu verschwindend gering. Bis zu 550 000 Tonnen im Jahr werden im Froschgraben abgelagert, im Schnitt hundert Fahrzeuge am Tag mit einer Last von je 20 Tonnen. Dass häufig auch Fahrzeuge mit regionsfremdem Kennzeichen hier lieferten, habe übrigens nichts damit zu tun, dass man in Schwieberdingen Schutt aus ganz Deutschland einlagere, sondern mit dem Engpass an Lastwagen, bedingt durch den Boom in der Baubranche, sagt Albrecht Tschackert. „Wenn der weiter anhält, bekommen wir die Deponie sogar noch vor 2023 voll.“ Solange soll die 41 Hektar große Deponie noch betrieben werden, ehe das maximale Auffüllvolumen von 5,16 Millionen Kubikmetern erreicht sein wird.

Schutt wird per GPS aufgespürt

Zum Vergleich: die Cheops-Pyramide hat ein Volumen von 2,6 Millionen Kubikmeter. „15 Meter dürfen wir noch draufpacken“, sagt Tschackert. Dann sei Schluss. Der benachbarte Hohenasperg wäre dann nur noch drei Meter höher – wobei das nicht der Grund für den Stopp sei, sagt Al-brecht Tschackert. Die Sickerwasserleitungen unter der Deponie würden nicht mehr Druck aushalten.

Dass Tschackert heute überhaupt noch sagen kann, wo der freigemessene Bauschutt aus Karlsruhe genau vergraben ist, liegt daran, dass die AVL ihre Einlagerungen per GPS erfasst. „Da sind wir der einzige Deponiebetreiber in Baden-Württemberg“, sagt Tschackert.

„Das Land kann uns zur Ablagerung zwingen“

Er sei kein Experte für Strahlenschutz und wisse von der Kontroverse in der Wissenschaft. Für ihn als Entsorger bleibe unterm Strich eine gesetzliche Verpflichtung. „Wenn wir uns weigern, kann das Land uns anweisen, den Schutt abzulagern.“ Er betont jedoch, dass die AVL sich weigere, problematische Reststoffe, wie etwa Glasfasermatten, aus Neckarwestheim anzunehmen. „Dafür ist das Land selbst zuständig“, sagt Tschackert.

Am Beispiel der Asbestplatten erläutert der Deponiechef, wie sorgfältig die AVL bei der Ablagerung vorgehe. Den Asbestplatten gegenüber strecken sich mehrere Erdhaufen gen Himmel, alle fein säuberlich mit einem Schild vom Anlieferungstag versehen. Hier nimmt die AVL selbst noch mal Proben, weil sie prüfen möchte, ob die zulässigen Grenzwerte für Kohlenstoff nicht doch überschritten werden. Falls es stimmt, muss der Dreck doch in den Burghof nach Vaihingen-Horrheim – der hat eine höhere Deponieklasse.