Die EU-Einigung auf eine Asylreform ist heftig umstritten. Für die einen ist es ein Meilenstein, die anderen sehen das Asylrecht zu Grabe getragen.
Der empörte Protest aus Ungarn kommt postwendend. „Wir werden niemanden gegen unseren Willen einreisen lassen“, polterte Außenminister Peter Szijjarto am Mittwoch. „Niemand aus Brüssel oder sonst woher kann uns sagen, wen wir reinlassen und wir weigern uns aufs Schärfste, dafür bestraft zu werden.“
Grund für diese Wutrede in Budapest war die Einigung der EU auf eine umfassende Reform der Gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik (Geas). Mit dem Kompromiss sollen die Lehren aus den Jahren 2015 und 2016 gezogen werden, als allein nach Deutschland mehr als eine Million Menschen kamen. Konkret heißt das, dass im Kern das Asylrecht deutliche verschärft wird, gleichzeitig sollen sogenannte „Frontstaaten“ wie Italien und Griechenland entlastet werden. Die Asylagentur der Europäischen Union rechnet in diesem Jahr mit mehr als einer Million Anträgen.
Die Solidarität der Länder ist gefordert
Im Zentrum des Kompromisses stehe die Solidarität zwischen den EU-Mitgliedsländern, hieß es am Mittwoch bei der Präsentation des Kompromisses immer wieder. Doch die Definition von Solidarität unterscheidet sich von Regierung zu Regierung sehr stark, was auch die wütende Reaktion des ungarischen Außenministers erklärt. Denn zwar bleibt es im Prinzip bei der Regelung, dass das Land der ersten Einreise für einen Asylantrag zuständig ist. Künftig greift aber ein verpflichtender Solidaritätsmechanismus zur Umverteilung von Migranten aus besonders belasteten Ankunftsländern wie Italien, Griechenland oder Malta – und exakt an diesem Punkt findet die Solidarität Ungarns ein Ende. Denn nicht aufnahmewillige Staaten können sich davon mit 20 000 Euro pro Migrant freikaufen.
Die Regierung in Budapest sieht das allerdings als „Bestrafung“, die sie nach den Worten von Peter Szijjarto offensichtlich nicht akzeptieren will. Diese Position ist nicht neu; Ungarn war bereits im Juni von den EU-Staaten überstimmt worden, als es darum ging, dass sich der Rat auf eine gemeinsame Position einigt. Das bedeutet allerdings auch, dass der nächste Streit in Sachen Migration bereits programmiert ist.
Keine perfekt Lösung im Asylstreit
Roberta Metsola, die Präsidentin des Europaparlaments, versuchte am Mittwoch noch die Wogen zu glätten. „Das ist keine perfekte Lösung und wird auch nicht die Lösung für alle komplizierten Fragen bieten“, sagte die Politikerin. „Aber es ist besser als alles, war wir bisher auf dem Tisch liegen hatten.“ Ähnlich argumentierte auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). „Jede Einigung in Brüssel ist auch immer ein Kompromiss“, sagte sie und betonte, dass in den Verhandlungen der letzten Monate wesentliche Verbesserungen erreicht werden konnten.
Das war auch eine Botschaft an das eigene politische Lager. Denn die Grünen-Spitze war wegen ihrer Zustimmung zu dem europäischen Asylpakt massiver Kritik der Basis ausgesetzt. Sie hoffte auf Nachbesserungen durch das Europaparlament, das sich aber in zentralen Punkten nicht gegen die Mitgliedsländer durchsetzen konnte. Baerbocks Parteikollege, der Europaabgeordnete Erik Marquardt, sprach deshalb von einer „verpassten Chance“, die Asylpolitik auf das richtige Gleis zu setzen. „Stattdessen sollen bürokratische Verfahren und harte Asylrechtsverschärfungen Menschen jetzt von der Flucht nach Europa abschrecken.“ Noch deutlicher wird Cornelia Ernst, die asyl- und migrationspolitische Sprecherin der Linken im Europaparlament. Das individuelle Recht auf Asyl sei nun zu Grabe getragen worden. Die Einigung sei ein „Kniefall vor den Rechtspopulisten in der EU“.
Deutschland scheitert an anderen Ländern
In Deutschland besonders umstritten waren die einheitlichen Grenzverfahren an den Außengrenzen. Geplant ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Bis zur Entscheidung über den Asylantrag sollen die Menschen unter haftähnlichen Bedingungen in Auffanglagern untergebracht werden können. Asylanträge sollen künftig schneller bearbeitet werden. Deutschland scheiterte mit seiner Forderung, Familien mit Kindern aus humanitären Gründen davon auszunehmen.
Zudem sollen ankommende Menschen mit Fingerabdrücken und Fotos registriert werden, um zu überprüfen, ob sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sind. Abgelehnte Asylbewerber sollen künftig leichter in sichere Drittstaaten abgeschoben werden. Kritiker befürchten, dass auf diesem Weg das Recht auf Asyl und auch die Menschenrechte in Europa ausgehöhlt werden.
Eine Reform mit Blick auf die Europawahl
Parlamentspräsidentin Roberta Metsola räumte ein, dass „diese beispiellose Reform“ auch mit Blick auf die anstehenden Europawahlen im Juni kommenden Jahres zustande gekommen sei. Dort befürchten die Parteien der Mitte einen Rechtsruck – auch weil sich die EU über viele Jahre nicht auf eine Regelung der Migration einigen konnte. Nun betonte Metsola ausdrücklich: „Wir haben gezeigt, dass Europa auch liefern kann bei Fragen, die für alle Bürger wichtig sind.“ Die Einigung muss noch vom Plenum des Europaparlaments und den EU-Staaten bestätigt werden. Das ist normalerweise eine Formalität.