Warnt vor Klagen gegen Windkraftanlagen: Nabu-Chef Baumann. Foto: Leif Piechowski

Wo stören Windräder die Vogelwelt? Das hätte Grün-Rot schon längst erforschen müssen, anstatt über den Naturschutz zu klagen, meint der Landeschef des Nabu, Andre Baumann.

Stuttgart - Wo stören Windräder die Vogelwelt? Das hätte Grün-Rot schon längst erforschen müssen, anstatt über den Naturschutz zu klagen, meint der Landeschef des Nabu, Andre Baumann.

Herr Baumann, Ministerpräsident Kretschmann hat kürzlich die lange Genehmigungsdauer für Windkraftanlagen beklagt und den Naturschutz als Schuldigen ausgemacht. Blockieren Sie den Fortschritt?
Ganz im Gegenteil: Wir möchten einen möglichst schnellen und deutlichen Ausbau der Windkraft, weil sie die naturverträglichste Form der erneuerbaren Energien ist. Aber man kann nicht die Windkraft gegen das Naturschutzrecht durchsetzen. Außerdem fehlen uns noch wichtige Daten über den Vogelzug oder das Vorkommen von Fledermäusen. Wir fangen da quasi bei null an. Deshalb geht der Ausbau leider nicht so schnell, wie wir uns das alle wünschen.

Überziehen Sie da nicht? Kretschmann hat jüngst gespottet, die Wirkungen der Schattenschläge des Windrads auf die Auerhühner seien noch nicht wirklich erforscht. Muss man die tatsächlich erforschen?
Ja, das muss man. Die Auerhühner sind streng geschützt. Der günstige Erhaltungszustand müsse hergestellt werden, heißt es in der EU-Vorschrift. Dieser Zustand ist in Baden-Württemberg aber keineswegs günstig. Das ist eine hohe rechtliche Hürde und eine Pflichtaufgabe für das Land. Deshalb spiele ich den Ball zurück: Grün-Rot ist seit zwei Jahren an der Regierung, doch die Untersuchung zur Wirkung von Windrädern auf Auerhühner hat noch nicht einmal begonnen. Das Thema ist seit zwei Jahren bekannt, aber es ist noch nichts passiert. Wir können doch nichts dafür, dass die Untersuchungen noch nicht vorliegen. Dabei war allen klar, dass wir wissen müssen, wie die Schäden in der Natur vermieden, vermindert oder ausgeglichen werden können. Bislang betreiben wir Naturschutz im Blindflug.

Welche Infos brauchen Sie?
Wir wissen zum Beispiel nicht, wie Vogelschwärme nachts ziehen. Das ist aber relevant, denn viele Vögel ziehen nicht tagsüber. Das muss man mit Radarmessungen erkunden. Dazu müssen aber das Naturschutzministerium und das Umweltministerium in die Gänge kommen.

Der Ministerpräsident bezweifelt, dass tausend neue Windräder im Land einen Einfluss auf die Artenvielfalt haben.
Wenn die Windräder alle am richtigen Ort stehen, kann man auch 5000 von ihnen aufstellen oder 10 000. Wenn aber die 1000 Anlagen, die Herr Kretschmann bauen möchte, an den falschen Standorten stehen, können diese einen negativen Einfluss auf bestimmte Vogel- oder Fledermausarten haben.

Sind Sie enttäuscht von Herrn Kretschmann, der ja bisher als eine Art Apostel der Naturschützer gegolten hat.
Ich bin überrascht, dass er jetzt mit der Faust auf den Tisch haut und den Naturschutz als Schuldigen ausmacht. Wir stehen hinter der Energiewende und dem Ausbau der Windkraft. Aber er muss fachgerecht und auch rechtssicher erfolgen. Es ist niemandem gedient, wenn man die Verfahren schnell durchdrückt und so Windkraftgegnern Munition für Klageverfahren liefert. So leid es mir tut: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit.

Im Zweifel für den Natur- und gegen den Klimaschutz. Würden Sie das unterschreiben?
Nein. Wir lassen den Klimaschutz nicht gegen den Naturschutz ausspielen oder umgekehrt. Für uns gilt: sowohl als auch. Wir werden die Akzeptanz für die Windkraft auch nur dann erhalten können, wenn der Naturschutz berücksichtigt wird. Wir setzen uns dafür ein, dass der Naturschutz nicht missbraucht wird, um die Windkraft zu verhindern. Aber was gesetzlich vorgegeben ist, muss umgesetzt werden.

Wo stehen Sie im Konflikt zwischen Windkraftausbau und den Vorgaben in Landschaftsschutzgebieten?
Wir sehen Landschaftsschutzgebiete nicht als Tabuflächen an. Es ist zwar gut und richtig, dass es dort Baubeschränkungen gibt, und Windräder sind ein Eingriff in das Landschaftsbild. Aber aus unserer Sicht sollte das durchaus möglich sein. Doch auch dafür braucht es Genehmigungen. Der Flaschenhals sind die Mitarbeiter in den Naturschutzbehörden.

Gibt es dort zu wenige Beamte?
Die sind oft mit anderen Dingen beschäftigt. Zum Beispiel mit Ausnahmegenehmigungen für Griechische Landschildkröten. Für jedes dieser Tiere, das in Baden-Württemberg geboren, gekauft oder getauscht wird, muss eine Genehmigung erteilt werden. Das sind jedes Jahr 6000 Genehmigungen. Wir erwarten, dass das Land auch für Windkraftanlagen die entsprechenden Ressourcen bereitstellt. Außerdem muss es eine Naturschutzwende in den Landesministerien und in der Forstwirtschaft geben, damit es der Natur eben nichts ausmacht, wenn mal ein Rotmilan zu Schaden kommt. Hier muss Grün-Rot liefern. Nur mit der Faust auf den Tisch zu schlagen reicht nicht.