Wäre seine Tochter umgezogen, hätte sie weitere Strecken gehabt – aber mehr Geld auf das Konto bekommen, wundert sich Wulf Hanke aus Winnenden. Foto: dpa/Marijan Murat

Anfangs ging es Wulf Hanke um Gerechtigkeit, als er wegen Fahrtkosten für seine Tochter vor Gericht zog. Doch was er dann in einem Beschluss des Landessozialgerichts Erfurt las, gehört für ihn erst recht angeprangert.

Eines vorweg: Die Sache liegt inzwischen bei Deutschlands höchster Gerichtsbarkeit, dem Bundesverfassungsgericht Karlsruhe. Vor 2025 rechnet Wulf Hanke nicht mit einer Entscheidung, sagt er. Er erwartet sie trotzdem mit Spannung, denn das Gericht muss dann einen eigenen Beschluss in die Abwägung mit einbeziehen: Das unter Experten als wegweisend geltende Urteil von April 2021 zu einem ehrgeizigeren Klimaschutz in Deutschland.

 

Wulf Hanke wohnt in Winnenden und arbeitet bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Vermutlich hat er auch deshalb nicht davor zurückgeschreckt, den Rechtsweg zu gehen. Acht Jahre ist das her, das Verfahren beschäftigte zwischenzeitlich verschiedene Instanzen. Als alles losging, war seine Tochter gerade volljährig geworden und hatte eine Ausbildung zur Pferdewirtin in Thüringen begonnen. Zwischenzeitlich hat sie ein paar Jahre in dem Beruf gearbeitet, studiert gerade soziale Arbeit und will die ganze Angelegenheit eigentlich zu den Akten legen. Aber der Vater kann nicht lockerlassen. „Wenn sich immer jeder wegduckt, dann ändert sich nie was“, sagt er.

Fahrtkosten zur Berufsschule großteils nicht anerkannt

Weil das Azubi-Gehalt der Tochter vor acht Jahren überschaubar war, hatten die Hankes Berufsausbildungsbeihilfe beantragt. Die Tochter wohnte zwölf Auto-Kilometer von der Ausbildungsstätte entfernt, wo sie dreiviertel der Zeit verbrachte. Zur Berufsschule seien es 60 Kilometer gewesen, dort war sie etwa eine Woche im Monat.

Das Problem: Die Fahrtkosten zur Berufsschule seien größtenteils nicht anerkannt worden, auf dem Konto war das ein Minus von 100 Euro im Monat. „Für Fahrten zur Berufsschule im Blockunterricht wird nicht der tatsächliche Bedarf berücksichtigt, sondern nur der Bedarf, der für Fahrten zur Ausbildungsstelle entsteht“, sagt Wulf Hanke. „Wer also am Ausbildungsort wohnt und hier keine Fahrtkosten hat, bekommt auch für Fahrten zur Berufsschule keine Unterstützung.“

120 Kilometer Fahrtweg hätte die Tochter am Tag gehabt

Die Regelung kann der Mann aus Winnenden nicht nachvollziehen. Zumal seine Tochter von Kollegen erzählt hatte, denen es ähnlich ging. „Es war für mich zunächst eine Gerechtigkeitsfrage“, sagt er, der seine Tochter in den ersten Instanzen selbst vertreten hat. Seit April 2022 geht es ihm zusätzlich ums Klima.

Das Sozialgericht Altenburg habe seiner Tochter empfohlen, „dass sie durch einen Umzug vom Ausbildungsort an den Ort der Berufsschule und die damit verbundene Vervielfachung der täglichen Fahrstrecken nicht nur eine kostendeckende Fahrtkostenberücksichtigung bekommen hätte, sondern auch Ersatz für Fahrten erhalten hätte, die überhaupt nicht angefallen sind“. Sprich: „Es gibt mehr Geld, wenn man sinnlos durchs Land fährt.“ Seine Tochter hätte drei Wochen im Monat täglich 120 Kilometer fahren müssen, sie hätte vor dem Morgengrauen aufstehen müssen, unter dem Strich viel Zeit verplempert, Abgase ausgestoßen – aber mehr Geld auf dem Konto.

Der Vater aus Winnenden staunte nicht schlecht

Das Landessozialgericht in Erfurt ist im Mai 2023 nicht auf das Klimaschutz-Argument von Wulf Hanke eingestiegen. „Soweit die Klägerin mit ihrem Vorbringen auf Unsinnigkeit der Regelung, Unwirtschaftlichkeit oder eine erhöhte CO2-Belastung als Folge hinweist, handelt es sich ohnehin um Ausführungen, die für die Auslegung der Regelung ohne Bedeutung sind“, heißt es in der Abschrift des Beschlusses des Landessozialgerichts. Und weiter: „Ein Gericht hat nicht die Aufgabe, gesetzliche Regelungen auf entsprechende Auswirkungen zu untersuchen.“

Da staunte Wulf Hanke nicht schlecht. „Dass das Bundesverfassungsgericht aus Artikel 20a Grundgesetz eine Verpflichtung für alle staatlichen Stellen ableitet, zur Senkung des CO2-Ausstoßes beizutragen, wird mit diesem Satz einfach so zur Seite gewischt“, sagt er und bezieht sich auf den Klimabeschluss von 2021.

Der Vater aus Winnenden hat Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Der finanzielle Anreiz für einen höheren CO2-Ausstoß und dass ein Gericht sogar darauf hinweise, „das ist derartig abwegig“, sagt Wulf Hanke, das kann doch nicht sein“. Er ist gespannt auf die Entscheidung in Karlsruhe.