Sami A. wurde vom Flughafen Düsseldorf aus in sein Heimatland Tunesien abgeschoben. Foto: dpa

Der offensichtlich rechtswidrige abgeschobene Sami A. soll Leibwächter Osama bin Laden gewesen sein. Doch endgültige Beweise für eine Tätigkeit für den getöteten Al-Kaida-Chef fehlen.

Stuttgart - Von der Kanzlerin über ihren Innenminister bis zu manchen Medien wissen es alle ganz genau: Sami A., tunesischer Hassprediger mit Bochumer Wohnsitz, war Osama bin Ladens Leibwächter. Eine steile Karriere für einen Mann, dem gerade einmal das Grundwissen über Waffen und militärische Vorgehensweisen vermittelt worden ist, wie aus Ermittlungsakten hervorgeht, die unserer Zeitung vorliegen.

Nach denen studierte der Tunesier Sami A. seit 1997 in Krefeld – erst Textiltechnik, ab 1998 Informatik. Ein Jahr später reiste er im Dezember nachweisbar nach Afghanistan. Zu einer Zeit, als er nach unbewiesenen Informationen von US-Geheimdiensten Kontakte zu hochrangigen Mitgliedern der Terrororganisation Al-Kaida gehabt haben soll. Diese sollen dafür gesorgt haben, dass A. in einem ihrer Gästehäuser untergebracht wurde. Ab Ende Januar 2000 hielt sich Sami A. nachweisbar im Ausbildungslager Al-Farouq in der Nähe des Flughafens von Kandahar auf, das auch unter dem Namen Jihad wel Al-Farouq bekannt wurde. In diesem Camp sind nach US-Erkenntnissen vier der 19 Attentäter ausgebildet worden, die an den Anschlägen in den USA am 11. September 2001 beteiligt waren.

Sami A. war im Ausbildungslager Al-Farouq

Auch über die in diesem Camp vermittelten Kenntnisse wissen amerikanische Ermittler durch die Befragungen zahlreicher Absolventen im US-Gefangenenlager Guantánamo, aber auch durch rechtskräftige Gerichtsurteile gegen Islamisten in den USA bestens Bescheid: So wurden die Rekruten über Wochen körperlich gedrillt, an Gewehren, Pistolen, Panzerfäusten ausgebildet. Sie lernten zu schießen, Karten zu lesen und grundlegende militärische Taktiken wie das Vorgehen in einer aus acht bis zehn Mann bestehenden Gruppe. Zudem lernten sie, wie Sprengsätze gebaut und Handgranaten geworfen werden.

Im Juni 2000 – auch das ist belegt – kehrte A. wieder nach Deutschland zurück. Auch deshalb, weil es damals kein Strafgesetz gab, das den Aufenthalt in einem terroristischen Ausbildungslager im Ausland verbot. Plausibel ist es nicht, dass Sami A. in dieser kurzen Zeit zu einem Leibwächter des Chefs von Al-Kaida aufgestiegen sein könnte. Das wäre in etwa damit vergleichbar, als würde ein in der Bundeswehr durch die Grundausbildung gescheuchter Rekrut die Bundeskanzlerin schützen. Das sagen sich offenbar auch mit dem Fall Sami A. befasste Ermittler in Nordrhein-Westfalen: „Nach unserer Kenntnis handelt es sich bei der ‚Leibwächter bin Ladens‘-Geschichte nur um Gerüchte aus der islamistischen Szene“, sagt ein Staatsschützer.

Ein anderer ergänzt: „So etwas wird in der Szene teilweise von den Beteiligten selbst verbreitet, um das eigene Image aufzupolieren. Einen konkreten Beweis dafür, dass Sami A. bin Laden beschützt hat, den haben wir nicht.“ Genau das steht auch in mehreren Vermerken, die sich in den Akten zu Sami A. befinden.

Nach bisherigen Erkenntnissen war Sami A. nicht Leibwächter bin Ladens

Erstaunlich ist, dass es Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) besser wissen wollen. Die Regierungschefin wusste in ihrer Regierungserklärung am 28. Juni, dass sie sich nicht „mit dem Zustand, dass sich Leibwächter von bin Laden über Jahre hier in Deutschland aufhalten“, abfinden wolle. Den Beweis für ihre Behauptung blieb sie – wie nahezu alle, die in diesen Tagen vom „Leibwächter Osama bin Ladens“ sprechen – schuldig.

Keine Frage: Sami A. ist kein Chorknabe oder gar ein Unschuldsengel. Er hat als Hassprediger Abu al-Mujtaba seinen Anteil daran, dass sich junge Menschen radikalisiert haben und teilweise in den Irak und nach Syrien zogen. Nur ein Leibwächter bin Ladens war er nach jetzigen Erkenntnissen nicht – allenfalls ein mutmaßlicher.