Mehr als 5000 neue Wohnungen braucht es pro Jahr in Stuttgart. Die Zahl stammt vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Das Ziel des OB liegt jedoch lediglich bei 1800 Einheiten.
Stuttgart - Die Personen, die am Mittwoch mit einer gemeinsamen Stimme gesprochen haben, tun dies sonst fast nie. Denn Mieterverein und Haus und Grund sind eigentlich natürliche Gegner. Dass sich beide nun zusammengetan haben, soll ein Zeichen ans Stuttgarter Rathaus und speziell an Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) sein.
Gemeinsam haben sie eine Studie vorgestellt, die den tatsächlichen Bedarf an neuen Wohnungen für die Stadt ermitteln soll. Das Ergebnis: Anstatt der vom OB als Ziel ausgegebenen 1800 neuen Einheiten pro Jahr kommt das Institut der deutschen Wirtschaft aus Köln (IW) auf einen Bedarf von mehr als 5000 neuen Wohnungen pro Jahr in Stuttgart. Die Vertreter von Mietern und Eigentümern fordern nun ein grundlegendes Umsteuern in der Wohnungspolitik.
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Wohnungsmangel scheint in Stuttgart besonders dramatisch zu sein
Fast alle Großstädte in Deutschland haben einen angespannten Wohnungsmarkt – das bedeutet, die Nachfrage ist groß, das verfügbare Angebot hingegen klein. „Doch in keiner anderen Stadt ist die Differenz derart auffällig wie in Stuttgart.“ Zu diesem Fazit kommt Michael Voigtländer, der Leiter des Bereichs Finanz- und Immobilienmärkte beim Kölner Institut. Konkret spricht Voigtländer von einem Bedarf von jährlich 5167 neuen Wohnungen. Und auch in den umliegenden Landreisen werde jeweils zu wenig gebaut, fügt der Experte an. „Der größte Mangel besteht bei Zwei- und Dreizimmerwohnungen“, sagt Voigtländer. Große und teure Wohnungen gebe es zwar auch zu wenige, diese würden von der Bauwirtschaft aber noch am ehesten angeboten.
Als Grund für den hohen Bedarf an Wohnraum nennt der Fachmann die „starke Zuwanderung nach Stuttgart“ und meint damit in erster Linie den Zuzug von Arbeitskräften für die heimische Wirtschaft. Im Bundesvergleich fällt Stuttgart nach Aussage des Experten besonders negativ auf. In allen anderen deutschen Großstädten lasse ein Anstieg der Baugenehmigungen erwarten, dass sich die Lage in absehbarer Zeit zumindest leicht verbessern könnte, berichtet Voigtländer. Doch auch hier sei in Stuttgart kein Anstieg zu verzeichnen. „Das Grundproblem ist: Es wird zu wenig Bauland ausgewiesen“, erklärt der Experte.
Werde nicht rasch gegengesteuert und in der Stadt mehr gebaut, sei mehr Verkehr zu befürchten. „Die Menschen werden gezwungen zu pendeln“, so Voigtländer. Zudem gerate die soziale Struktur der Stadt aus dem Gleichgewicht, wenn sich nur noch Besserverdiener das Wohnen in Stuttgart leisten könnten. Schon heute sei es so, dass die Mittelschicht bei der Suche nach Wohnraum in der Stadt Probleme habe.
Scharfe Kritik am Stuttgarter Rathaus
Klaus Lang, der Vorsitzende des Haus- und Grundbesitzervereins, erklärt: „Eigentlich wäre eine solche Bedarfsanalyse Aufgabe der Stadt.“ Dem OB und dem Gemeinderat müsse endlich klar werden, dass das politische Ziel von 1800 neuen Wohnungen bei Weitem nicht ausreiche, so Lang weiter. Und: „Den Verzicht auf neue Baugebiete und damit den reinen Vorrang der Innenentwicklung wird man nicht aufrecht erhalten können.“ Der Chef des Mietervereins Rolf Gaßmann fordert: „Der Gemeinderat muss die eigene Wohnbaupolitik gründlich überdenken.“ Weiter sagt der Vereinschef: „Andere Städte wie etwa Hamburg haben sich zum Wachstum der Stadt bekannt. Nur Stuttgart will offenbar einen Deckel über den Kessel stülpen, sodass niemand mehr hinzukommen kann.“ Nach eigener Aussage hoffen die beiden Vereine, mit ihrer gemeinsamen Aktion einen Aufschrei auszulösen.
Das Kölner Institut steht mit seiner Erkenntnis, dass in Stuttgart deutlich mehr gebaut werden sollte, im Übrigen nicht allein da. Die Ziele des OB Fritz Kuhn wurden in der Vergangenheit von zahlreichen Experten als zu niedrig kritisiert. Das Pestel-Institut aus Hannover etwa hatte sogar von einem Bedarf von bis zu bis zu 8000 neuen Wohneinheiten pro Jahr für Stuttgart gesprochen, der städtische Gutachterausschuss hatte sich für mehr Hochhäuser zur Linderung der Wohnungsnot stark gemacht. Die Stadtverwaltung hingegen hat das eigene Ziel von 1800 neuen Wohnungen stets verteidigt.