All die schöne Forschung für die Katz? Nicht unbedingt. Foto: Adobe Stock/foton1601

Die Forschung kann irren und zu falschen Schlussfolgerungen gelangen. Viele Menschen lässt das an der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft zweifeln. Dabei sind Fehler ein entscheidender Treiber unseres Fortschritts.

In den 1950er und 1960er Jahren genügte oft der Hinweis, amerikanische Wissenschaftler hätten dieses oder jenes herausgefunden, um in einer Diskussion zu überzeugen. In dieser Ära des ungebrochenen Fortschrittsglaubens sahen viele Menschen in Forschungsergebnissen so etwas wie unverrückbare Wahrheiten. Doch diese Zeiten sind schon lange vorbei. Heute breitet sich in Teilen der Gesellschaft eine tief sitzende Wissenschaftsskepsis aus, die gerne auch von Populisten für ihre Zwecke instrumentalisiert wird.

 

So ist es am rechten Rand der Politik nach wie vor populär, den Einfluss des Menschen auf die Klimaerwärmung in Abrede zu stellen, obwohl es dafür inzwischen eine erdrückende wissenschaftliche Evidenz gibt. Angriffspunkte für Wissenschaftsskepsis lieferte auch die Coronapandemie, in deren Verlauf sich die Einschätzungen von Fachleuten immer wieder mal änderten – etwa mit Blick auf die Schutzwirkung der Impfstoffe, die schwächer ausfiel als zunächst erwartet.

Einfache Antworten gibt’s nicht

Dabei zeichnet sich echte Wissenschaft genau dadurch aus, dass sie sich korrigieren kann, wenn neue Daten und Beobachtungen zu anderen Schlussfolgerungen führen. Und manchmal sind die Experten auch uneins. Wer nicht weiß, wie Wissenschaft funktioniert, und nach einfachen Antworten sucht, kann in solchen Fällen zu dem Urteil kommen, dass die Forscher letztlich auch keine Ahnung haben und man ihren Rat daher getrost ignorieren kann.

„Wissenschaft ist keine lineare Erkenntnisproduktionsmaschine“, sagt Michael Jungert. Vielmehr spielten Scheitern, Irrtum und Zufall eine nicht unerhebliche Rolle, meint der Geschäftsführer des Kompetenzzentrums für interdisziplinäre Wissenschaftsreflexion an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU).

Laut Jungert ist es ein zentrales Element seriöser Forschung, „zu zeigen, dass das, was andere herausgefunden haben, möglicherweise falsch ist“. Dieses ständige Hinterfragen des bisherigen Wissens führe dazu, dass der wissenschaftliche Erkenntnisprozess eben nicht geradlinig voranschreitet, sondern in Schleifen verläuft – ähnlich wie ein mäandernder Fluss.

Auch Nobelpreisträger können irren

Es gibt viele Beispiele von Forschern, die falsch lagen. Selbst Nobelpreisträger waren gegen Irrtümer nicht gefeit. So erhielt der Däne Johannes Fibiger für seine Theorie zur Entstehung von Krebs 1926 den Medizinnobelpreis. Er hatte in Ratten mit Tumorerkrankungen einen Fadenwurm entdeckt, in dem er die Ursache der Wucherungen sah. Später stellte sich heraus, dass die vermeintlichen Krebstumore gutartige Geschwulste waren – entstanden durch Vitamin-A-Mangel infolge einer nicht artgerechten Fütterung mit Weißbrot und Wasser.

Der US-Chemiker Wendell Meredith Stanley erhielt 1946 einen Nobelpreis für seine Forschung am Tabakmosaikvirus. Es gelang ihm, die Proteine des Virus zu isolieren, zur Kristallisation zu bringen und mit dem so gewonnenen Material Krankheitssymptome an Tabakpflanzen hervorzurufen.

Was Stanley nicht wusste: Nicht die Virusproteine hatten die Pflanzen krank gemacht, sondern die in seinen Proben in geringer Konzentration vorhandene Erbsubstanz RNA, mit der das Virus Tabakzellen umprogrammiert und sich vermehrt. Aber die molekularen Grundlagen der Vererbung waren zu Stanleys Zeit noch nicht geklärt.

Wenn Wissenschaftler falsch liegen, mache das ihre Ergebnisse aber nicht wertlos, meint Jungert. Ihr Scheitern biete oft Ansatzpunkte für neue Theorien oder Experimente, die am Ende doch zum Erfolg führen – manchmal auch auf einem ganz anderen Forschungsgebiet.

In Teilen bahnbrechend

„Bei vielen vermeintlichen Fehlschlägen hat sich im Nachhinein gezeigt, dass zumindest ein Teil der Ergebnisse richtig oder sogar bahnbrechend war“, sagt Jungert. So hatte Fibiger mit seiner Fadenwurmtheorie erstmals den Gedanken in die Welt gesetzt, dass Mikroorganismen an der Entstehung von Tumorerkrankungen beteiligt sein können. Heute ist bekannt, dass zum Beispiel Infektionen mit humanen Papillomaviren das Risiko von Gebärmutterhalskrebs erhöhen und dass das Bakterium Helicobacter pylori zur Entstehung von Magengeschwüren führen kann, die wiederum Magenkrebs wahrscheinlicher machen.

Stanley hatte bewiesen, dass manche Infektionskrankheiten nicht von lebenden Zellen hervorgerufen werden, sondern von molekularen Konstrukten, die an der Grenze zwischen belebter und unbelebter Natur stehen. Er hatte mangels weitergehender Erkenntnisse nur die falschen Moleküle im Blick gehabt.

Manchmal ist es umgekehrt: Forschende kommen zu richtigen Ergebnissen, blitzen damit aber in der Fachwelt ab, weil die Zeit noch nicht reif dafür ist. Der Irrtum liegt in solchen Fällen aufseiten der Scientific Community. Jungert nennt als Beispiel den Mediziner Ignaz Philipp Semmelweis (1818–1865). Dieser hatte als Erster den Zusammenhang zwischen schlechter Hygiene in Krankenhäusern und Kindbettfieber erkannt, was aber den damaligen Theorien zur Entstehung von Krankheiten widersprach. Semmelweis’ Erkenntnisse haben sich erst lange nach seinem Tod durchgesetzt.

Zerrbilder sind allgegenwärtig

Der Unmut über die Wissenschaft in Teilen der Bevölkerung hängt laut Jungert auch mit einem „Zerrbild des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses“ zusammen, zu dem manchmal auch die Forschenden selbst beitragen würden. „Die Kommunikation von Wissenschaftlern und auch der Wissenschaftsjournalismus zielen vor allem auf die Darstellung von Erfolgsgeschichten“, sagt er.

Die Wege und Umwege, die dorthin geführt haben, gerieten so leicht aus dem Blick. Zur gesellschaftlichen Akzeptanz von Wissenschaft könnten auch sogenannte Citizen-Science-Projekte beitragen, an denen sich Nichtwissenschaftler aktiv beteiligen können.

Ein Prozess der vorläufigen Ergebnisse

Jungert plädiert für einen transparenteren Umgang mit Misserfolgen. Doch Fachartikel über Forschungsprojekte, die nicht zum erhofften Ergebnis geführt haben, seien oft „nicht karriererelevant oder sogar karriereschädlich“. Dabei könnten sie den wissenschaftlichen Fortschritt beschleunigen, so Jungert. „Damit ließe sich zum Beispiel verhindern, dass andere Forschungsteams auf dieselbe Art scheitern.“

„Wissenschaft ist ein Prozess, der immer nur vorläufige Ergebnisse liefert“, sagt der Wissenschaftshistoriker Jürgen Renn in einem Interview mit der Plattform Riffreporter. Für das Vertrauen der Gesellschaft in die Wissenschaft sei es wichtig, „die Öffentlichkeit an unserem Lernprozess teilhaben zu lassen, auch an Irrtümern, Unwissen, Leerstellen“, empfiehlt der Direktor am Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena.