Im Haifischbecken der Unmoral – Szene aus „Was ihr wollt“. Foto: Wilhelma-Theater

Samuel Weiss inszeniert mit Schauspielschülern Shakespeares „Was ihr wollt“ im Stuttgarter Wilhelma Theater.

Stuttgart - Wie ein Fremdkörper wirkt die vom Meer an Illyriens Strand gespülte Viola mit ihrer Zerbrechlichkeit: Denn auf dieser „Insel der Seligen“ sind alle – vom Herzog bis zur Dienerin – vulgär und die emotional verroht. Kein Wunder, dass die Liebe hier längst Schiffbruch erlitten hat. Sie steckt in den Protagonisten höchstens noch als sentimentales Restgefühl.

Das reicht indes nicht, damit die Beteiligten ihre Gefühlswirren auflösen und sich am Ende einer sehenswerten Aufführung im Wilhelma Theater zu Paaren finden könnten. So sitzen sie während des Schlussbilds auf der Bühne verteilt und singen, ehe sie als Vereinzelte im Nichts verschwinden, „My Heart Will Go On“, mein Herz wir weiterschlagen, den Schmusesong aus dem Katastrophenfilm „Titanic“. Als klebrig-ironisches Leitmotiv geleitet es das Shakespeare-Personal durch die Inszenierung.

Mit seiner sarkastischen Bühnenversion von „Was ihr wollt“ mit acht Studenten der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart spiegelt Regisseur Samuel Weiss mit Shakespeares bösem Komödienton die geistig-emotionale Verwahrlosung im Heute. Als habe der Geist des Unterschichtfernsehens inzwischen auch Illyrien infiziert, gehört der Ausdruck „Fotze“ bei Herzog Orsino (Andreas Ricci), einem gelackten Zuhältertyp, zum Standardvokabular. Die dauerlüsterne Gräfin Olivia (Robin la Baume) schockt Viola/Cesario mit der massiven Aufforderung „Fick mich“. Wortlos geschäftsmäßig dagegen spreizt Alrun Herbings Dienerin Maria lockend die Beine, auf dass dieser Anblick den dümmlichen Lüstling Sir Bleichenwang (Julius Forster) in Ohnmacht fallen lasse.

Manches gerät zu plakativ

Regisseur Samuel Weiss, Schauspieler am Schauspielhaus Hamburg und noch in bester Erinnerung als ehemaliges Ensemblemitglied des Schauspiels Stuttgart, lässt seinen jungen Darstellern viel Raum, das Dumpfe ihrer Figuren auszustellen. Dabei gerät manches zu plakativ, und die eine oder andere Zote weniger ließe sich auch verschmerzen. Dennoch überzeugt die Produktion, auch weil Ausstatter Ralph Zeger Shakespeares Illyrien in einen sehenswerten Rummelplatz der Dekadenz verwandelt hat: Auf sechs Schiffschaukeln lässt Samuel Weiss seine Figuren zwischen hemmungsloser Begierde und krampfhaftem Drängen nach Nähe hin und her schwingen.

Durch Wechselbäder der Gefühle lockt Marianne Jordans Narr und spielt als Musikclown auf Cello und Trichtergrammofon Liebes-Popsongs. Wenn leise „Love Hurts“ von der Gruppe Nazareth durch den Raum schwebt, versinken selbst die saufenden und kiffenden Rüpel Tobias Rülps (Arlen Konietz) und Bleichenwang in einem Traum der Seligkeit. Für Augenblicke verschmelzen sie zum Liebespaar, um gleich danach den Kanon „Halt’s Maul, du Arschloch“ zu grölen.

Eine Schauspielerin gefällt an diesem Abend besonders: Lilith Häßle gelingt als Viola das Porträt einer jungen Frau, die zart und kraftvoll zugleich in einem Haifischbecken der Unmoral ihre Würde verteidigt und für wahre Liebe kämpft. Mit gekonnt unsicherer Körpersprache ringt sie als Orsinos Page Cesario um stimmige Machoposen. Und sie zeigt anrührend die Verworrenheit ihrer Liebesgefühle, die sie zwischen Herzog Orsino und der Gräfin Olivia zu zerreißen drohen – eine feine darstellerische Leistung.

Weitere Aufführungen: 24. bis 27. Oktober; 2., 3., 9., 10.,14., 15. und 17. November, jeweils 20 Uhr; 4. November um 19 Uhr; Kartentelefon: 07 11 / 95 48 84 95.