Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat einen Plan, wie Europa aus der Krise findet. Foto: dpa

Unmittelbar nach der Brexit-Entscheidung hat sich Finanzminister Wolfgang Schäuble erst einmal zurückgehalten und nachgedacht. Für die Union entwirft er ein Konzept, wie Europa aus der tiefsten Krise finden könnte.

Berlin - Für den Finanzminister ist es Routine. Erst informierte er den Haushaltsausschusses des Bundestages darüber, dass das Kabinett am Mittwoch den Haushalt für 2017 und den Finanzplan für die nächsten Jahre beschlossen hat. Anschließend tritt er vor die Bundespressekonferenz und erklärt das Zahlenwerk den Journalisten. Dass der Bund über die gesamte Wahlperiode hinweg ohne neue Schulden auskommen will, ist für Schäuble ein Erfolg. Doch er weiß, dass die schwarze Null keine Schlagzeilen mehr liefert. Um den Haushalt macht er sich momentan keine Sorgen. Sein Augenmerk gilt Europa. Das wird bei jedem seiner Auftritte deutlich. Als er zur Abwertung des britischen Pfunds befragt wird, antwortet Schäuble mit einer undiplomatischen Bemerkung, wie er sagt. „Die kommt aus tiefster Seele“, fügt er hinzu. Einer wie Schäuble, der sein ganzes Berufsleben für die europäische Verständigung gearbeitet hat, kann nicht verstehen, dass die maßgeblichen Brexit-Befürworter von Bord gehen. „Die rennen in Scharen davon, weil sie sehen, was sie angerichtet haben.“

Schäuble will Ruhe ausstrahlen

Aus der Kabinettssitzung, an der auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann teilgenommen hat, will Schäuble Beruhigendes berichten. Derzeit gebe es keine Anzeichen dafür, dass die deutsche Konjunktur durch das Geschehen in Großbritannien negativ beeinflusst werde, sagt er. Doch das ist eine Momentaufnahme. Schäuble weiß, dass Investoren und Finanzinstitutionen den Brexit als geopolitisches Risiko ansehen. Dennoch will er Ruhe ausstrahlen. Großbritannien müsse nun entscheiden, was es will. In den internen Beratungen wirbt der 73-Jährige zugleich dafür, dass Europa schnell Antworten findet. Nach der Brexit-Entscheidung hielt sich Schäuble erst einmal mit öffentlichen Äußerungen zurück und dachte nach. Am vergangenen Wochenende entschied er sich, mit eigenen Ideen vorzupreschen. In mehreren Interviews stellte Schäuble sein Konzept vor. „Es ist nicht die Zeit für Visionen“, sagte er der Welt am Sonntag. Dass ein großes EU-Land austreten will, hat es noch nie gegeben. Schäuble hält das für einen Wendepunkt. Er ist der Ansicht, die Politik dürfe darauf nicht mit den üblichen Reflexen reagieren. Der Badener, der während seines gesamten Politikerlebens für ein vertieftes Europa geworben hat, legt die eigenen Rezepte erst einmal zur Seite. Es ist noch nicht so lange her, da dachte Schäuble etwa über einen EU-Währungskommissar mit herausgehobenen Kompetenzen zur Haushaltskontrolle nach. Doch Konzepte zur Stärkung der Eurozone hülfen in der derzeitigen Krise nicht weiter. Schäuble fordert schnelle Lösungen bei einigen zentralen Problemen. Er will zeigen, dass Europa funktioniert. Dabei nimmt er auch in Kauf, dass die Vorstellungen provozieren.

Pragmatische Lösungen gefragt

Das gilt etwa für seinen Vorschlag, dass die EU nach dem Vorbild der Türkei Rücknahme-Abkommen mit nordafrikanischen Staaten schließen soll. Flüchtlinge, die vor Italien aus dem Meer gerettet werden, sollen nach Nordafrika zurückgeschickt werden. „Sonst kehrt das Flüchtlingsproblem in aller Schärfe zurück“, sagt Schäuble. Es geht ihm um ein schnelles, pragmatisches Vorgehen.

Auch im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa will Schäuble neue Wege gehen. Die Jugend Europas müsse mobiler werden. „Ich kann nicht verstehen, warum junge Menschen, die in der Heimat keinen Arbeitsplatz finden, nicht nach Deutschland kommen“, erklärt der Minister. In Deutschland suchten Betriebe händeringend nach Auszubildenden. „Wir müssen da sehr viel flexibler werden“, meint er. Er kann sich vorstellen, für diesen Zweck auch Geld in die Hand zu nehmen. Sein Ministerium verweist auf die guten Erfahrungen, die Baden-Württemberg mit Jugendlichen aus Spanien gesammelt habe. Mit Beispielen von Möglichkeiten will Schäuble Europa ein Gesicht geben. Wenn vor allem über institutionelle Änderungen diskutiert werde, gehe das an den Menschen vorbei.

Ideen sind mit der Kanzlerin abgestimmt

Dass seine Vorschläge zu Konflikten führen, weiß der Finanzminister. In der Rüstungspolitik schlägt er ein europäisches Beschaffungswesen vor. Alle EU-Länder stünden vor der Notwendigkeit, bei der Anschaffung von Rüstungsgütern zu sparen. Warum sollten künftig Deutschland und Frankreich nicht gemeinsam Panzer und Schnellboote kaufen? fragt er. Wenig wahrgenommen wird in der Öffentlichkeit bisher, dass Schäuble sich für diesen Zweck auch vorstellen kann, die strengen deutschen Exportrichtlinien für Rüstungsgüter zu lockern. Das wäre der Preis für eine europäische Zusammenarbeit. Für viele dürfte das eine Provokation sein.

Seine Ideen hat der Finanzminister in kleinen Unionsrunden vorgestellt. Mit der Kanzlerin hat er sich abgestimmt. Auffallend ist, dass öffentlich bisher vor allem Schäuble wahrgenommen wird, der für die Union die Vorstellungen für eine neue Europapolitik formuliert. Bei den Sozialdemokraten ist das Stimmengewirr größer. Ein Beispiel dafür ist, dass Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel mit der alten Idee über das Land zieht, den Sparkurs in Europa lockern und die Probleme mit mehr Geld zu lösen. Schäuble lässt das abprallen. Im Kabinett habe er vom Wirtschaftsminister keine Kritik am aktuellen Haushaltsentwurf gehört, sagt Schäuble. Und er fügt hinzu: Der Wirtschaftsminister habe in seiner Regierungserklärung im Januar im Bundestag festgestellt, wie wichtig solide Finanzen seien. „Wir stimmen völlig überein“, meint Schäuble süffisant.