Richard Estes, „D-Train“ © Estes, courtesy Marlborough Gallery Foto: Staatsgalerie Foto:  

Industriegeschichte und Kunstgeschichte durchdringen sich im Blick auf die Druckerdynastie Domberger. Der Arbeit von Luitpold und Michael Domberger gilt die aktuelle Schau in der Galerie Stihl in Waiblingen.

Waiblingen - Zum ersten Mal kam Michael Domberger der Gedanke, Druckvorlagen von Künstlern nicht einfach wegzuwerfen, sogar „auch dann nicht, wenn der Künstler sie wegwirft“, bei einem Blatt von Fritz Ruoff. Der hatte es achtlos im Papierkorb entsorgt, weil er einen Fleck entdeckt hatte. Aber schon Dombergers Vater Luitpold muss Vorlagen, Zeichnungen und Filme aufbewahrt haben, als Willi Baumeister begann, sich für den Siebdruck zu begeistern. Schon 1949 war das. Der engen, durch die räumliche Nähe in der Gänsheide 26 begünstigten Zusammenarbeit von Drucker und Künstler bis zum Tod Baumeisters 1955 verdanken sich über 60 Arbeiten, die zu den frühesten künstlerischen Siebdrucken zählen, die in Deutschland entstanden. Offensichtlich wurde der Wert der angesammelten Schätze während der Baumeister-Ausstellung 2007 in der Galerie Domberger. Die Besucher ließen sich faszinieren von all den Dingen, die so anschaulich „die Entstehungsgeschichte der Serigrafien erzählen“.

Zwei Jahre später erwarb das Land Baden-Württemberg die Sammlung Domberger. Jetzt kommen daraus rund 120 Exponate in der Herbstausstellung der Galerie Stihl zu Ehren. Unter dem Titel „Durchgesiebt und draufgeschaut! Die Sammlung Domberger von Baumeister bis Polke“ sind außer den experimentellen Arbeiten Baumeisters auch viele wesentliche Beispiele aus der Ära der Op- und Pop-Art der 1960er bis 1980er Jahre zu sehen. Auch Vorlagen, Andrucke, allerhand Archivmaterial mit Briefen und Fotografien sowie drucktechnisch erforderliche Werkzeuge und Siebdruckrahmen sind ausgestellt. Alles zusammen unterstreicht, dass die Region Stuttgart in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein internationales Zentrum des künstlerischen Siebdrucks gewesen ist.

Von Baumeister bis Polke

Von der „Symbiose von Kunst und Technik“, der engen Zusammenarbeit des Pioniers der abstrakten Moderne und des Druckers, der dem neuartigen künstlerischen Handwerk zum Durchbruch verhalf, zeugen etliche Exponate wie die Werbebeilage der Werkstatt für die Zeitschrift „Gebrauchsgraphik“, die von Baumeister entworfene Einladungskarte zur Ausstellung der Sammlung Domnick in der Staatsgalerie oder „Faust schwebend“ und der Faltprospekt für eine Ausstellung von Serigrafien in westdeutschen Amerikahäusern. Alle drei Dokumente datieren von 1952. 1950 entstand eine Serie von Zustands- und Probedrucken mit archaischen Formen zum Thema „Amenophis“.

Urlaubspost, die Baumeister an „Monsieur Poldy Domberger“ adressierte und mit einer Werkstatt-Zeichnung illustrierte, lässt die freundschaftliche Nähe zwischen Kunst und Technik spüren. Die „Kosmische Geste“ von 1950, vier Varianten zum Thema „Tänzerin“ (1954), Entwurf, Druckfilm und der endgültige Druck zu „Aru 5b“ sowie die farblich intensive Druckversion von „Montaru“ (1953) belegen, wie energisch die Männer perfekte Resultate anstrebten.

Keinen Zweifel an diesem Streben lässt ein Schreiben von Josef Albers zum Druck von „Homage to the Square“ von 1970: „Das Wichtigste hier ist, dass das Blau dieselbe Lichtintensität wie das dunklere Grün hat. Dadurch wirkt das Blau glasig atmosphärisch  . . .“ In einem Brief sowohl an die Galerie der Spiegel und an Domberger heißt es: „Ich hoffe sehr, dass meine Vorschläge nicht nur rechthaberisch (. . .) erscheinen und nicht zu viel Arbeit kosten.“ Über die Kölner Galerie liefen auch Kontakte zu Victor Vasarely. Der ist mit dem scheinplastisch stilisierten Rasterbild „Hommage à Picasso“ dabei. Von einer anderen berühmten Arbeit mit zig bunten Quadraten gibt es ein nur zur Hälfte bedrucktes Blatt zu sehen. Auf der anderen Hälfte markieren Zahlen, was da noch kommen soll. Handschriftliche Korrekturen finden sich auch auf Andrucken zu den „Numbers“, dem Portfolio von Robert Indiana mit Gedichten von Robert Creeley, einem Klassiker der Pop-Art.

Live-Gefühl bei Estes’ „D-Train“

Besonders intensiv gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Richard Estes. Für den riesigen, nahezu zwei Meter breiten „D-Train“ wurde extra eine geeignete Druckmaschine entliehen. Damit der Büttenkarton die vielen Farben überhaupt aushielt, mussten mehrere Lagen 300 Gramm schweren Kartons übereinander kaschiert werden. Das Material sträubte sich trotzdem und schlug nach dreißig Farben Wellen, zeigte sich aber wider Erwarten kompromissbereit, als es übers Wochenende zum Trocknen aufgehängt wurde. Das Motiv des Zugs, das auf der rechten Hälfte eine atemraubende Perspektive durch das Innere der Waggons bietet und beim Blick durch die Fenster auf der linken Seite mit dem Panorama von Manhattan auftrumpft, ließ sich halbieren. So konnte der Druckvorgang getrennt bewältigt werden. Nun setzt der „D-Train“ mit der Strahlkraft von mehr als 200 Farben der Schau das Glanzlicht auf.

Eine Zusammenarbeit mit Andy Warhol scheiterte an Grundsätzlichem. „Your printing is much too superb for my work“, beschied der Spitzenkünstler Michael Domberger, als der ihn in dessen Factory in New York besuchte. Der Filderstädter Druckerei war es darum zu tun, Farbüberlappungen beim Drucken tunlichst zu vermeiden. Warhol legte hingegen Wert auf Zufälligkeiten im Interesse künstlerischer Freiheit. So bot erst die Warhol-Retrospektive des Museums Ludwig 1989 in Köln Domberger Gelegenheit, Warhol posthum ein „superb“ gedrucktes Ausstellungsplakat mit „Marylin“ zu widmen, wie Tilman Osterwold im Katalog zur Waiblinger Ausstellung anmerkt.

Schon 1966 hatte Luitpold Domberger auf die wachsende Popularität des Siebdrucks mit der Gründung eines eigenen Verlags, der Edition Domberger, reagiert. Im Jahr darauf schlug der damalige Leiter des Württembergischen Kunstvereins, Dieter Honisch, Domberger vor, anlässlich der Ausstellung „Formen der Farbe“ im Kunstgebäude ein begleitendes Portfolio unter demselben Titel zu drucken. Auch diese Mappe mit Arbeiten von Josel Albers, Allan d’Arcangelo, Max Bill, Robyn Denny, Robert Indiana, Nicholas Krushenick, Georg Karl Pfahler und Victor Vasarely ist in Waiblingen zu sehen.

Ein noch größerer Kreis namhafter Künstler beteiligte sich an dem Mappenwerk „Kinderstern“, das 1989 zugunsten des Fördervereins krebskranker Kinder verkauft wurde. Engagiert haben sich für den noblen Zweck Elvira Bach, Christo, Gotthard Graubner, Keith Haring, Jörg Immendorff, außerdem Imi Knoebel, Günther Uecker, Tomi Ungerer, aber auch Max Bill, Piero Dorazio, Sol LeWitt, Pierre Soulages und keineswegs zuletzt der in der Rubrik der Schau genannte Sigmar Polke.

Waiblingen, Weingärtner Vorstadt 14. Bis 6. Januar 2016. Di bis So 11 bis 18, Do bis 20 Uhr. www.galerie-stihl-waiblingen.de