Die Verbindung von Wein und Architektur gehört zu den Phänomenen unserer Zeit. Ausgerechnet die traditionsreichen Weinbaubetriebe stellen immer mehr stilprägende Gebäude in die Gegend. In der ganzen Welt. Und längst auch rund um Stuttgart.
Ein bisschen schaut das Ensemble aus, als sei da ein Ufo mitten in Winterbach gelandet. Und doch passt das Gebäude in seine Umgebung. Auf alle Fälle prägt das Weingut Jürgen Ellwanger mit seinem Neubau das Ortsbild des kleinen Orts im Remstal ganz entscheidend. „Ein Satteldach war Pflicht“, sagt Felix Ellwanger, also hielt sich die Familie dran. Den besonderen Kick sollten die Wengertersteine erzeugen, aus denen die Ellwangers ihre neue Kelter direkt vor dem alten Fachwerkhaus bauen wollten. Aber die erwiesen sich als zu schwer. Also kamen die Architekten (BK2H) auf die Idee, das Gebäude aus Cortenstahl zu bauen. Der ist leichter, funktional – und das Gebäude mit der verrosteten Fassade sieht fantastisch aus. Diverse Auszeichnungen erhielt die Familie seither, als wertvollste sicher den deutschen Architekturpreis Wein. „Damit haben wir nun wirklich nicht gerechnet“, sagt Felix Ellwanger, „ich dachte, diesen kriegt ein Weingut wie Van Volxem, die haben immerhin ein Vielfaches investiert.“
Das Deutsche Weininstitut zeichnete zwanzig Bauwerke aus
Die Jury hingegen zeichnete nicht das Prachtgebäude aus, sondern die geniale Idee, etwas derart Modernes passend zur Tradition mitten in einen Ort zu stellen.
Die Vordenker vom Bauhaus hätten auf jeden Fall ihren Spaß gehabt bei solcher Bauweise, nicht nur in Winterbach, sondern an vielen Orten. Immer gilt das Prinzip: Form follows function, die Form folgt der Funktion. Denn eine Kelter muss immer praktischen Gesichtspunkten folgen. „Bei uns ist zum Beispiel jeder Boden schrägt“, sagt Felix Ellwanger, das erleichtere das Reinigen, ein ganz wesentlicher Aspekt bei der Weinerzeugung. Dennoch entstehen zwar viele funktionale Keltern, allerdings zuletzt auch immer mehr schöne. Das Deutsche Weininstitut zeichnete zum Beispiel zwanzig Bauwerke aus, darunter aus der Region Stuttgart das Weingut Knauß in Strümpfelbach mit seinem Monument aus Sichtbeton direkt neben dem alten Fachwerkhaus, das Weingut Kern in Rommelshausen mit einem architektonischen Meisterwerk mitten im Industriegebiet, das Weingut Gold, mit seiner Kelter, die wie ein Stollen neben dem historischen Gasthaus in den Berg getrieben ist. Es gäbe noch viel mehr Beispiele: Das neueste kommt vom Weingut Zimmerle mit der Null-Emissions-Kelter, das Weingut Kusterer stellte eine Gravitationskelter in Esslingen hin, das Weingut Dautel baut im Moment neben dem alten Aussiedlerhof neu.
Genießer wollen den Wein in stilvollem Ambiente verkosten
Wein und Architektur, beide gehen schon seit Längerem eine heilvolle Allianz ein. Das Deutsche Weininstitut erklärt das so: „Immer mehr Weinproduzenten machten mit charaktervollen Weinen von sich reden. Das wollten sie auch nach außen sichtbar machen.“ Natürlich seien Genießer in erster Linie auf der Suche nach hervorragenden Weinen, doch diese wollten sie auch in stilvollem Ambiente verkosten. Andreas Gottlieb Hempel, Autor des Buchs „Wein und Architektur“, formuliert das so: „Ich erfuhr, dass ein Wein besser in Erinnerung bleibt, wenn man einmal den Weinberg, den Keller und den Verkostungsraum bei freundlichen Winzern besucht hatte, die über die perfekte Vinifizierung hinaus einen guten Architekten mit dem Bau ihres Anwesens betrauten. Da stimmt dann alles, von der Ästhetik bis zur Sensorik, und der Genießer rät seinen Freunden: ‚Da müsst ihr mal hin!‘“
Dies schrieb er, nachdem er nach Südtirol übergesiedelt war. Dort ist das Phänomen nämlich schon wesentlich älter: Größere Kellereien wie Tramin oder Terlan haben schon vor vielen Jahren Maßstäbe gesetzt, natürlich auch mit sehr viel größeren Investitionen als dies im eher kleinteiligen Württemberg möglich ist. Österreich zeigt dem Nachbarn auch schon seit Längerem, was in dieser Beziehung möglich ist. Das Weingut Loimer etwa stellte schon vor vielen Jahren einen schwarzen Quader in den Weinberg, beim Weingut Hillinger hat man den Eindruck, die Architekten vom Porsche-Museum hätten dort ihre Blaupause geholt.
In Südamerika entstanden in Chile und Argentinien wahre Tempel des Weins
Die herausragenden Beispiele von Wein und Architektur befinden sich allerdings dort, wo Größe und Geld auch mehr erlauben. In Italien baute Antinori wunderbare Gebäude, in Südamerika entstanden in Chile und Argentinien wahre Tempel des Weins. Und in Spanien bauten die Weinerzeuger einfach Denkmäler des Weins. Die Bodegas Marqués de Riscal zum Beispiel stellte neben ihre Kellerei ein Hotel, das vom amerikanischen Stararchitekten Frank O. Gehry entworfen und vom spanischen König Juan Carlos I. im Jahr 2006 eingeweiht worden ist. Ein Ort, an dem Wein und Architektur zum magnetischen Anziehungspunkt werden, in dem Hotel gibt’s natürlich auch ein Sternelokal. Bodegas Ysios ließ ein reines Kellereigebäude vom valencianischen Architekten Santiago Calatrava entwerfen. Das steht nicht wie ein Ufo da, sondern nimmt die Form der dahinterliegenden Berge auf.
Felix Ellwanger gefällt derweil das neue Gebäude vom Weingut am Stein in Würzburg am besten. Dort haben sie es auch geschafft, Tradition und Moderne perfekt zu vereinen.