Caritas-Kitas schließen jetzt schon um 14 Uhr. Die Stadt will weg vom flächendeckenden 8-Stunden-Angebot. Immer mehr Ganztagsplätze in Stuttgart verschwinden. Was sind die Alternativen und wie reagieren die Eltern?
Die Ankündigung kam kurzfristig: Im Januar erfuhren Anna-Sophie Frick und ihr Mann, dass die Kita ihrer beiden Kinder in Stuttgart-Vaihingen zwei Wochen später die Betreuungszeiten vorerst von 16 auf 14 Uhr reduziert. Zu wenige Fachkräfte, häufige Ausfälle wegen Krankheit – das nannte der Träger der Einrichtung, die Caritas Stuttgart, als Grund.
Seither wissen die Eltern kaum, wie sie Arbeit und Familie stemmen sollen. Bis vor kurzem arbeitete das Paar beide reduziert 15 Stunden die Woche. Aber nun hat die 31-jährige Mutter auf 28 Stunden erhöht. Ihr Mann arbeitet 30 Stunden. „Jetzt schaffen wir es eigentlich nur mit Homeoffice ohne Mittagspause und indem wir abends arbeiten“, sagt Anna-Sophie Frick.
An 18 von 70 Tagen ein Kind daheim
Verschärft wird die Situation dadurch, dass zu den verkürzten Öffnungszeiten etliche Tage kommen, an denen in der Kita Notbetreuung gilt, also nicht alle Kinder kommen dürfen, weil eine Fachkraft krank ist. „Von 70 Tagen hatte ich an 18 Tagen mindestens ein Kind daheim“, sagt die Mutter.
Wie ihr geht es vielen Eltern der Mosaik-Kitas der Caritas. Armin Biermann, Bereichsleiter Kinder, Jugend, Familie, bestätigt, dass aufgrund Personalmangels und Krankheiten derzeit in vier von fünf Kitas, die der Träger betreibt, die Öffnungszeiten auf 14 Uhr verkürzt wurden. Allerdings gebe es etwa in Vaihingen weiter 20 Plätze bis 16 Uhr. Sie wurden an Kinder vergeben, deren Familien bestimmte Kriterien erfüllen, wenn beispielsweise das Kindeswohl gefährdet ist, Angehörige gepflegt werden oder die Eltern in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten.
60 statt 90 Prozent Ganztagesplätze
Armin Biermann betont, dass die Verkürzung nicht dauerhaft geplant sei. Vorerst gelten die neuen Zeiten bis zum Sommer. Habe man wieder genug Personal, könnten sie aufgestockt werden. Allerdings arbeite man derzeit an einer generellen Veränderung des Angebots ab Herbst, die dazu führen soll, dass die Öffnungszeiten verlässlicher werden. Für Biermann steht vor fest: „Kita wie bisher nur mit Ganztagsplätzen – das ist ein Auslaufmodell.“
Auch die Stadt Stuttgart will weg vom flächendeckenden Ganztagsangebot, also von Plätzen mit 35 Stunden und mehr Betreuung. Sie will damit auf den Erziehermangel reagieren und aus dem bestehenden Angebot mehr Plätze für derzeit unversorgte Kinder schaffen. Dazu hat sie einen Prozess gestartet, in den auch andere Träger einbezogen werden. Das Ziel: Zukünftig sollen statt 90 Prozent Ganztagsplätzen im Krippenbereich (Kinder bis drei Jahre) 60 Prozent angeboten werden. Auch für den Kindergartenbereich (Kinder bis sechs Jahre) hat die Stadt diesen Wert im Blick. Der Rest sollen so genannte VÖ-Plätze sein (Verlängerte Öffnungszeiten), die 30 bis 35 Stunden pro Woche umfassen. Derzeit arbeitet die Stadt an der Umsetzung sowie daran, die Kriterien, wer Anspruch auf welche Betreuungszeit hat, zu verändern.
Eltern berichten von Schließungen
Tatsächlich bestehen zahlreiche Ganztagsplätze in Stuttgart aber schon heute nur auf dem Papier. Das zeigt nicht nur das Beispiel der Mosaik-Kitas. Unsere Redaktion erreichen jede Woche Schilderungen von Eltern, die Ähnliches aus Kitas verschiedener Träger berichten. Teils werden die Zeiten vorerst auf 13 oder 14 Uhr verkürzt. In mehr Fällen kommt es regelmäßig tage- oder wochenweise zu Verkürzungen oder Schließungen. Eine Mutter hat für die Kita in Stuttgart-Wangen, in die ihre zwei Kinder gehen, mitprotokolliert: Von Oktober bis März sei die Kita an sieben Tagen außerplanmäßig geschlossen gewesen. Dazu kamen an 17 Tagen Teilschließungen in einer der zwei Gruppen ihrer Kinder, schreibt die Mutter.
Die Stadt Stuttgart teilt auf Anfrage mit, dass derzeit nur eine ihrer rund 180 Kitas die Öffnungszeiten im Kindergartenbereich auf 14 Uhr reduziert habe. Von der evangelischen Kirche heißt es, man habe in insgesamt 15 Einrichtungen Betreuungszeiten reduziert, allerdings nicht auf sechs Stunden täglich, sondern auf Angebote zwischen sieben und acht Stunden. „Wir fragen bei den Eltern die tatsächlichen Bedarfe ab, an welchen Tagen eine achtstündige Betreuung benötigt wird und richten die Gruppengröße und den damit verbundenen Personalbedarf danach aus“, sagt Jörg Schulze-Gronemeyer.
Derzeit überlege man außerdem, ob man künftig in mehrgruppigen Ganztageseinrichtungen einzelne Gruppen mit sechs Stunden Öffnungszeit anbietet. „Dann könnten wir für diese Gruppen 25 statt 20 Plätze anbieten und durch bessere Vertretungsmöglichkeiten Notgruppen reduzieren.“
Mehr Erzieherinnen eingestellt
Nicole Höfle vom Katholischen Stadtdekanat sagt, dass die Zahlen, wie viele Kitas Zeiten reduziert hätten, derzeit erhoben würden, aber noch nicht vorliegen. „Wir haben keine Einrichtung, die ihre Öffnungszeiten dauerhaft reduziert hat. Vorübergehende Reduzierungen der Öffnungszeiten haben wir genauso wie die anderen Träger.“ Gleichzeitig bemühe man sich, Personal zu gewinnen. „Dazu setzen wir auf Ausbildung, Weiterbildung und unsere Kita-Werbekampagne“, so Höfle. Das trug Früchte: „Wir konnten in den vergangenen Monaten mehr Erzieherinnen und Erzieher einstellen als im Vorjahreszeitraum.“
Auch bei den freien Trägern gibt es Reduzierungen, sagt Romano Sposito vom Deutschen Kitaverband, der diese vertritt. Wenige hätten verkürzte Zeiten, andere zwar lange geöffnet, betreuten aber eine reduzierte Anzahl an Kindern. Von einer Kita habe er auch die Rückmeldung, dass neue Verträge mit Eltern derzeit zunächst nur bis 14 Uhr abgeschlossen werden, „solange sich die Personalsituation nicht entspannt“.
Eltern berichten unserer Zeitung, dass sie von Seiten der Stadt trotz einer Bewerbung für einen Ganztagsplatz ab September nur einen VÖ-Platz angeboten bekommen haben. Die Stadt sagt dazu, dass Eltern Plätze entsprechend der Vergabekriterien angeboten bekommen. Auch wenn sie das Sechs-Stunden-Angebot nicht annehmen, blieben sie allerdings auf der Warteliste für einen Ganztagsplatz.
Armin Biermann von der Caritas sagt, dass sie derzeit Bewerbern ab September keine Ganztagsplätze anbieten, weil noch nicht endgültig entschieden sei, wie das Platzangebot künftig aussehe. Neben der Frage, wie viele Ganztagsplätze sie in den Mosaik-Kitas noch anbieten werden, beschäftigt Biermann die Frage, welche alternativen Betreuungsangebote man Eltern anbieten kann.
Eltern betreuen abwechselnd in Kita
Zu diesen Alternativen, die auch die Stadt erwägt, zählt die Idee, Vereine, Ehrenamtliche oder andere Externe einzubinden, die dann über 14 Uhr hinaus in den Kitas Kinder betreuen. Allerdings ranken sich darum unter anderem rechtliche und versicherungstechnische Fragen. In der Vaihinger Einrichtung würden derzeit zum Beispiel Eltern abwechselnd nach 14 Uhr einige Kinder betreuen, sagt Biermann.
Eine Notlösung, die auch Anna-Sophie Frick plant. Die Familie will sich mit einer anderen zusammen tun und die Kinder abwechselnd betreuen. So hoffen sie, die kommenden fünf Monate zu überbrücken. Denn ab Herbst haben sie die Tochter in der Betriebskita ihres Arbeitgebers untergebracht. Der jüngere Sohn ist bereits dorthin gewechselt. Die Betriebskita hat täglich bis 18 Uhr geöffnet.