Auf Wahlplakaten ist Recep Tayyip Erdogan präsent, in der Öffentlichkeit ist er es derzeit nur eingeschränkt. Foto: imago/NurPhoto/Umit Turhan Coskun

Der türkische Präsident muss seit zwei Tagen Wahlkampfauftritte wegen Krankheit absagen.

In Europa können Auslandstürken seit Donnerstag ihre Stimme für die Wahl am 14. Mai abgeben – doch auf die Ermunterung von Recep Tayyip Erdogan müssen sie verzichten: Der Staatspräsident sagte einen für den Abend geplanten Auftritt bei türkischen Auslandsfernsehsendern aus gesundheitlichen Gründen ab. Schon seit zwei Tagen muss der 69-Jährige nach einem Schwächeanfall seine Wahlkampfauftritte in Anatolien streichen. Nur per Videoschalte konnte er am Donnerstag an der Einweihung des ersten türkischen Atomkraftwerkes teilnehmen. Erdogans gesundheitliche Probleme offenbaren eine politische Schwäche. Denn eigentlich wollte der Präsident diese Woche in die Offensive gehen, um aus einem Umfragetief herauszukommen. Daraus wird nun erst einmal nichts.

Erdogans Probleme begannen am Dienstag. Nach einem langen Tag auf Wahlkampftour wollte der Präsident am Abend einem regierungsfreundlichen Fernsehsender ein Interview geben. Zunächst verzögerte sich der Beginn der Sendung, dann begann Erdogan während der Frage eines Journalisten zu röcheln. Die Kamera blieb auf den Fragesteller gerichtet, der besorgt auf den Präsidenten schaute und seine Mitarbeiter anzischte, sie sollten das Interview für eine Werbepause unterbrechen. „Oh weh, oh weh“, war Erdogans Stimme noch zu hören, dann brach die Livesendung ab. Als Erdogan 20 Minuten später wieder auf dem Bildschirm erschien, bat er die Zuschauer um Entschuldigung: Er habe eine Magenverstimmung. Kurz darauf war die Sendung zu Ende.

Putin wünscht gute Besserung

Erdogan sagte daraufhin zunächst seine Wahlkampftermine für Mittwoch ab. Am Donnerstag werde er hoffentlich wieder auf dem Damm sein, schrieb der Präsident auf Twitter. Doch dann ließ er auch am Donnerstag zwei Veranstaltungen im Süden der Türkei absagen. Während seines Videoauftritts bei der Einweihung des von einer russischen Firma für 20 Milliarden Dollar gebauten Atomkraftwerkes im südtürkischen Akkuyu, das eines Tages zehn Prozent des türkischen Strombedarfs liefern soll, wirkte Erdogan blass und müde, besonders im Vergleich zu dem ein Jahr älteren, aber wesentlich lebhafteren Kremlchef Wladimir Putin, der ebenfalls per Video zugeschaltet war. Vor der Videoschalte hatte Erdogan mit Putin telefoniert. Putin wünschte dem türkischen Präsidenten gute Besserung, wie das türkische Präsidialamt mitteilte.

Gesundheitsminister Fahrettin Koca sagte am Donnerstag, Erdogan leide an einer Mageninfektion, deren Wirkung nachlasse. Der Präsident werde „baldmöglichst“ sein Wahlkampfprogramm wieder aufnehmen. Einen konkreten Termin nannte Koca nicht.

Für einen Mann seines Alters sind Erdogans gesundheitliche Probleme im Wahlkampfstress nichts Ungewöhnliches. Dass er mindestens zwei Tage statt wie angekündigt nur einen Tag außer Gefecht war, deutet jedoch darauf hin, dass seine Erkrankung ernster sein könnte, als er zunächst angenommen hatte. In der Gerüchteküche auf Twitter wurde aus der Magenverstimmung ein Herzinfarkt und aus der Ruhepause eine Krankenhauseinlieferung. Erdogans Informationsdirektor Fahrettin Altun sah sich gezwungen, dies als haltlose Desinformation zurückzuweisen.

Spekulationen um Erdogans Gesundheitszustand

Um Erdogans Gesundheitszustand ranken sich seit Jahren viele Spekulationen, häufig befeuert vom Wunschdenken seiner Gegner. Im Jahr 2011 unterzog sich Erdogan einer Darmoperation, dementierte aber Berichte über eine Krebserkrankung. Vor sechs Jahren wurde ihm während des Gebets in einer Moschee schlecht, was er mit vorübergehenden Blutzucker-Problemen erklärte. Im Jahr 2021 schlief Erdogan während einer Videobotschaft an seine Anhänger mitten im Satz ein. Kurz vorher musste er sich auf seine Frau Emine und einen Leibwächter stützen, als er eine Treppe hinunterging. Damals empfahl der einflussreiche Nahost-Experte Stephen Cook von der amerikanischen Denkfabrik CFR westlichen Regierungen, sie sollten sich auf ein vorzeitiges Ausscheiden Erdogans aus dem Amt vorbereiten. Als Antwort darauf veröffentlichte Altuns Informationsamt ein Video, das Erdogan beim Basketballspielen zeigte. „Unser Präsident war gut in Form“, kommentierte Präsidialamtssprecher Ibrahim Kalin.

Auch diesmal bemüht sich die Regierung, die Probleme des Präsidenten herunterzuspielen. Vizepräsident Oktay erklärte, Erdogan habe lediglich eine leichte Erkältung. Erdogan-Anhänger in den Medien schwärmten, die Anteilnahme der Bürger nach Erdogans Schwächeanfall vom Dienstag zeige, wie beliebt Erdogan bei den Türken sei. Der Wahlsieg von Erdogan und seiner Partei AKP bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai sei sicher, schrieb Altun auf Twitter.

Zweifel an Erdogans Wahlchancen

Außerhalb des Regierungslagers wachsen jedoch die Zweifel an Erdogans Wahlchancen. In den meisten Umfragen liegt der Präsident hinter seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu; bei der Parlamentswahl ist die Mehrheit der AKP und ihrer rechtsnationalen Partnerin MHP in der Volksvertretung in Gefahr. Der Journalist Fatih Altayli von der Internetzeitung „Habertürk“ erinnerte seine Leser daran, dass Erdogan ursprünglich in Erwartung eines sicheren Sieges weniger Auftritte geplant habe als bei früheren Wahlkämpfen. Dass er nun aber trotz seiner ohnehin hohen Arbeitsbelastung als Staatschef wieder über die Dörfer ziehe, sei ein Hinweis darauf, dass sich die Regierung ihrer Sache weniger sicher sei, als sie öffentlich zugebe, schrieb Altayli.