Was nehmen Menschen in Kauf, um der Schnellste, die Stärkste, die Besten zu sein? Über 90 Minuten lang durften knapp 50 Zuhörer mit dem weltweit bekannten ARD-Dopingexperten Hajo Seppelt hinter die saubere Fassade des Sports blicken.
Ob Leichtathletik, Radsport, Schwimmen oder Fußball: Immer wieder wird der internationale Sport durch Doping-Fälle erschüttert. Die Spannweite der spannendsten Geschichten, die Hans-Joachim „Hajo“ Seppelt mit seinem mittlerweile auf zwölf Köpfe angewachsenen Team aufarbeitet, reicht von individuellem Doping bis hin zu kompletten staatlichen Doping-Systemen. Jetzt gab Seppelt im Rahmen der Ausstellung „Schall und Rau(s)ch“ in der städtischen Galerie Böblingen Einblicke.
Durch Doping werden viele sportliche Großveranstaltungen wie Olympia oder Weltmeisterschaft in ein schlechtes Licht gerückt, sagt Seppelt. Mit seiner Dokuserie „Geheimsache Doping“ schafft er ansehnliche Einschaltquoten. Und das nicht zu den allerbesten Sendezeiten. Aber nicht nur über die vermutlich nicht kleiner gewordenen Abgründe des Dopings im internationalen Spitzensport hat der vielfach ausgezeichnete Investigativjournalist, unter anderem Gewinner des Hans-Joachim-Friedrich-Preises, berichtet, sondern auch über die Praktiken im Breitensport. Erst im vergangenen Jahr schaffte seine Dopingredaktion mit dem Bericht „Dealer, die Hintermänner des Dopings“ reichlich Aufklärung über das schmutzige und illegale Geschäft.
Viele verdienen beim Doping mit
Bei dem sehr lebendigen Austausch, die interessierten Besucher stellten im zweiten Teil eifrig Fragen, beschrieb Seppelt anhand seiner jahrelangen Erfahrung: „Ich habe so viel erlebt im Apparat Profisport.“ Vor allem, was so alles schief läuft im Sport – „einem der wichtigsten Kulturgüter“. Doping betrifft nicht nur einzelne Fälle, sondern wird systematisch betrieben. Warum? Wieso wird zur Spritze gegriffen? Von Medaillen, Bestleistungen, Rekorden profitieren viele.
„Es ist eine Win-Win-Situation für viele, so lange Doping unterm Teppich bleibt“, sagt Seppelt, „viele verdienen mit“. Angefangen beim Athleten selbst, über Mediziner, Ausrüster, Veranstalter, Manager, Fachverbände, Sponsoren bis hin zu den Medien. Kommt mal wieder was ans Tageslicht, „wird die Sportart schnell unattraktiv“, er sieht er darin „einen Teufelskreis“.
Er stellte sich selbst unzählige Male in seinem Journalisten-Leben die Frage: „Welches Interesse sollen Verbände oder Athleten haben, dass man darüber redet, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht?“ Die Antwort liegt für Seppelt auf der Hand: „Sie können kein Interesse haben.“
Wegen seinem Rechercheansatz wurde als Schwimmreporter abgesetzt
Schon zu Beginn seiner Laufbahn, vor knapp vier Jahrzehnten, eckte er mit unbequemen Fragen immer wieder an. Bei ihm ist und war vieles investigativ. Früh drehte sich vieles ums Thema Doping. Das führte dazu, dass er bei der ARD als Schwimmreporter abgesetzt wurde. Und wer weiß, wie seine journalistische Karriere verlaufen wäre, wenn nicht ein Eklat im Vorfeld der Tour de France im Jahr 2006 um Dopingarzt Eufemiano Fuentes ein nicht für möglich gehaltenes Dopingnetzwerk den Radsport erschüttert hätte?
Im vergangenen November traf er sich wieder mit Jan Ullrich, einem der größten deutschen Sporthelden. Eben jenen Tour-de-France- Sieger, den Seppelt damals nach dessen größtem sportlichen Triumph ganz unverblümt nach Pillen und Spritzen gefragt hatte. Von den Spannungen zwischen Seppelt und Ulrich war in diesem jüngsten Interview nichts mehr zu spüren. Dass Jan Ullrich sein jüngstes Doping-Geständnis ablegte, ist vermutlich auch ein Verdienst von Investigativjournalisten wie Hajo Seppelt.
Interessant, was abseits der Wettkämpfe passiert
Seine Recherchen, sein Wille, die „Dinge beim Namen nennen“, waren fortan auch bei seinem eigenen Sender, der ARD, gefragt. Es wurde dort mehr und mehr an Ressourcen zur Verfügung gestellt. „Ich darf frei recherchieren, machen, was ich will“, sagte Seppelt. „Die Berichte fanden und finden großes Echo und führten sicher auch dazu, dass es mehr Journalisten gibt, die Kontra geben.“ Seit dieser Zeit wird bedeutend mehr darüber berichtet, was abseits der Wettkampfstätten alles passiert. Auch bei der ARD, die einst als Co-Sponsor beim Team Telekom fest im Sattel saß, begann ein Umdenken. Die ARD-Dopingredaktion ist heute weltweit eine einzigartige Abteilung.
Der Experte blickte in Böblingen auch zurück. Denn Doping ist wahrlich kein neues Phänomen. Das schmutzige Geschäft existiert seit Jahrzehnten. Die Aufdeckung des russischen Staatsdopings vor acht Jahren habe etwa zu einem Erdbeben im Weltsport geführt. Aber auch zu einem Umdenken. Auch im Läufer-Wunderland Kenia purzelten nach seinen Enthüllungen die Rekorde plötzlich nicht mehr wie am Fließband. „Nächste Woche reise ich wieder nach Kenia“, ließ er durchblicken „da hat sich vieles zum Positiven gewandelt“. Für ihn sind nicht nur dort „die Athleten Täter und Opfer in einem“. Die Verlockung, durch leistungssteigernde Substanzen in kurzer Zeit sehr viel Geld zu verdienen, seien nach wie vor hoch. Dieser „monetäre Anreiz“ oder wie Seppelt es auch formulierte, „der Re-Invest“ für die unzähligen Stunden an Training, seien „menschlich nachvollziehbar“. Die einzige Chance: Man brauche ein Regelwerk.
Fragen aus dem Publikum treffen den Nerv des Experten
Fragen aus dem Publikum trafen den Nerv des Experten: „Warum gibt man das Doping nicht frei?“ Seppelt antwortet mit einer Gegenfrage: „Wenn viele Leute alkoholisiert Auto fahren würden, sagen sie doch auch nicht, lassen wir sie doch einfach betrunken fahren.“ Ohne an die Folgen für die anderen Verkehrsteilnehmer zu denken.
Trotz aller Skepsis stellte der Sportjournalist fest „es stimmt ja nicht, dass alle dopen“ – trotzdem machte er wenig Hoffnung für die Zukunft: „Es wird nie sauberen Sport geben, von diesem naiven Gedanken müssen wir uns verabschieden“, stimmte Hajo Seppelt mit seinem Schlusssatz nachdenklich. Was für ihn und seine Mitstreiter vermutlich noch mehr Motivation ist, um Recherchearbeit zu betreiben, immer mehr Journalisten davon zu überzeugen, mitzumachen.
Doping-Experte und Journalist
Zur Person
Hans-Joachim „Hajo“ Seppelt (1963 in Berlin geboren) ist ein deutscher Journalist und Autor. Seit 2006 ist er Reporter und Experte der ARD für Doping und Sportpolitik bei Olympischen Sommer- und Winterspielen sowie anderen sportlichen Großereignissen.
Würdigung
Seppelt wurde vielfach ausgezeichnet unter anderem für Enthüllungen zu Staatsdoping in Russland, zu Doping in Leichtathletik und Radsport sowie zum Kinderdoping in der DDR. Im Jahr 2017 hat er die Produktionsfirma Eyeopening Media gegründet.