Auf dem Sprung: Jelena Wlk spielt nicht nur erfolgreich Volleyball bei Allianz MTV Stuttgart, sondern studiert nebenher auch in Pforzheim „International Business“ Foto: Baumann

Sie haben den Pokal gewonnen, nun kämpfen sie in der Finalserie gegen den Dresdner SC um die deutsche Meisterschaft. Die Stuttgarter Volleyballerinnen leben ihren sportlichen Traum. Doch nach der Karriere droht einigen von ihnen ein böses Erwachen.

Stuttgart - Sie war das Gesicht des Stuttgarter Volleyballs. Jahrelang. Evelyn Cristina Lourenco Delogú galt als beste Libera der Bundesliga. Die Brasilianerin kam 2008 vom VC Wiesbaden, spielte sechs Jahre bei Allianz MTV Stuttgart. Sie hechtete, feuerte an, ging voran, und sie war auch neben dem Feld eine Führungsfigur.

Bis zu ihrem Kreuzbandriss im November 2012. Danach fand sie nie mehr zur alten Form zurück. Vor einem Jahr vollzog der Verein den großen Umbruch, die Libera erhielt keinen Vertrag mehr. Seither ist sie nicht nur ohne Job, sondern auch ohne Perspektive. Zumindest in Deutschland.

Delogú (34) spricht weder die Sprache, noch hat sie während ihrer Karriere eine Ausbildung oder ein Studium absolviert – nun musste sie nach Brasilien zurückkehren. „Sie wollte in Deutschland arbeiten“, sagt MTV-Manager Bernhard Lobmüller, „aber es gibt keine Chance für jemanden, der die Sprache nicht kann. Trotz aller Kontakte stößt ein Verein an seine Grenzen, wenn Spielerinnen sich nicht rechtzeitig Gedanken über ihre Zukunft machen.“

„Die Karriere kann schon morgen vorbei sein“

Sabrina Roß hat lange mit Evelyn Delogú die Wohnung geteilt. Sie brachte ihr deutsche Kinderbücher mit und versuchte auch sonst viel, um die Kollegin zum Lernen zu animieren. Vergebens. „Heute weiß Evelyn, dass dies ihr größter Fehler war“, sagt die frühere Stuttgarter Kapitänin. Dabei hatte Delogú stets vor Augen, dass es anders geht.

Denn Roß (35) spielte nicht nur Volleyball, sie machte auch eine Ausbildung als Technische Zeichnerin, studierte dann Werbe- und Grafikdesign sowie Fotografie an der Fernuni Hamburg, ehe sie auf 400-Euro-Basis als Mediengestalterin bei einem Sponsor des Vereins arbeitete.

„Das war anstrengend“, sagt Roß, die heute mit ihrem Sohn Maurice (20 Monate) und ihrem Mann Matthias Pompe (Volleyball-Nationalspieler) in Düren wohnt, „aber wer will, der schafft alles. Es muss einem nur bewusst sein, dass die Karriere schon morgen vorbei sein kann. Und dass maximal die besten 50 Volleyballerinnen der Welt so viel verdienen, dass sie auch danach gut über die Runden kommen.“

In Stuttgart kann keine Bundesliga-Volleyballerin klagen

In Stuttgart kann keine Bundesliga-Volleyballerin klagen. Manager Bernhard Lobmüller (64) würde zwar nie davon sprechen, dass er ein Rundum-sorglos-Paket schnürt, doch in der Realität ist es so. Die zwölf Spielerinnen des Kaders verdienen zwischen 1300 und 2500 Euro netto pro Monat, dazu gibt es Auto und Wohnung – die Zweier-WGs teilt Trainer Guillermo Naranjo Hernandéz (37) ein. Damit lässt es sich entspannt in den Tag hineinleben.

Es reicht aber nicht, um sich ein Polster für die Zukunft anzulegen. Weshalb Lobmüller allen ein weiteres Angebot macht: „Ich garantiere jeder Spielerin einen Arbeits-, Ausbildungs- oder Praktikumsplatz bei einem schwäbischen Mittelständler. Sie muss es nur wollen.“

Bisher hielten sich die Anfragen in Grenzen. Das liegt zum einen daran, dass in Stuttgart viele Ausländerinnen spielen, die sich laut Lobmüller („Das ist auch eine Mentalitätsfrage“) gedanklich nicht ganz so intensiv mit ihrer beruflichen Zukunft beschäftigen. Es hat aber natürlich auch mit den Belastungen des Leistungssports zu tun.

Vor dem Training im Hörsaal sitzen

Zwischen Oktober und April, wenn die Saison läuft, bleibt neben täglich ein bis zwei Trainingseinheiten, Spielen, Kraftraum, Physiotherapie und Regeneration nicht viel Zeit übrig. „Viele von uns sehen sich als Vollprofis, konzentrieren sich nur auf Volleyball“, sagt Alessandra Jovy Heuser, „sie wollen so lange spielen, wie es irgendwie geht – und erst dann schauen, was danach kommt.“

Die Mittelblockerin des aktuellen MTV-Teams versteht diese Einstellung. Sie selbst denkt anders. Sie will Managerin werden. Deshalb studiert sie im sechsten Semester in Hohenheim Wirtschaftswissenschaften mit ökonomischem Wahlprofil.

Das bedeutet, um 7 Uhr aufzustehen, vor dem Training zu lernen oder im Hörsaal zu sitzen, nach dem Training zu lernen und abends noch mal. „Ich wundere mich selbst manchmal, wie ich das alles geschafft habe“, sagt Jovy-Heuser (23), die im Sommer ihre Bachelor-Arbeit schreibt, „man muss schon sehr ehrgeizig sein, um sich gleichzeitig auf Leistungssport und Studium fokussieren zu können.“

„Ich muss für die Zeit nach der Karriere noch mehr tun“

Sie schafft es. Jelena Wlk (22), die „International Business“ in Pforzheim zu studieren begonnen hat, versucht es. Und auch Kapitänin Kim Renkema (27), die in den Niederlanden bereits ein Studium im Bereich Kinderpädagogik und Gesundheitsmanagement absolviert hat, sagt: „Ich muss für die Zeit nach der Karriere noch mehr tun.“ Sie wird nächste Saison ein Berufspraktikum bei einer Firma machen, die ihr Bernhard Lobmüller vermittelt hat.

„Diese Chance hat jede Spielerin“, sagt der Manager, „aber der Impuls muss von ihr kommen.“

13 nationale Titel während des Studiums

Renate Riek-Bauer (55) kann nur raten, nicht allein auf dem Spielfeld aktiv zu sein. Die Stuttgarter Volleyball-Ikone hat nicht nur 13 nationale Titel gewonnen und 518 Länderspiele bestritten, sondern gleichzeitig noch studiert – Grafik-Design an der Kunstakademie Stuttgart. Die Daimler AG ermöglichte ihr gegen Ende ihrer Karriere einen fließenden Übergang ins Berufsleben, für den Autobauer arbeitet sie noch heute in der Abteilung Designkommunikation.

„Ich wollte immer eine Aufgabe neben dem Sport haben, bei der ich Energie tanken kann – auch wenn ich deshalb keine Urlaube und kaum freie Zeit hatte“, erklärt Riek-Bauer, die meist die einzige Studentin in ihren Mannschaften gewesen ist, „es ist sicher nicht falsch, wenn eine Volleyballerin vier, fünf Jahre alles für ihren Sport gibt. Doch wer in einem fremden Land ist und die Sprache nicht lernt, verspielt eine Chance. Und eine Ausbildung oder ein Studium kann neben dem Volleyball ein weiterer Anreiz sein, der das Leben bereichert.“

Und das nicht nur während der Karriere. Sondern vor allem danach.

Info: Zweites Finale in Stuttgart

Info: Zweites Finale in Stuttgart

Volles Haus: In der ausverkauften Scharrena steigt an diesem Samstag (19.30 Uhr) das zweite Duell der Finalserie um die deutsche Meisterschaft zwischen Allianz MTV Stuttgart und Dresdner SC.

Nach dem unnötigen 2:3 in der ersten Partie stehen die Stuttgarter Volleyballerinnen gehörig unter Druck: Wollen sie aussichtsreich im Rennen bleiben, müssen sie zu Hause unbedingt gewinnen. „Wir hätten schon in Dresden siegen können“, sagt Manager Bernhard Lobmüller, „deshalb sind wir zu Hause sicher nicht chancenlos.“

Die weiteren Termine: Ein drittes Spiel gibt es am Mittwoch, 29. April, in Dresden auf jeden Fall. Außerdem sind Partien am Samstag, 2. Mai, in der Stuttgarter Porsche-Arena und am Mittwoch, 6. Mai, erneut in Dresden angesetzt. Die Mannschaft, die zuerst drei Siege schafft, sichert sich den DM-Titel.