Die Schweizer stimmen am Sonntag darüber ab, ob die Zuwanderung in das Alpenland gebremst werden soll Foto: dpa

Eine Volksinitiative will den Zuzug noch schärfer begrenzen. Die Politik fürchtet bei Zustimmung eine weitere Isolation des Alpenlandes innerhalb Europas.

Bern - Der Name der Initiative klingt nach einem alkoholischen Mixgetränk oder einer neuen Musikrichtung: Ecopop. Doch dahinter verbirgt sich eine der ungewöhnlichsten und brisantesten Volksabstimmungen, zu denen die Schweizer je zur Urne gerufen wurden. Das Volksbegehren mit dem offiziellen Titel „Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen“ will die Zuwanderung in das Alpenland radikal beschränken.

Pro Jahr soll die Bevölkerung in der Schweiz nur noch um 0,2 Prozent wachsen dürfen, fordert die Ecopop-Initiative, deren Name abgeleitet ist vom französischen Namen des Vereins Umwelt und Bevölkerung (Ecologie et Population). Stimmen die Wähler an diesem Sonntag mehrheitlich dafür, wird die Eidgenossenschaft zur Alpenfestung mit beschränktem Zugang.

Das Thema Zuwanderung lässt die Schweiz in diesem Jahr nicht los: Erst im Februar haben die Schweizer mit einer knappen Mehrheit die Bremse bei der Zuwanderung gezogen. 50,3 Prozent stimmten für die von der national-konservativen Schweizer Volkspartei (SVP) lancierte „Initiative gegen Masseneinwanderung“. Damals war ein Aufschrei durch Europa gegangen, verstärkt von der Sorge, dass die Schweizer Abstimmung den nationalistischen Kräften in den einzelnen EU-Ländern kurz vor der Europawahl noch einmal massiven Auftrieb geben könnte. Die EU drohte postwendend mit der Aufkündigung aller bilateralen Verträge, weil die Forderung der Initiative gegen die EU-Freizügigkeit verstoßen würde. Die Regierung in Bern muss nun bis 2017 Kontingente für Zuwanderer festlegen – auch für EU-Bürger, die bislang ohne Einschränkungen in der Schweiz arbeiten und wohnen dürfen.

Doch gegen die Forderung des Ecopop-Begehrens war die Masseneinwanderungs-Initiative geradezu harmlos. Dank dem freien Personenverkehr mit der Europäischen Union sind in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich zwischen 70 000 und 80 000 Menschen netto in die Schweiz eingewandert. Die 0,2-Prozent-Grenze bedeutet, dass künftig netto nur rund 16 000 Menschen einwandern dürften.

Haben Wirtschaft und Politik bei der Masseneinwanderungs-Initiative zu Beginn des Jahres den Verdruss und die Stimmung in der Bevölkerung noch völlig unterschätzt, schrillen jetzt in beiden Lagern die Alarmglocken. „Davor habe ich Angst“, gibt der Schweizer Wirtschaftsminister Johann Schneider-Amann (FDP) zu. Schweizer Unternehmen, so die Befürchtung der Wirtschaft, wären kaum noch in der Lage, ihren Fachkräftebedarf zu decken.

Dem widerspricht Ruedi Aeschbacher, früherer Nationalrat, Präsident der Evangelischen Volkspartei (EVP) und Mitglied des Ecopop-Komitees. „Die Initiative lässt zu, dass für jeden Auswanderer – im Jahr sind das um die 90 000 Personen – wieder eine Person zuwandern darf.“ Über dieses „Nullsummenspiel“ hinaus erlaube sie eine weitere Zuwanderung von 0,2 Prozent der Wohnbevölkerung – derzeit also gut 16 000 Menschen. Dies sei maßvoll und lasse der Wirtschaft noch Spielraum. „Von ,Grenzen schließen‘ kann keine Rede sein.“.

„Um was es geht, spüren die Menschen im Alltag“, sagt Aeschbacher. „Dichtestress in Bus, Tram, überfüllten Zügen. Stau auf Straßen, Gedränge auf Sportanlagen und in Naherholungsgebieten; Gleiches in Schulen und Krippen, in Spitälern . . .“, zählt er auf. Dies führe zu einem ungebremsten Bauboom, der „jede Sekunde einen Quadratmeter Boden frisst“. Die Schweiz sei eines der dichtestbesiedelten Länder, so Aeschbacher: „Wir können sie nicht vergrößern.“

„Bei einem Ja zu Ecopop hätte die Schweiz bei der Einwanderung und den Beziehungen zur EU keinerlei Handlungsspielraum mehr. Der bilaterale Weg wäre sofort tot“, warnt dagegen Bundespräsident Didier Burkhalter und versucht eine Brücke zu bauen: „Am 9. Februar haben viele Leute ein Zeichen gesetzt“, sagt er im Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“, „wir haben diese Botschaft verstanden – es darf am 30. November nicht nochmals einen Symbolentscheid geben, der unsere Zukunft gefährden kann.“

Diese Beteuerungen scheinen ihm viele Bürger jedoch nicht abzunehmen. In der jüngsten Umfrage des Berner Meinungsforschungsinstituts GFS gaben 39 Prozent der Befragten an, der Initiative zustimmen zu wollen. Zwar lagen die Gegner mit 56 Prozent noch vorne, komfortabel ist der Vorsprung aber nicht, zumal das Pro-Lager im Vergleich zur letzten Umfrage im Oktober um vier Prozent zulegen konnte. Dies ist umso erstaunlicher, da sich sämtliche Parteien einschließlich der SVP, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Kirchen und Umweltverbände gegen das Volksbegehren ausgesprochen haben.

Bern - Die Initiative hat noch eine zweite Forderung: die Stabilisierung der Bevölkerung nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen Ländern. Entwicklungsgelder sollen zu zehn Prozent in ein Programm zur Familienplanung fließen, heißt es im Initiativtext.