Ein CDU-Abgeordneter stimmt im Landtag von Baden-Wuerttemberg stimmt gegen das Stuttgart 21- Kündigungsgesetz. Foto: dapd

Der Ministerpräsident verteidigt die komplizierte Formulierung zur Volksabstimmung über S21.

Stuttgart - Rechtssicher soll die Frage zur Volksabstimmung in erster Linie sein, sagt Ministerpräsident Kretschmann. Sprachliche Einfachheit steht nicht im Vordergrund. Doch er ist zuversichtlich, dass die schlauen Landeskinder mit der komplizierten Formulierung zurechtkommen.

Winfried Kretschmann ist gelernter Lehrer, und als solcher glaubt er ganz genau zu wissen, was er seinen Schülern zumuten kann. Als Ministerpräsident steht er zwar nicht mehr vor der Klasse, doch das Handwerkszeug hat er auch als Regierungspädagoge stets griffbereit.

Zweifel, ob die Fragestellung zur Volksabstimmung über Stuttgart 21 möglicherweise unverständlich sei, lässt der gestrenge Lehrer jedenfalls nicht gelten. Gewiss, sagt er am Dienstag vor Medienvertretern, Gesetze wie das am 27. November zur Abstimmung gestellte S-21-Kündigungsgesetz seien nun mal kompliziert.

Aber das Volk schlüpfe nun mal in die Rolle des Gesetzgebers und müsse sich folglich damit befassen. "Das gehört dazu, zur direkten Demokratie, und macht übrigens ihren Charme aus."

Schließlich lässt der Regierungschef die versammelte Medienschar an seinem reichen Erfahrungsschatz teilhaben - mit einem Augenzwinkern, versteht sich. "Das ist immer eine Frage der Motivation, das kann ich Ihnen als gelernter Lehrer sagen. Sonst wäre es völlig unerklärlich, wieso fast alle Menschen den Führerschein bestehen. Eine außerordentlich anspruchsvolle Prüfung. Die bestehen so gut wie alle. Warum? Sie wollen ihn haben."

Nein bedeutet ja zu Stuttgart 21

Es gebe bei Bürgerentscheiden viel kompliziertere Fragestellungen, sekundiert ihm seine Staatsrätin für Bürgerbeteiligung, Gisela Erler. Der Text müsse weniger sprachlich als rechtlich einwandfrei sein: "Viele Juristen haben an der Formulierung gearbeitet und gesagt, man sollte das nicht anders formulieren."

Auch Erler scheint pädagogische Erfahrung zu haben, denn sie verteilt an die Landesklasse erst mal ein dickes Lob: "Wir gehen davon aus, dass die Baden-Württemberger den Text gut verstehen, denn sie sind ja gut ausgebildet."

Sollte es nun immer noch jemanden geben, bei dem der Groschen nicht fällt, dem gibt der gestrenge Kretschmann eine eherne Lebensweisheit mit auf den Weg: "Nichts führt so sehr zur Erkenntnis, als wenn man muss." Und weil ihn Begriffsstutzigkeit offensichtlich nicht ruhen lässt, setzt er noch einmal nach: Der Mensch könne doch bisweilen um sieben Ecken denken. Jetzt könne man doch, Herrgott noch mal, wenigstens mal "um eine Ecke rumdenken".

Das Land könne eben nicht über Stuttgart 21 an sich abstimmen: "Weil das gar nicht in unserer Zuständigkeit liegt." Lediglich die Kündigung der Finanzierungsverträge stehe zur Debatte, sagt Kretschmann - oder eben die Nicht-Kündigung.

Für diesen Fall heißt es auf dem Stimmzettel: "Mit Nein stimmen Sie gegen die Verpflichtung der Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen mit Finanzierungspflichten des Landes bezüglich des Bahnprojekts Stuttgart 21 auszuüben." Ein Nein zum Kündigungsgesetz bedeutet also ein Ja zu Stuttgart 21 - und umgekehrt.

Vorlage für eine Art "Knigge"

Auch der Innenminister kann nicht verstehen, dass man da etwas missverstehen kann. "Auch bei normalen Wahlen verstehen die Bürger ja oft nicht, was die Parteien mit ihren Anliegen wollen", argumentiert Reinhold Gall.

Ganz ohne Nachhilfe will Grün-Rot das Abstimmungsvolk dann aber doch nicht zur Urne ziehen lassen. Deshalb sollen alle Haushalte neben dem Stimmzettel und der Gesetzesvorlage bis 17. November auch noch eine Informationsbroschüre mit den wichtigsten Argumenten erhalten - und zwar "in klar verständlicher Sprache", wie Erler versichert.

50, 60, 70 Prozent Wahlbeteiligung wünscht sich die Staatsrätin, wagt aber keine Prognose, wie hoch sie am Ende tatsächlich wird.

Dass die Informationsheftchen gelesen werden, daran hat sie keine Zweifel. Das zeigten Untersuchungen in anderen Ländern.

Eine Art Broschüre gibt es übrigens auch für die Regierungsmitglieder: Darin können sie nachlesen, wie sie sich während des Wahlkampfs verhalten sollen. Die Regierung als solche will zwar keine Wahlempfehlung abgeben, den einzelnen Mitgliedern ist das aber nicht verwehrt.

Es gebe die Vorlage für eine Art "Knigge", sagt Kretschmann etwas verlegen. Die Koalitionsspitze habe zwar nicht darüber debattiert, aber den Knigge "zur Kenntnis genommen".

Und was steht da drin? "Die Position des anderen wird respektiert", fasst Kretschmann zusammen. Und weiter: Polemische Töne seien zu unterlassen. Auf die Frage, ob auch die Öffentlichkeit einen Blick in den Knigge werfen dürfe, windet sich der Regierungschef allerdings. Will da etwa jemand kontrollieren, ob sich alle daran halten? Irgendwann hat jede Transparenz ein Ende.