Zehntausende Autofahrer passieren jeden Tag den Hochbunker auf dem Pragsattel – aber kaum einer kennt ihn von innen. Die Bilderstrecke nimmt Sie mit auf eine virtuelle Begehung. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Am Pragsattel steht der bekannteste Bunker Stuttgarts. Zehntausende Autos fahren jeden Tag an dem Gebäude mit der riesigen Leuchtreklame vorbei. Was kaum jemand je gesehen hat, ist das Innere des einstigen Kanonenturms – und den unschlagbaren Blick vom Bunkerdach.

Stuttgart - Wer sich von Ludwigsburg kommend im Auto dem Pragsattel nähert, den schreit die Leuchtreklame am Hochbunker regelrecht an. Gut möglich, dass sie den Blick verstellt auf das bemerkenswerte Gebäude, an dem sie angebracht ist. Der Hochbunker am Pragsattel war im Zweiten Weltkrieg Teil der Stuttgarter Flugabwehr. Von hier wurde mit Kanonen auf Tiefflieger gezielt, die Richtung Talkessel flogen.

Die Waffen sind längst abgebaut und Luftangriff zum Glück kein Thema mehr. Doch bis heute wird die ehemalige Funktion des Pragbunkers sichtbar: ein Aufzug der Firma Stahl, die bis 1944 in Stuttgart produzierte, schaffte Munition aufs Dach. Dort steht bis heute ein Unterstand, der laut der auf Bunker spezialisierten Forschungsgruppe Untertage dem Splitterschutz der Soldaten diente.

All das kann man sich selbst nur anschauen, wenn man eine der ganz seltenen öffentlichen Führungen mitmacht. Der Bunker wird so gut wie nie geöffnet. Im Oktober 2017 lud der Verein Schutzbauten Stuttgart anlässlich des 75. Bunkergeburtstags zu einer Führung, ein neuer Termin ist noch nicht genannt worden.

Im Rahmen unseres Multimedia-Projekts zu Stuttgarter Bunkern bekamen wir faszinierende Ein- und Ausblicke. Wir nehmen Sie in der Bildergalerie sowie mit 360-Grad-Bildern mit auf eine virtuelle Begehung des Pragbunkers. Diese erste Rundumansicht zeigt eines der Stockwerke im Bunkerinnern. Fahren Sie über den Bildschirm oder nutzen Sie die Maus, um sich umzusehen:

Der 30 Meter hohe ehemalige Flakturm wurde nach dem Krieg weitergenutzt – als Männerwohnheim. In 51 Räumen waren 135 Männer untergebracht, wie der Stuttgarter Bunkerexperte Rolf Zielfleisch in seinem Buch „Stuttgarter Bunkerwelten“ berichtet. In den Sechzigerjahren wurde der Pragbunker unter dem Eindruck des Kalten Krieges für den Zivilschutz hergerichtet, also als Schutzraum im Katastrophenfall.

Der trat glücklicherweise nie ein. Nach dem Ende der atomaren Bedrohung aus dem Osten erhielt der Bunker seine dritte Funktion – als Funkmast für die Stuttgarter Straßenbahnen sowie als Werbeträger. Anfang der Neunzigerjahre wurde an der Bunkerfassade eine 80 Quadratmeter große Leuchtwerbung für Bosch-Zündkerzen angebracht, später wurde die Fassade des Turms um drei Meter erhöht, um weitere Werbung aufzuhängen – einst von Bosch, heute wirbt hier die Firma Mahle. Die von der städtischen Firma In Stuttgart verpachtete Werbefläche wird von einer Privatfirma betrieben. Wie viel Geld dafür in die Kassen der Gesellschaft fließt, verrät In Stuttgart auch auf Anfrage nicht.

Das zweite 360-Grad-Bild zeigt den Eingangsbereich des Bunkers:

Kaum bekannt ist, wie es im Bunkerinneren aussieht, das hinter einer dicken Metalltür wartet. Die dicke Betonwand lässt kaum Wärme von draußen hinein. Licht dringt sowieso keines nach innen: der Bunker hat keine Fenster. So geht der Besucher die spiralförmig angeordnete Treppe hinunter in den Keller. Dort findet sich – weil ja keine Frischluft hineinkommt – eine Belüftungsanlage. Sie könnte im Notfall sogar händisch betrieben werden. Das wäre jedoch sehr mühsam, wie versuchsweises Betätigen der Kurbel beweist.

Stockwerk für Stockwerk arbeitet man sich nach oben. Jeder Stock sieht gleich aus: rund um den engen Flur gruppieren sich Sanitäranlagen sowie Schlafräume mit je sechs Pritschen. Dazu immer wieder große blaue Gummischläuche, die wie Zierteppiche an den Wänden hängen. Sie hätte man im Ernstfall, also etwa bei einem Atomangriff, mit Trinkwasser befüllt.

Diese dritte Rundumansicht ist auf dem Bunkerdach aufgenommen worden:

Der bedrückenden Enge des Bunkers entkommt man, wenn man ganz nach oben aufs Dach steigt und anschließend auf das Gerüst hinter den nachträglich als Werbeträger installierten Aluwänden. Dann hat man einen wahrhaft grandiosen Blick auf den Stuttgarter Talkessel. Das Stop-and-Go auf den Straßen rund um den Pragsattel wirkt von hier oben ganz fern, die Dunstschicht über dem Kessel pittoresk. Schade, dass nicht mehr Menschen einen neuen, entspannten Blick auf Stuttgart werfen können.