Ein Bürger ist „entsetzt über die panischen Lautäußerungen“ und spricht von „Psychoterror“. Die Uni Hohenheim erklärt, was dahinter steckt.
Immer wieder sind die Angst- und Todesschreie der Vögel zu vernehmen. Wer in der Nähe der Versuchsfelder der Uni Hohenheim wohnt oder dort spazieren geht, hört sie deutlich. Beim ersten Mal habe er gedacht, dass „da Enten oder Gänse massakriert werden“, berichtet Thomas Porada unserer Zeitung und ergänzt: „Ich war erschüttert und entsetzt über diese panischen Lautäußerungen.“
Inzwischen weiß er, dass es sich bei diesen um aufgenommene und abgespielte Schreie handelt. Auf diese Weise soll die Aussaat auf den Feldern vor hungrigen oder auch neugierigen Vögeln geschützt werden. Die Tiere werden vertrieben, vergrämt, wie es im Fachjargon heißt. Dazu gibt es ein spezielles Gerät, das sich „Bird Alert“ nennt.
So funktioniert die Vergrämung mit „Bird Alert“
„Bird Alert ist ein Gerät, das die Soziallaute von Vögeln mithilfe eines Richtfunk-Mikrofons analysiert und so erkennt, welche Vogelarten gerade im Anflug sind“, erklärt Florian Klebs, der Pressesprecher der Uni Hohenheim. Im Repertoire seien zum Beispiel Gänse und Nilgänse, Saatkrähen und Stare – also Vogelarten, die sich gerne auf Feldern niederlassen. Sobald eine bestimmte Art identifiziert sei, gebe das Gerät die entsprechenden Todesschreie aus. „Dies dient als Warnung für andere Vögel, sich von dem Bereich fernzuhalten“, sagt Klebs. Das Gerät selbst ähnele einem Koffer auf drei Füßen und verfügt über ein Solarpanel und zwei Lautsprecher.
Die Universität Hohenheim arbeite seit 2020 mit dieser Methode und habe davor bereits mit zwei Prototypen experimentiert. Aktuell verfüge sie über drei Geräte, eines steht derzeit im nördlichen Bereich des Heidfeldhofs. In Absprache mit den Anwohnerinnen und Anwohnern sei es derzeit von 6 bis 19 Uhr aktiviert – und das voraussichtlich noch bis Ende des Monats.
„Die Universität Hohenheim setzt den Bird Alert etwa dreimal im Jahr für jeweils 14 Tage ein: Im Frühjahr für die Aussaat von Mais Mitte April bis Anfang Mai, von Sojabohnen Mitte bis Ende Mai sowie im Herbst für die Züchtung von Roggen für zwei Wochen im Oktober“, so der Pressesprecher. Denn die Notwendigkeit, Vögel abzuschrecken, bestehe immer kurz nach der Aussaat, wenn die Keimlinge noch so schwach seien, dass sie von Vögeln aus dem Boden gezogen werden können. „In dieser Phase kann es leicht passieren, dass Vögel eine gesamte Kultur vernichten“, sagt Florian Klebs. In Hohenheim gehe es dabei vor allem darum, Krähen zu vertreiben. Die Methode habe sich als sehr effektiv erwiesen. „Die Universität Hohenheim hat sich für Bird Alert entschieden, da es aktuell als fortschrittlichste und umweltfreundlichste Methode zur Vogelabwehr gilt“, sagt der Pressesprecher. Allerdings sei das Gerät sehr teuer, es koste um die 5000 Euro. „Es kann deshalb wirtschaftlich nur für besonders wertvolle Kulturen eingesetzt werden. Dazu gehören auch die Forschungskulturen der Universität Hohenheim“, sagt der Pressesprecher.
Mitarbeitende des Heidfeldhofs klären auf
Florian Klebs räumt ein, dass die von dem Gerät abgespielten Angst- und Todesschreie von Vögeln zuweilen Anwohner und Spaziergänger irritieren oder stören. Mitarbeiter des Heidfeldhofs und die Betriebsleitung seien bereits mehrfach in den Dialog getreten. Man investiere in die Beantwortung jeder Anfrage viel Zeit. „Dabei erklären sie ausführlich den Zweck des Geräts und die Notwendigkeit neuer Alternativen, in einer Landwirtschaft, die zunehmend auf chemische Mittel verzichtet. In der Regel führt dies zu einem besseren Verständnis und zur Akzeptanz der Methode“, sagt Florian Klebs.
Thomas Porada sieht es aber nach wie vor anders: „Diese verzweifelten Vogelschreie den ganzen Tag über und dann auch noch bis nach Einbruch der Dunkelheit sind unerträglich und eine Zumutung. In meinem Garten in der Nähe des Asemwalds muss ich das immer und immer wieder über mich ergehen lassen. Für mich grenzt das an Psychoterror – und das nicht nur, weil ich ein Vogelfreund bin“, so sein Fazit.
Vogelschutz in der Landwirtschaft
Keimlinge
Hauptgrund, warum Vögel an Keimlingen ziehen, ist das sogenannte Gutationswasser. Das sind kleine Flüssigkeitstropfen, welche an den Blattansätzen ausgeschieden werden. Besonders in der frühen Keimlingsphase haben diese Tropfen einen erhöhten Zucker- oder Nährstoffgehalt, der sie für Vögel attraktiv macht. Oft ziehen Vögel die Keimlinge auch aus Neugier oder um nach Insekten zu suchen aus dem Boden. Nach etwa zwei Wochen sind die Keimlinge widerstandsfähig genug, sodass auf Vogelvergrämung verzichtet werden kann.
Vergrämung
Die Frage, wie Keimlinge vor Vögel geschützt werden können, beschäftigt Landwirte und Naturschützer. Früher wurden Vögel gar mit Leuchtspurmunition beschossen. Später gab es Versuche mit Propangas-Kanonen, die regelmäßig Schussgeräusche abgaben, und Drachen, die über den Kulturen flatterten. Beides erwies sich als nicht sehr effizient. Sehr erfolgreich waren hingegen chemische Vergrämungsmittel, die der Saat als Beizmittel zugesetzt wurden. Diese sind inzwischen aber verboten. Weitere Experimente mit Duftvergrämungsmittel oder Chili-Öl in der biologischen Landwirtschaft erwiesen sich nicht als effizient.