Besucher stehen im März 2018 vor Beginn des Prozesses gegen Mitglieder des Osmanen Germania Boxklubs am Eingang des Gerichtsgebäudes. Foto: dpa

Dem Opfer wurden Zähne ausgeschlagen und ins Bein geschossen: Führende Mitglieder des Osmanen Germania Boxklubs sollen Gewalttaten gegen einen unliebsamen Rivalen angeordnet haben. Nun fordert die Staatsanwaltschaft hohe Haftstrafen für einige Angeklagte.

Stuttgart - Staatsanwalt Michael Wahl hat im Stuttgarter Verfahren gegen Mitglieder des Osmanen Germania Boxclubs hohe Haftstrafen zwischen fast zwei und achteinhalb Jahren gefordert. Die Straftaten der sieben, teilweise der Weltführungsriege der verbotenen rockerähnlichen Gruppe angehörenden Angeklagten reichen von gefährlicher Körperverletzung über Erpressung und Nötigung bis zu Drogendelikten und der Förderung der Prostitution. Wahl will zudem, dass die Angeklagten die Kosten des seit nunmehr 48 Verhandlungstagen andauernden Gerichtsverfahrens vor dem Landgericht tragen.

Der Ankläger zeigte auf, die Osmanen hätten sich selbst als Gruppe dargestellt, die „Kriminelle von der Straße holen wollte“. Das Gegenteil sei jedoch der Fall gewesen: „Die Straße sollte von Kriminellen beherrscht werden. Sie haben der Kriminalität Vorschub geleistet.“ Wer bei den Osmanen habe aufsteigen wollen, sei um Gewalt nicht herumgekommen: „Meine Herren, so ist das, wenn man junge Leute in eine Gruppe holt, in der man nur mit Gewalt weiter- und hochkommt“, sagte er an die Chef-Osmanen Mehmet Bagci, Selcuk Sahin und Levent Uzundal gewandt.

„Ein unbescholtener Mann – bis er zu den Osmanen kam“

Der gerade volljährige Angeklagte U. habe auf Aussteiger eingeschlagen, weil er in einem „System der Gewalt“ gewesen sei. Dies aber entspreche nicht dem Wesen des jungen Mannes: „Er wird als sozial beschrieben. Er hat als Praktikant in einem Altenheim gearbeitet. Er wollte Altenpfleger werden.“ Bei einem anderen Angeklagten beschrieb Wahl: „Ein gut integrierter Mann, Vater von vier Kindern, unbescholten – bis er zu den Osmanen kam.“

Für den früheren Stuttgarter Osmanen-Chef Levent Uzundal forderte der Staatsanwalt mit acht Jahren und sechs Monaten die höchste Strafe. Er wirft dem Filialleiter besonders vor, im Februar 2017 die Bestrafung des unliebsamen Gießener Gruppenchefs angeordnet zu haben. Celal Sakarya war damals in einer Uzundal gehörenden Wohnung in Herrenberg malträtiert worden. Dabei waren ihm mit einer Rohrzange Zähne ausgeschlagen und mit einer Pistole in den linken Oberschenkel geschossen worden.

Auch wenn die Tat von Uzundals Stellvertreter Mustafa Kilinc orchestriert und ausgeführt wurde, Uzundal selbst also gar nicht an ihr beteiligt war, machte Wahl in seinem Plädoyer deutlich: „Wer einen Befehl gibt, der haftet dafür, wenn andere ihn vollziehen.“ Zumal Kilinc dafür bekannt war, gewalttätig zu sein und die Kontrolle über sich zu verlieren. Deshalb, so Wahl an Uzundal gerichtet, hätten „Sie eingreifen können und müssen“.

Das gilt auch für den früheren Vizechef der Osmanen-Weltorganisation, Selcuk Sahin. Für ihn forderte Wahl eine Haftstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten: Sahin habe an höchster Stelle in der Osmanen-Hierachie die Anordnung zur Herrenberger Abstrafungsaktion gegeben: „Er war der Mann, der den Daumen hob oder senkte.“ Wie auch Uzundal hätte Sahin „ganz sicher vorher nichts von dem Schuss in Herrenberg gewusst“. Sehr wohl aber, dass die Osmanen bewaffnet waren. „Deshalb mussten sie davon ausgehen, dass die Situation in Herrenberg eskalieren könnte und würde.“ Sahin und Uzundal droht zudem die Abschiebung in die Türkei, nachdem sie ihre Haftstrafe verbüsst haben.

Das Opfer soll unter Druck gesetzt worden sein

Eine vergleichsweise geringe Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten sieht Wahl für den selbst ernannten Weltanführer der Osmanen, Mehmet Bagci, vor. Bagci habe das Herrenberger Opfer, Celal Sakarya beeinflusst, seine Aussagen bei der Polizei zu revidieren. Das zeige das Protokoll einer SMS-Unterhaltung mit Sakarya, das Bagci im Juli 2017 einem hessischen Ermittler sogar ganz freiwillig übergab: Unmittelbar nach der Verhaftung seines Vizes Sahin fordert Bagci das Opfer der Herrenberger Bluttat auf, den Anwalt Sahins zu kontaktieren: „Ich erwarte, dass Du klärst, dass ‚Can‘ (Spitzname Sahins) mit der Sache nichts zu tun hat“. Tage später ging beim Gericht ein juristisch ausformuliertes Schreiben Sakaryas ein, in dem dieser Sahins Unschuld beteuert. Bagci und sein Stellvertreter sind befreundet: Sahin hat sich den Vornamen seines Bruders auf die linke Seite seines Oberkörpers tätowieren lassen, den Bagcis auf die rechte.